
Dschungelurlaub in Kolumbien Betos kleines Paradies
"Willkommen in Afrika!", sagt Beto bei dem Sechs-Kilometer-Marsch entlang der Pazifikküste Kolumbiens. Nach dem Frühstück - es gab frittierte Bananen - ist der Hüttenhotelbesitzer zusammen mit seinem einzigen Gast ins Küstendorf Termales aufgebrochen. Ein Erdweg führt an Hütten und aufgeleinter Wäsche vorbei, rückwärtig drängt dichter Dschungel heran. Beto zeigt auf wilde Orchideen, einzig der Motorenlärm von einem Passagierboot stört die Stille. Es pendelt zwischen Termales und Nuquí, irgendwo dazwischen liegen die "Cabañas Beto y Marta", das Reich von ihm und seiner Frau Marta.
Afrika? Nein, mit Afrika hat das hier eigentlich nicht viel zu tun. Außer, dass die Menschen in Termales Nachfahren schwarzer Sklaven und darum dunkelhäutig sind.
Beto, Anfang fünfzig, ergrautes Resthaar, ist ein kerniger Naturtyp, der sich Abend für Abend aufs Surfbrett stellt. Auch mit Strandspaziergängen hält er sich fit. "Aber nur bei Ebbe", sagt er, "sonst kommt man wegen der Felsabschnitte und Mündungen nicht durch." Zur bescheidenen Wegewahl stehen: links oder rechts weg von seinem Hüttenhotel.
Marta und Beto stammen aus Medellín, dem bis heute - längst zu Unrecht - der Ruf der Drogenkriege und Kartelle aus der Vergangenheit nachhängt. Vor 25 Jahren, als niemand seines Lebens sicher war, verließen die beiden die Großstadt und schlugen sich ihr neues Zuhause an einem entlegenen Teil der Pazifikküste Kolumbiens frei. "Das Terrain war komplett mit Regenwald bedeckt", sagt Beto. "Es gehörte niemandem, es gab keine Besitzurkunde."
Als Pioniere, als Aussteiger der ersten Generation bauten sie sich ihr Nest, machten rundherum die Erde urbar. Hilfreich bei der Anlage der Nutzgärten hinter dem Ozean waren ihre Studien in Agrarwissenschaft, aber der saure, teils sandige Boden erwies sich als nicht allzu ergiebig. Klima und Bewässerung hingegen waren kein Problem. "Es ist extrem regenreich, hier fallen 8000 Millimeter Niederschlag im Jahr. Und die niedrigste Temperatur ist 24 Grad", sagt Marta und schaut von der überdachten Holzterrasse hinaus auf Kokospalmen und See. Pelikane segeln vorbei, weit draußen finden sich zur Jahresmitte Buckelwale ein.
Es gibt weder Schild noch einen Anlegesteg, ein paar Felsrücken in der Brandung helfen bei der Orientierung. Telefon, E-Mail, Internet? Fehlanzeige.
Plakatappell bei der Flusspolizei
Marta erwartet die Gäste am Flugfeld in Nuquí und arrangiert den Weitertransport im Boot: ein Stück abwärts auf dem Río Nuquí, hinter der Flussmündung aufs offene Meer hinaus um zwei Landspitzen, geschätzte zehn Seemeilen. Fremde müssen sich zunächst bei der Flusspolizeistation von Nuquí registrieren lassen. Name, Nationalität, Passnummer. Die Mole und das getarnte Polizeihäuschen sind mit Sandsäcken gesichert, davor prangt auf einem Plakat ein Appell: "Gewalt als politische Waffe hat keinen Raum."
Das ist an die Guerillatrupps gerichtet, die in den sechziger Jahren begannen, erbitterte Kämpfe gegen die Staatsgewalt zu führen. In diversen Regionen sind die linksgerichteten Farc-Streitkräfte noch immer aktiv, kontrollieren Kokaanbau und Schmuggel, verüben Attentate. Dass derlei Gewalt nicht die Regel ist und sie weder zum Wesen vieler Kolumbianer noch den Erlebnissen im Reisealltag passen will, steht auf einem anderen Blatt. Die Sicherheitslage in Kolumbien hat sich laut dem Auswärtigen Amt in den letzten fünf Jahren "generell verbessert". Hoffnung geben die geplanten Friedensverhandlungen zwischen Farc-Rebellen und Regierung.
Dass sich irgendwann Touristen hierher verirren, dass Beto und Marta damit ein Geschäft machen könnten, kam ihnen erst im Laufe der Jahre in den Sinn. Sie bauten Holzhütten, ihre Idee vom Refugium für Zivilisationsmüde kam gut an. Doch die Konflikte zwischen Regierungs- und Rebellentruppen um die Jahrtausendwende bedrohten ihr Paradies. In Sichtweite zur Veranda tauchten nicht nur Delfine, sondern immer mehr Drogenboote auf. "Wegen der Paramilitärs konnten wir schließlich keine Gäste mehr aufnehmen", sagt Beto.
Die Umstände zwangen sie, das Anwesen zu verlassen. Ein Bekannter von Bekannten verschaffte ihnen Arbeit in Spanien als Verwalter eines abgeschiedenen Landguts. "An die Einsamkeit waren wir ja gewöhnt", sagt Marta beim Abendessen, doch ihnen blutete das Herz. Nach eineinhalb Jahren traute sich Beto zurück und brachte die verfallenen Cabañas wieder in Schuss. Nach weiteren anderthalb Jahren gab er Marta grünes Licht für die Rückkehr aus Spanien.
Einsamkeit als Luxus
Und heute, sind sie zufrieden? Sicher, Kolumbiens Tourismus ist erwacht und der Städter aus Medellín oder Bogotá bereit, einen erstaunlich hohen Preis zu bezahlen, obwohl ihn bei Beto und Marta kein größerer Komfort erwartet. Der Luxus ist die Einsamkeit, die Leichtigkeit. Keine der vier zwischen Palmen und Gärten verstreuten Hütten hat ein Türschloss. Doch die Geschäfte könnten besser laufen. Mittlerweile gibt es Konkurrenz mit weiteren Cabañas und einer Ecolodge, manchmal geht wochenlang keine Reservierung ein.
Dann fliegt Marta zu Verwandten nach Medellín, Beto hält die Stellung. Es gilt, die Solarparzellen zu kontrollieren, die hydraulische Pumpe, Papayastauden zu pflegen, Orangen, Yuccas, Tomaten, die Ananas. Zufrieden ist Beto mit der Sicherheit. "Seit zwei Jahren ist es hier ruhig", versichert er und betont, dass dies nicht zuletzt den Militärs zu danken ist.
Eine Viertelstunde Fußmarsch entfernt leben Soldaten in einem Camp hinter dem Strand und zeigen Präsenz, so wie im ganzen Land. Und was wäre ohne das Camp? Beto zuckt mit den Schultern. Nach größeren politischen Analysen steht ihm nicht der Sinn. Um dem Dauerproblem Herr zu werden, sagt er, müsste der Kokahandel legalisiert werden, das sei die einzige Lösung.
Auf dem Rückweg von Termales driftet Beto zu einem Dschungelpool ab, ein Stück weiter waschen die Campsoldaten gerade ihre Kleidung in einem Bach. Blutjunge Kerle, freundlich. Der Spaziergang führt auch an einer Schule vorbei. Ein Gebäude aus zwei holzvergitterten Räumen, in jedem Zimmer Plastikstühlchen und parallel mehrere Altersgruppen. "Heute ist um 11 Uhr frei", erklärt Hilde, einer der beiden Lehrer, "wir sammeln gemeinsam Müll."
In der letzten Nacht geht ein Trommelfeuer aus Tropfen auf dem Hüttendach nieder, am Morgen tanzt im Garten ein Kolibri über Hortensien. Die Wolkendecke hängt tief, das Zubringerboot nach Nuquí kommt pünktlich. "Ich bleibe hier", hatte Beto am Abend gesagt, "für immer."