
Spektakuläre Gebirgsstraße: Wüstenblick vom Dschabal Hafit
Gebirgsstraße zum Dschabal Hafit 1200 Meter über der Wüste
Wenn Mohammed Faruk morgens aufsteht, kann er aus rund 1200 Meter Höhe auf die Wüste herabschauen. Es ist dann noch kühl, und manchmal hängt Nebel zwischen den Felszinnen.
Anderthalb Straßenkurven sind es von hier bis zum tiefer auf einem Vorsprung gelegenen Palast der Herrscherfamilie. Das Tor ist fast immer geschlossen, keine Lampe an hinter den dunklen Fenstern. Die Al Nahyans nutzen das sandbraune Gebäude am Steilhang nur als Wochenendhaus, sind bloß ab und zu da.
Mohammed Faruk aus Pakistan aber arbeitet hier oben in der Nachbarschaft, er hat den höchsten Job der Emirate: Im Rasthaus auf dem Plateau des Dschabal Hafit verkauft er Chips und Cola, Orangensaft, Milchshakes und kleine Snacks. Jeden Tag. Und schon am Vormittag werden auf der elektrischen Wackelgiraffe vor seiner Kiosktür wieder Kinder reiten, ein paar Schritte weiter Hochzeitspaare fürs Foto posieren, anderswo ganze Familien picknicken.

Spektakuläre Gebirgsstraße: Wüstenblick vom Dschabal Hafit
Nur einen kleinen, abgesperrten Pfad vom Parkplatz entfernt liegt die Spitze des mit 1350 Metern höchsten Berges im Emirat Abu Dhabi. Das Plateau, gut zweieinhalb Autostunden von der Hauptstadt entfernt und tief im Hinterland an der Grenze zum Oman gelegen, ist ein beliebtes Ausflugsziel bei den Einheimischen. Vor allem an den Wochenenden ist hier viel los - und im Sommer mehr noch als im Winter.
Sie kommen, weil der Blick bei klarem Wetter grandios ist und über die Schachbrettstraßen der Oasenstadt al-Ain unten im Tal hinweg ins endlose Hellbraun der Wüste reicht. Sie kommen, weil es hier oben sechs bis acht Grad kühler ist als in der Ebene und manchmal ein leichter Wind weht. Bei Faruk decken sie sich mit Snacks ein. Nicht, weil der Heimweg so weit wäre - aber weil es dauert bis nach Hause. Denn viele halten immer wieder und genießen den Ausblick von jedem einzelnen der neun großen Parkplätze entlang der Strecke hinunter ins Tal.
Manche kommen sogar allein wegen dieser Straße - weil ihnen andere davon erzählt oder weil sie davon gelesen haben, dass ein amerikanisches Automobilportal sie unter die zehn spektakulärsten Gebirgsstraßen der Welt gewählt hat.
Zwölf Kilometer lang ist sie, lückenlos gesäumt von weißgetünchten Betonblöcken als Schutz vor dem Sturz über die Abbruchkante des Abhangs. Dreispurig ist sie, zwei hinauf, eine hinab. 60 Kurven - große und kleinere - sind es bis nach oben, und nachts sind sie beleuchtet, als hätte ein Riese dem Dschabal Hafit ganz dekorativ eine Girlande übergeworfen. Im Winterhalbjahr finden hier immer wieder Rad- und Autorennen statt.
So oder so ist diese Straße eine Herausforderung, obwohl sie ohne ein einziges Schlagloch auskommt und perfekt in Schuss ist. Immer wieder geraten bergauf Motoren ins Qualmen, die einfach nicht mehr weiter wollen. Und ab und zu sind Menschen bergab den Betonbalustraden dankbar, weil sie dann doch die Kurven oder die eigene Geschwindigkeit unterschätzt haben und von dem Konstrukt aufgefangen wurden, ehe es in gerade Linie weiter bergab gegangen wäre.
Es passt zusammen, dass die Lichtmasten der Rastplätze mit den Aufklebern und Notruftelefonnummern von sieben verschiedenen Abschleppunternehmen zugekleistert sind. Mohammed Faruk aber bekommt von etwaigen Problemen weiter unten auf der Piste nichts mit. Er hat zu tun, reicht Cola und Chips, Nüsse und Kaugummi über den Tresen. Den ganzen Tag lang, bis weit in den Abend hinein.
Offroad zu Jahrtausende alten Gräbern
Der große Monolith gehört zwar noch zu den Ausläufern des rostroten Hadschar-Gebirges, und doch erhebt er sich urplötzlich als Solitär aus dem Wüstensand. Die wenigsten wissen, dass hier bereits vor 5000 Jahren Menschen gesiedelt haben. Die archäologischen Stätten, die restaurierten Kuppelgräber dieser frühen Kultur sind nicht ausgeschildert.
Wer hin will, muss ein paar Kilometer offroad durch den Sand, ein paar umzäunte Gehege mit Kamelen umfahren, sich zwischendurch mit freilaufenden Exemplaren um die Vorfahrt streiten. Und dann sind sie da: diese seltsam kreisrunden Gemäuer, aufgetürmt aus den roten und den bräunlichen Felsbrocken der Umgebung. Tonscherben von Krügen aus Mesopotamien hat man hier gefunden und so alte Handelsbeziehungen nachweisen können - aus den Jahrtausenden, bevor jemand auf die Idee kam, eine Straße zum Gipfel in das Massiv zu sprengen.
Warum die Straße 1980 gebaut und der Wochenendpalast der Herrscherfamilie dort oben im Nichts errichtet wurde? Weil die Grenze zum Oman in Sichtweite ist. Und weil es in einer Gegend aus Sand und Fels nie schaden kann, so etwas wie einen Pflock einzuschlagen und allen zu zeigen: Hier fängt an, was uns gehört! Schaut her, hier gibt es sogar einen Palast unseres Herrschers! So etwas schrumpft etwaige Ambitionen eines anderen, das eigene Territorium womöglich über Nacht ein klein wenig vergrößern zu wollen. Zugleich wäre es heute nicht mehr nötig, die nachbarschaftlichen Beziehungen sind sehr gut.
Geschmacksrichtung Weintraube-Minze
Längst ist auch ein Hotel etwas unterhalb jenes Palastes entstanden - für all jene, die über Nacht bleiben und zuschauen und -hören wollen, wie der Berg langsam zur Ruhe kommt. Für die, die durchatmen wollen, während die Luft unten in der Ebene noch klebrig ist von der Hitze des Tages.
Hier arbeitet Rashid Hamayoon auf einem hüfthoch ummauerten Felsvorsprung. Er hat den zweithöchsten Job der Emirate - oder den dritthöchsten, wenn man auch den Hausmeister des Herrscherpalastes 60 Höhenmeter weiter oben mitzählt. Er präpariert Wasserpfeifen für die Gäste der Al-Khyama-Bar. An den Wochenenden drapiert er im Akkord glühende Kohlestücke auf Alufolie, legt Tabak in den Geschmacksrichtungen Weintraube-Minze, Apfel oder Erdbeere bereit, raucht diese Schischahs mit einem eigenen Mundstück an, ehe alles so richtig gängig ist und sie den Gästen gleich um die Ecke serviert werden können.
Werktags hat er Zeit für einen Plausch, da sind manchmal nur sechs, sieben Pfeifen in Betrieb - jede für 50 Dirham, umgerechnet etwa zwölf Euro. Aber von Donnerstag- bis Samstagabend ist er am Rotieren, da sind alle 120, die er hat, vergeben. Denn Rashid und sein Kollege Adil sind berühmt für ihre Wasserpfeifen. Gäste kommen dafür abends aus Abu-Dhabi-Stadt, sogar Mitglieder der Herrscherfamilie.
Was an seinen denn so besonders ist? Er lächelt bescheiden und sagt schließlich: "Der Blick. Es ist diese Aussicht, die es dazu gibt. Auf die Lichter von al-Ain in der einen und die absolute Dunkelheit der Wüste mehr als tausend Meter unter uns in der anderen Richtung." Und auf die Laternen dieser Straßengirlande hier herauf, auch auf die.
Helge Sobik ist freier Autor bei SPIEGEL ONLINE. Die Reise wurde unterstützt vom Department of Culture and Tourism Abu Dhabi.