Chinesisch für Anfänger Warum essen Chinesen mit Stäbchen?

Essstäbchen sind das Sinnbild für die chinesische Küche und eine Hürde für jeden China-Neuling. Doch warum weigern sich die Chinesen eigentlich so hartnäckig, zu Messer und Gabel zu greifen? SPIEGEL ONLINE erklärt die Liebe zum Holzbesteck.
Von Françoise Hauser

Im Grunde muss die Frage lauten: Warum sollten sie Messer und Gabel einsetzen? Anbetracht der klein geschnittenen Zutaten ist Schneidwerkzeug bei Tisch ohnehin überflüssig. Die kleinteilige Zubereitung hat zudem geschmackliche Vorteile und auch einen weiteren, ganz profanen Grund: Brennholz war auch im alten China schon knapp. Schnell und energiearm kochen lautete die Devise der chinesischen Hausfrau, die daher mit möglichst feinen Zutaten arbeite.

Wahrscheinlich fischten schon die Chinesen der Shang-Dynastie, also im zweiten Jahrtausend vor Christi, ihre Fleisch- und Gemüsestückchen mit Zweigen aus dem gemeinsamen Topf. Dass sich später vor allem Bambus und Holz als Stäbchenmaterial durchsetzten, hat einfache Gründe: Beide Materialien sind hitzeresistent und geschmacksneutral. Um den Stäbchen noch einen kulturelleren Anstrich zu geben, wird hin und wieder auch der alte Konfuzius bemüht. Für ihn waren Messer bei Tisch angeblich eine barbarische Unsitte – ob er sich dabei auch über die Gabel äußerte, ist nicht überliefert.

Langsam essen!

Das Argument, Essen per Stäbchen sei per se eine langsame Angelegenheit, widerlegt jeder Chinese im Handumdrehen. Sprichwörtlich. Denn was der Ausländer nicht weiß (und auf den kleinen Instruktions-Comics der papiernen Stäbchenhüllen geflissentlich übergangen wird): Mit der linken Hand wird die Schüssel unter das Kinn geklemmt, während die rechte Hand per Stäbchen für den Kalorientransport sorgt. Dies allerdings weniger durch einzelne Kneifbewegungen als durch simple Schaufelkraft. Passend dazu lautet der chinesische Essensgruß nicht "Guten Appetit" sondern "man man chi": Langsam essen!

Problematisch blieb in der Vergangenheit: Lauwarm und nachlässig gespült sind die Stäbchen ein wahres Paradies für Bakterien und damit ein Hygienerisiko. Noch vor wenigen Jahren propagierte die chinesische Regierung daher den Gebrauch von Einwegstäbchen.

Das Volk tat wie geheißen – und muss nun abermals umdenken. Rund 45 Milliarden Einwegstäbchen verbraucht China pro Jahr, dazu kommen noch einmal rund 15 Milliarden Stäbchen für den Export in andere asiatische Länder. Kein Wunder, dass ganze Wälder bereits der Stäbchenproduktion zum Opfer gefallen sind. Um den Verbrauch der Einwegware zu bremsen, wurde 2006 bereits eine Fünf-Prozent-Einwegstäbchen-Steuer eingeführt.

Essen auf dem Jahrmarkt

Für den Ausländer ist dies kaum von Belang. Wer in China ins Restaurant geht, stellt ohnehin schnell fest: Die Stäbchen sind noch der am leichtesten zu verkraftende Unterschied. Romantische Kerzenlichtatmosphäre, gedämpfte Unterhaltungen, zurückhaltende Kellner – von wegen! Chinas Fresstempel sind bis in die letzte Ecke per gleißender Neonröhren mit 200 Watt ausgeleuchtet – schließlich will der Gast ja sehen, was ihm aufgetischt wird – und generell so laut, dass Unterhaltungen nur im oberen Phonbereich möglich sind.

Vor dem Geräuschteppich der aktuellen Sino-Pop-Schlager (alle Regler auf Anschlag, damit auch die Gäste im hintersten Winkel noch alles genau verstehen) und den ausgelassenen Trinkspielen am Nachbartisch übt sich der Gast im Lippenlesen. Raucher dürfen in China ebenfalls aufatmen. Und anzünden.

Die gepflegte Zigarette zwischen zwei Gängen, kein Problem, denn das räumt den Magen auf, macht Spaß und ist daher ausdrücklich erlaubt. Essen ist eben Genuss, Vergnügen, ein soziales Ereignis. Lautstarke Unterhaltungen gehören genauso dazu wie der wenig genierte Umgang mit dem lästigen Stück Rindfleisch zwischen den beiden letzten Backenzähnen.

Schnäuzen tabu!

Bei aller vermeintlichen Zügellosigkeit: Auch in China gibt es bei Tisch eine ganze Reihe von Tabus. Sich bei Tisch zu schnäuzen gilt als überaus ekelhaft. Stopft sich die Langnase den nassen Lappen auch noch in die Hosentasche, blickt der Chinese angewidert weg. Genauso unkultiviert ist es, mit den Fingern zu essen: Selbst Hühnchen, was selbstverständlich mit allen Knochen auf dem Teller landet, wird per Stäbchen verspeist. In dieser Königsdisziplin müssen fast alle Ausländer passen und tragen mit unfreiwilligen Kleckereien zur Heiterkeit bei Tisch bei.

Weniger amüsiert wird der klassische Fauxpas aufgenommen, die Stäbchen senkrecht in den Reis zu stecken: Eine todsichere Art, die Geister und Dämonen an den Tisch zu locken, denn so werden die Opferspeisen am Ahnenaltar dargebracht.

Das Gerangel um die Rechnung ist eine eigene Disziplin, die viel Übung und Geschick erfordert. Mit sportlichem Einsatz drängen die Teilnehmer der Runde der Kellnerin Geldbündel und Kreditkarten auf. Manch einer springt zehn Minuten vor Ende des letzten Gangs schnell auf die Toilette. Nicht um sich vor der Rechnung zu drücken, sondern um sie heimlich an der Kasse zu bezahlen und mit einem listigen Lächeln zurückzukehren. Gewonnen! Der Wunsch, jetzt bitte einzeln zu zahlen, lässt Chinesen auf der Stelle gefrieren. Wie peinlich und geizig!

Mehr lesen über

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren