Coffee & Counsel Scheidung auf Amerikanisch
25 Dollar für einen Becher Kaffee ist ziemlich viel, 25 Dollar für eine anwaltliche Beratung ist nicht nur preiswert, es ist konkurrenzlos billig. Wenn aber ein Becher Kaffee mit anwaltlicher Beratung auch nur 25 Dollar kostet, dann muss der Anwalt entweder ein reicher Kaffeeröster oder verrückt sein.
Jeffrey J. Hughes ist weder das eine noch das andere. "Ich bin zu 80 Prozent Unternehmer und zu 20 Prozent Anwalt. Ich hatte eine Idee, die allen nutzt." Hughes, 1965 in Santa Monica geboren, hat an der University of California und an der katholischen Loyola-University Jura studiert, 1992 sein Examen gemacht und sich 1993 selbständig gemacht. Er beriet die Inhaber kleiner Betriebe und arbeitete auch fallweise für andere Kanzleien. Sein Spezialgebiet war das Arbeitsrecht.
Aber zufrieden war er nicht. "Ich wollte kein Anwalt sein, der von 8 bis 18 Uhr arbeitet und am Wochenende mit seinen Kollegen zum Golfen fährt." Schon als Student hatte Jeffrey eine "andere Vorstellung vom Leben, einen Traum vom Glück". Er wollte ein Café haben, aber er wollte auch ein Anwalt werden.
Da passierte zweierlei. O.J. Simpson wurde des Mordes an seiner Frau angeklagt, Jeffrey verfolgte den Prozess und fand das Verhalten der Anwälte "widerlich": "Er hat's getan, und die Jungs paukten ihn raus." Etwa zur selben Zeit erbte er eine kleine Immobilie von seinen Großeltern, eine Werkstatt mit Laden am Lincoln Boulevard, wo Markisen und Gartenmöbel hergestellt wurden. "Das war meine Chance. Ich habe ein Gespür für kommende Trends."
Jeffrey baute den Laden um und machte daraus 1996 ein "legal cafe". Den Namen hat er sich sofort schützen lassen: "Legal Grind" - Gesetzesmühle. "So was hat es bis dahin nicht gegeben. Ich war ein Pionier." Die Idee war nicht nur neu, sie war auch einfach. "Reiche Leute können sich teure Anwälte leisten, die Armen bekommen Unterstützung von Hilfsorganisationen. Und die übrigen wissen nicht, wo sie einen Anwalt finden, wenn sie mal einen brauchen."
Inzwischen arbeiten rund 30 Anwälte mit "Legal grind" zusammen, Experten für Familien-, Arbeits- und Mietrecht, für Einwanderung, Steuern, Unfälle, Schmerzensgeld und Insolvenzen. 15 Anwälte kommen regelmäßig zu Sprechstunden in das "Legal Grind"-Cafe am Lincoln Boulevard in Santa Monica, zwischen einer Autowerkstatt und einem Geschäft für Bodenbeläge, die unverbindliche Beratung dauert je nach Fall 15 bis 30 Minuten und kostet 25 Dollar - ein Kaffee inbegriffen. "Dann weiß der Klient, was ihn erwartet." Und vor allem: Was ihn die Sache am Ende kosten wird.
An der Wand hängt das Menü ("coffee and counsel") mit Preisen für die einzelnen Leistungen: Eine anwaltliche Bankrotterklärung kostet 350 Dollar, eine Namensänderung 200 Dollar und ein Eintrag in das Handelsregister 500 Dollar. Eine einvernehmliche Scheidung (summary dissolution) kommt auf 350 Dollar, aber nur wenn die Ehe weniger als fünf Jahre gedauert hat, kinderlos blieb und keine Güter geteilt werden müssen. In allen anderen Fällen (stipulated divorce) werden 600 Dollar fällig, zuzüglich Gerichtsgebühren.
Das ist viel günstiger als die Tarife "ordentlicher" Kanzleien, die pro Stunde Hunderte von Dollars berechnen. Dabei sind es nur ordentliche Anwälte, die im "Legal Grind" ihre Dienste anbieten. Keith F. Simpson, 33, kommt zweimal pro Woche für jeweils zwei Stunden, er hat sich auf Familienrecht spezialisiert - Scheidungen, Unterhaltszahlungen, Vormundschaft. "Das ist etwas Neues, man kommt in einer angenehmen Atmosphäre zusammen, die Leute sind viel entspannter als in einem Büro. Und ich finde hier neue Klienten." Etwa jedes zweite Beratungsgespräch führt zu einem Mandat.
Andrea F. Szew, 33, behandelt vor allem Einwanderungsfälle, verhilft ihren Mandanten zu einer Green Card oder sagt ihnen, was sie machen sollen, wenn sie ihre Familien ins Land holen möchte. Die meisten kommen aus Asien, haben eine zeitlich beschränkte Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis. "Ich arbeite nicht für Illegale." Auch sie mag die "informelle Umgebung", auch bei ihr wird aus jedem zweiten Gespräch ein Auftrag. Davon wiederum lebt Jeffrey, denn er bekommt von den Anwälten eine Provision.
Sein Café ist sozusagen ein anwaltlicher Kontakthof. Und ein praktischer Beitrag zur Imagepflege. "Wenn die Leute bei einer Tasse Kaffee miteinander reden, werden sie schnell merken: Anwälte sind auch Menschen!" Und: "Wir wollen, dass sie mit einem angenehmen Nachgeschmack gehen, egal ob sie ein Bagel gegessen oder einen Rat erhalten haben!"
Jeffrey hat sich den Namen "Legal Grind" schützen lassen, aber er weiß, dass seine Idee Nachahmer finden wird. Irgendwo im "Valley" gibt es schon einen Anwalt, der "Lawdogs" anbietet - "Hot dogs" mit rechtlicher Beratung. "Aber bei dem müssen die Leute Schlange stehen, das ist unwürdig." Bald will er Scheidungen online anbieten, um die Verfahren zu beschleunigen und die Kosten weiter zu senken.
In Deutschland hätte Jeffrey längst ein Verfahren wegen standeswidrigen Verhaltens am Hals, denn deutsche Anwälte dürfen für ihre Dienste nicht einmal werben. Ein Anwalt, der seinen Schreibtisch in einem Café aufgebaut hat, könnte sich seine Zulassung bald im Hobbykeller an die Wand hängen. In den USA dagegen gilt die "Free Market Economy" auch für Anwälte, und was neu ist, wird nicht gleich mit dem Satz abgewürgt: "Das haben wir noch nie getan, wo kämen wir denn hin, wenn das alle machen würden?"
Im Gegenteil. Zum fünfjährigen Bestehen von "Legal Grind" bekam Jeffrey von der American Bar Association, der Standesvertretung der US-Anwälte, eine Auszeichnung - für das Anbieten "alternativer rechtlicher Dienste". Darauf ist Jeffrey mächtig stolz. Denn aller Anfang ist schwer und neue Ideen brauchen Zeit, um sich zu entfalten. "Sowohl Lloyd's in London wie die Börse an der Wall Street haben in einem Café angefangen."