
Höhenbergsteiger: Norbu Sherpa und der Everest
Ein Sherpa erzählt "Der Unfall am Everest wird die Wende bringen"
Norbu Sherpa, 34 Jahre, ist Bergführer und hat im vergangenen Jahr sein Unternehmen Wild Yak Expeditions in Katmandu gegründet. 2008 stand er zum ersten Mal auf dem Everest, dann folgten Besteigungen unter anderem des Cho Oyu (8201 Meter), Manaslu (8163 Meter) und Gasherbrum I (8035 Meter).
"Zwei meiner Freunde sind in der Lawine am 18. April am Mount Everest gestorben, einer davon stammte aus meinem Heimatdorf Ghunsa im Osten Nepals, in der Nähe des Achttausenders Kangchendzönga. Mit dem anderen, Dorjee, habe ich viele Expeditionen gemeinsam gemacht. Beide haben mich immer motiviert: Norbu, du schaffst es, du bist intelligent, gut im Bergsteigen, mach weiter. Jetzt sind sie tot.
Zuerst habe ich überlegt, keine Hochtouren mehr zu machen, nur noch Trekking oder Rafting. Nun will ich aber versuchen, die Situation für die Sherpas zu verbessern, auch für meine Mitarbeiter. Wir müssen versuchen, das Risiko für sie zu minimieren.
Jedes Jahr sterben mindestens drei, vier Sherpas, im vergangenen Jahr sind sogar sechs, sieben tödlich verunglückt. Niemand hat was unternommen, alles blieb ruhig, die Regierung kassierte weiter Millionen an Dollar. Doch die Weigerung der Sherpas, in dieser Saison Everest-Expeditionen durchzuführen, hat der Regierung gezeigt, wie mächtig sie sind. Der Unfall wird für die Sherpa-Bergsteiger eine Wende bedeuten. Inzwischen hat die Regierung allen ihrer Forderungen zugestimmt - nur die Bezahlung für diese Saison muss noch individuell mit den Veranstaltern ausgehandelt werden.
Der Everest als Tor zur Welt
Heute arbeitet eine neue Generation von Sherpas am Mount Everest, jüngere Bergführer, so wie ich. Sie können Fremdsprachen, sind gut ausgebildet, nach Europa gereist und selbstbewusst genug, um mit Kunden zu verhandeln und für ihre Rechte zu kämpfen. Sie hätten auch das Potential, etwas anderes zu arbeiten.
Aber am Everest lockt das Geld, bis zu 4000 bis 5000 Dollar können Sherpas dort in einer Saison verdienen - wesentlich mehr als in Katmandu, in den Dörfern oder in den arabischen Ländern wie Katar. Wenn ihnen die Arbeit in der Höhe zu hart oder zu risikoreich wird, können die Jungen aussteigen. Andere Sherpas sind abhängig von den großen Expeditionen, die meisten müssen ihr Leben in der teuren Hauptstadt finanzieren und viele Kinder versorgen.
Das Geld ist jedoch nur das eine. Der Everest ist das Tor zur Welt und Teil unserer Kultur - die Jungen träumen davon, einmal auf dem Gipfel zu stehen. Auch ich habe so meine Karriere begonnen: Da ich im indischen Darjeeling zur Schule gegangen bin, konnte ich Englisch und habe im Büro bei einem Trekking-Veranstalter in Katmandu gearbeitet. Mein Traum waren aber die Berge, mein Chef sagte: 'Glaube nur nicht, dass dich dort jemand mit Sir anspricht. Du musst ganz unten anfangen.'
Ich bin dann als Küchenjunge bei Höhenexpeditionen eingestiegen, habe die Küchenausrüstung hochgetragen und gespült. Zwei Jahre lang. Ich wusste damals noch nicht mal, wie man Steigeisen anlegt - damals hatten wir Sherpas noch keine Bergausbildung. Mein Glück war: Im Gegensatz zu vielen anderen, die nur bis 6000 Meter Höhe arbeiten können, vertrage ich auch noch 8000 Meter Höhe. Dann wurde ich Bergführer.
Als Sirdar, Chef der nepalesischen Mitarbeiter einer Expedition, musste ich hart arbeiten und bekam viel Druck: vom Veranstalter, den Kunden, anderen Sherpas, von den Verhältnissen am Berg. 2008 stand ich zum ersten Mal auf dem Everest, dann ein zweites Mal. Ich habe andere Jobs gemacht, aber das Geld lockte. Man sagt sich: ein letztes Mal, das Risiko ist zu hoch, und dann geht man doch immer wieder. Sechsmal habe ich den Everest-Gipfel erreicht.
Hilfsprojekt für Halbwaisen
Ich habe gesehen, wie andere Sherpas, die 10, 15 Jahre bei einem Unternehmen gearbeitet haben, entlassen wurden, als sie ausgepowert waren. Wie ein Lastpferd: Solange sie fit sind, werden sie gut behandelt, wenn sie aber keine Kraft mehr haben, kümmert sich niemand mehr um sie. In einigen Jahren werde auch ich nicht mehr können, so wie die Älteren. Ich würde auch nicht wollen, dass mein Sohn mal als Sherpa arbeitet, niemand, der in den Bergen arbeitet, will das. Wir wollen, dass die Kinder eine gute Erziehung bekommen, ein besseres Leben haben.
Daher habe ich mit 33 Jahren beschlossen, mein eigenes Unternehmen zu gründen. 10 bis 15 Leute arbeiten mit mir zusammen bei Wild Yak Expeditions , alles Freunde. Und ich habe das Butterfly-Projekt gestartet, mit dem ich die Ausbildung der Kinder von verunglückten Nepalesen unterstützen will. Wenn die Ehemänner sterben, ist es für die Frauen sehr schwer, gleichzeitig arbeiten zu gehen und für ihre Kinder zu sorgen. Jeder Kunde zahlt einen kleinen Beitrag dafür, dass die Schüler weiterlernen können.
Die Forderungen, die die Regierung erfüllt hat, sind nur ein Anfang, am Everest muss sich noch mehr ändern: Wir brauchen gut ausgebildete Sherpas, die die Routen analysieren, für alle das Risiko einschätzen und im Zweifel sagen dürfen, dass eine Besteigung nicht möglich ist. Wir brauchen über dem Basislager zwei statt einer präparierten Route, damit es zwischen 5400 Meter Höhe und dem Gipfel keinen Stau gibt - schon viele Menschen sind deswegen gestorben.
Die Expeditionsveranstalter müssen dafür mehr Geld ausgeben - und sie dürften nur Kunden mit Erfahrung im Höhenbergsteigen mitnehmen. Sonst riskieren sie nicht nur das Leben ihrer Kunden, sondern auch das der Sherpas. Die Regierung muss solche Voraussetzungen prüfen.
In Europa haben die Bergführer eine gute Versicherung, sie haben das Recht, nein zu sagen, wenn es ihnen zu gefährlich wird. Die Sherpas dürfen das bisher nicht, sie haben Angst, dass sie sonst kein Geld bekommen. Die neue Generation muss etwas ändern."