Das reichste Dorf Chinas Tanz um den goldenen Ochsen

2000 Einwohner und ein 328 Meter hoher Wolkenkratzer: Huaxi gilt als das reichste Dorf Chinas, Schulbücher feiern seine Erfolgsgeschichte. Jetzt setzen die Einwohner auf Tourismus - mit ziemlich absurden Sehenswürdigkeiten.
Foto: Stephan Orth

Eigentlich bräuchte es das 328 Meter hohe Hotel, den lebensgroßen Ochsen aus massivem Gold und den Arc-de-Triomphe-Nachbau gar nicht. Auch ohne solche Protzereien wäre Huaxi ungewöhnlich genug. Denn Huaxi, gut 120 Kilometer westlich von Shanghai gelegen, gilt als das reichste Dorf Chinas. Zugleich ist es ein gern präsentiertes Vorzeigemodell für die Verbindung von Kommunismus und Wohlstand. Und irgendwie auch ein Symbol für den wirtschaftlichen Aufschwung, der das ganze Land erfasst hat.

"Die Leute draußen verstehen nicht, warum wir den Ochsen aus einer Tonne Gold gebaut haben", sagt Wu Xie'en, der Bürgermeister von Huaxi. Es ist der einzige ansatzweise nachdenkliche Satz in einem 30-minütigen Gespräch. Der 50-Jährige trägt graue Hose und weißes Hemd und sitzt auf einem schmucken Sofa im Konferenzzentrum des Ortes. "Huaxi ist im Jahr des Ochsen entstanden, und der Ochse steht für harte Arbeit. Er ist das wichtigste Tier auf dem Feld, früher hat er den Pflug gezogen. Dafür bewundern wir den Ochsen sehr." Und heute sei die goldene Version eine Touristenattraktion, sie locke viele Besucher an. Selbst der Exzess soll sich bezahlt machen, so läuft das in Huaxi.

Der goldene Ochse steht im 60. Stock des Long-Wish-Hotels, welches sich wiederum im fünfzehntgrößten Gebäude der Welt befindet, dem höchsten Hochhaus weltweit in einem Dorf. Der Rekord ist nicht verwunderlich: Normalerweise kommt niemand auf die Idee, einen Wolkenkratzer mitten in ein Dorf zu stellen. Das Gebäude erinnert an eine Raketenrampe, vier runde Säulen umrahmen einen Mittelpfeiler, sternenhoch sind die Ambitionen der Baumeister. Gekrönt wird das Ganze von einer riesigen goldenen Kugel mit Aussichtsplattform und rotierendem Restaurant.

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Huaxi: Sozialismus und Größenwahn

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In der goldenen Oberfläche des Ochsen spiegeln sich zwei Touristen aus Peking, die Handyfotos machen. Besonders gut besucht wirkt Huaxi in diesen Tagen nicht, viele der 826 Luxushotelzimmer sind leer. Zuletzt seien jährlich etwa zwei Millionen Besucher gekommen, jetzt seien es nur noch gut eine Million, sagt Wu. "Das liegt an dem harten Antikorruptionskurs der Regierung." Sprich: Ein Großteil der Besucher sind Parteikader, die zwecks sozialistischer Ertüchtigung herkommen, aber gern nebenher im Luxushotel so richtig einen draufmachen. Seit Staatspräsident Xi Jinping mit Dekadenz in der Partei aufräumt, wird so etwas nicht mehr gern gesehen.

Lang lebe der Geist von Huaxi

Der Besucherschwund ist eine wirtschaftliche Enttäuschung, wie man sie in Huaxi nicht gewohnt ist. In den Sechzigerjahren begann Bürgermeister Wu Renbao den Ort umzukrempeln. Wu Xie'en, sein Sohn, erinnert sich an die Zeit: "Als ich jung war, waren die Männer im Ort so arm, dass keine Frau sie heiraten wollte." Doch dann beschritt Huaxi einen Sonderweg, der noch heute in chinesischen Schulbüchern beschrieben wird: Die Profite der Stahl- und Textilfabriken sollten dem ganzen Dorf zugute kommen, jeder Bewohner wurde zum Shareholder der lokalen Industrie.

Die Geschäfte liefen gut, in den besten Zeiten bekamen die Einwohner neben ihrem Einkommen Autos, Reisen, Fahrräder und Fernseher geschenkt. Sie leben in bewachten ummauerten Wohnsiedlungen in schicken dreistöckigen Villen, die einander sehr ähneln. Heute besteht die Jiangsu Huaxi Group aus mehr als 40 Unternehmen, vom Tabak- bis zum Logistikkonzern, vom Ackerbetrieb bis zum Luxushotel.

Gedenkbild für Wu Renbao: Der langjährige Bürgermeister starb im März 2013.

Gedenkbild für Wu Renbao: Der langjährige Bürgermeister starb im März 2013.

Foto: Stephan Orth

"Lang lebe der Huaxi-Spirit!", ruft eine Touristenführerin, die eine Gruppe orangefarben gewandete Priesterinnen der Zang-Minderheit aus der Sichuan-Provinz herumführt. "Lang lebe der Huaxi-Spirit!" steht auch an einer Hauswand in der Jinta-Straße. Der Geist von Huaxi ist der Mythos vom Erfolg des Dorfes, ein Idealbild von Gemeinschaft und harter Arbeit und einer gewissen Bescheidenheit trotz des Reichtums.

Auf einem roten Plakat im Zentrum steht ein bekannter Ausspruch von Wu: "Selbst wenn du tonnenweise Gold besitzt, kannst du nur drei Mahlzeiten am Tag essen. Selbst wenn du in einer Luxusvilla lebst, schläfst du nur auf einem Bett." Auf dem nächsten Plakat steht: "In diesem Dorf herrschen Fröhlichkeit und Harmonie", eine von vielen Parolen, die direkt aus Maos rotem Büchlein stammen könnten. Abends treffen sich die Einwohner vor dem Riesenhotel zum Gemeinschaftstanz und imitieren Bewegungen, die ein Video auf Großleinwand vorgibt.

Weniger Mao, dafür mehr modernes China ist der Vergnügungspark mit einem künstlichen See und Nachbauten des Arc de Triomphe, des Potsdamer Einsteinturms und eines riesigen Tempels aus Pekings verbotener Stadt. Außerdem dienen der Touristen-Bespaßung mehrere Gewächshäuser mit einer immensen Flora-Vielfalt, ein propagandistisches Breitwandkino im Riesenhotel und mehrere feine Restaurants. Und den eine Tonne schweren Goldochsen. Stillstand darf nicht sein. "Es dauert fünf Minuten, um etwas zu ändern, sagt man in Huaxi", berichtet Frau Zhao, die seit 1997 hier lebt.

Und doch gingen die Renditen der Huaxi Group zuletzt zurück, vor allem, weil die Nachfrage nach Stahl wegen einer landesweiten Überproduktion nachließ. Und vielleicht auch, weil man es mit der einst propagierten Bescheidenheit zuletzt nicht mehr so genau nahm. Dem Tourismus jedenfalls haben die neuen Korruptionsgesetze einen Strich durch die Rechnung gemacht. Das führte zu einer ungewöhnlichen Maßnahme: Vor einigen Monaten forderte die Regierung die aktuell 2103 Dorfbewohner auf, mal ihre Villen zu verlassen und selbst im Long-Wish-Hotel zu übernachten. Um den Konsum anzukurbeln.

Per Zug durch China
Foto: Stephan Orth

5500 Kilometer, eine Zeitzone: Stephan Orth reist per Zug quer durch China, von Ost nach West. Die achtteilige Serie führt von Shanghai bis in die entlegene Seidenstraßenstadt Kashgar ¿ und durch ein Land voller Widersprüche und Extreme.

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