Extrembergsteigerin Kaltenbrunner "Konkurrenzdruck würde mich völlig blockieren"

Welche Frau erklimmt als Erste alle Achttausender des Planeten? Vier Top-Bergsteigerinnen sind im Rennen, eine davon ist die Österreicherin Gerlinde Kaltenbrunner. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE spricht sie über ihre Rivalinnen, die Faszination der Höhe und über ihr nächstes Ziel - den K2.

SPIEGEL ONLINE: Frau Kaltenbrunner, Sie haben endlich den Lhotse in Nepal bezwungen, den vierthöchsten Gipfel der Erde. Allerdings erst im dritten Versuch - was lief jetzt besser als bei vorherigen Expeditionen?

Gerlinde Kaltenbrunner: Der große Unterschied war, dass ich mich diesmal nur auf den Lhotse konzentriert haben. Bei den anderen Versuchen habe ich jeweils einen anderen Achttausender vorher bestiegen, einmal den Kangchendzönga, einen sehr hohen, schwierigen Berg. Und beim zweiten Mal den Dhalaugiri. Außerdem habe ich diesmal sehr viel Geduld gehabt und auf die besten Wetterbedingungen gewartet.

SPIEGEL ONLINE: Was verstehen Sie unter "gutem Wetter" auf 8516 Meter Höhe?

Kaltenbrunner: Die Windgeschwindigkeit lag bei nur 30 bis 35 km/h, die Temperatur bei minus 26 Grad. Das sind sehr gute Bedingungen für einen Achttausender.

SPIEGEL ONLINE: Die Spanierin Edurne Pasaban, die im Mai den Kangchendzönga bestieg, ist jetzt neben Ihnen die einzige Frau, die zwölf Achttausender-Gipfel erreicht hat. Gibt es einen Kampf darum, wer als erste Frau alle 14 schafft?

Kaltenbrunner: Für mich ist das kein Wettrennen. Mir ist es echt ganz egal, wer die Erste ist. Da geht es wirklich um ganz andere Werte.

SPIEGEL ONLINE: Um welche?

Kaltenbrunner: Die Natur in ihrer dort großen und wuchtigen Vielfalt zu erleben, die unbeschreiblichen Ausblicke von den Gipfeln zu genießen, darum geht es mir. Und letztendlich nach langer Vorbereitung und Träumen das doch hochgesteckte Ziel aus eigener Kraft zu schaffen, das erfüllt mich. Würde ich einen Konkurrenzdruck verspüren, könnte ich das alles in der Form nicht erleben und aufnehmen. Ich wäre völlig blockiert und würde mich einer äußerst großen Gefahr aussetzen.

SPIEGEL ONLINE: Ihnen fehlen noch K2 und Everest, Edurne Pasaban muss noch Shisha Pangma und Annapurna bezwingen - wer hat das leichtere Restprogramm?

Kaltenbrunner: Der Shisha Pangma gehört auf jeden Fall zu den weniger schwierigen Achttausendern. Die Annapurna ist zwar nicht so hoch, aber sehr gefährlich. Das ist der einzige Achttausender, auf den ich auf keinen Fall zurückkehren will. Ich hoffe, dass die Edurne da gut durchkommt. Für mich werden der K2 und der Everest unter anderem durch die Höhe natürlich sehr schwierig, weil ich immer ohne künstlichen Sauerstoff und ohne Träger unterwegs bin.

SPIEGEL ONLINE: An beiden Bergen waren Sie bereits, mussten aber die Besteigungen abbrechen. Woher nehmen Sie die Motivation, es immer wieder zu versuchen?

Kaltenbrunner: Wenn man den K2 vor sich hat, übt er eine unglaublich starke Faszination aus. Das lässt einen nicht los, bis man es entweder geschafft hat oder einsieht, dass es einfach nicht geht. Technisch ist der Berg sehr anspruchsvoll, aber bis 8200 Meter kenne ich die Route schon. Das macht mich sehr zuversichtlich, dass es irgendwann klappen wird - vielleicht sogar schon diesen Sommer.

SPIEGEL ONLINE: Und der Everest?

Kaltenbrunner: Da mussten wir im Jahr 2005 abbrechen, weil unser Teamkollege Hirotaka Takeuchi ein Hirnödem hatte. Ganz besonders reizt mich der Aufstieg über die Nordwand, da sind kaum Leute unterwegs. Man sagt immer, das sei ein Touristenberg. Tatsächlich bummeln sehr viele Bergsteiger in der Vormonsunzeit im Frühling auf den Normalwegen herum. Aber wenn man eine weniger begangene Route einschlägt, ist das ein wunderschöner Berg.

SPIEGEL ONLINE: Wissen Sie, wann Pasaban ihre 13. und 14. Besteigung plant?

Kaltenbrunner: Nein. Nachdem sie im Mai vom Kangchendzönga zurückgekommen ist, habe ich noch nicht mit ihr gesprochen. Wir haben uns ein paar E-Mails geschrieben. Sie muss jetzt über den Sommer schauen, dass ihre Zehen einigermaßen wieder in Ordnung kommen, und wird dann sicher im Herbst wieder aufbrechen. Beim Abstieg erlitt sie Erfrierungen und brauchte künstlichen Sauerstoff. Sie hatte ja schon am K2 schwere Erfrierungen, damals mussten bei ihr Teile der Zehen amputiert werden.

SPIEGEL ONLINE: Im Jahr 2007 haben Sie zusammen mit der Spanierin einen Gipfel bezwungen…

Kaltenbrunner: Genau, den Broad Peak haben wir parallel bestiegen, da sind wir die letzten Meter zusammen zum höchsten Punkt aufgestiegen. Bevor sie in diesem Frühjahr zum Kangchendzönga aufgebrochen ist und ich zum Lhotse, haben wir uns in Katmandu getroffen. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis.

SPIEGEL ONLINE: Kennen Sie auch Ihre anderen Konkurrentinnen Nives Meroi aus Italien und Oh-Eun Sun aus Südkorea, die elf Achttausender bestiegen haben?

Kaltenbrunner: Mit Nives Meroi verstehe ich mich sehr gut, Sun kenne ich nicht persönlich - aber mit ihrem Besteigungsstil kann ich überhaupt nichts anfangen. Ihr geht es darum, den Gipfel mit allen Mitteln zu schaffen. Da spielt es keine Rolle, ab welcher Höhe sie Sauerstoff nimmt und dass sie unzählige Sherpas hat und Support von ihrem Team, das von unten bis oben Fixseile für sie verlegt. Sie muss nicht mal einen Rucksack tragen, alles ist vorbereitet. Das ist ein sehr fragwürdiger Stil.

SPIEGEL ONLINE: Wettbewerb hin oder her - ein wenig eilig haben Sie es anscheinend schon. Nach nur zwei Wochen in Deutschland reisen Sie jetzt zum K2.

Kaltenbrunner: Ich habe es überhaupt nicht eilig. Das mache ich schon seit Jahren so, dass ich im Frühling in Nepal unterwegs bin und im Sommer in Pakistan. Der K2 bietet nur einmal im Jahr die Chance, ihn zu besteigen, deshalb will ich die Sommersaison nutzen.

SPIEGEL ONLINE: Blieb denn genug Zeit zur Regeneration?

Kaltenbrunner: Nach dem Lhotse habe ich in mich hineingespürt, wie es mir geht: Ich habe noch sehr viel Kraft und Motivation, darum starte ich jetzt.

SPIEGEL ONLINE: Wenn Sie alle 14 Achttausender schaffen - was wäre danach die nächste Herausforderung?

Alle Achttausender: Höchste Berge der Welt

Name Höhe* Land Erst-besteigung
Mount Everest 8850 Meter China (Tibet), Nepal 29.05.1953
K2 8614 Meter China, Pakistan 31.07.1954
Kangchendzönga 8586 Meter Indien, Nepal 25.05.1955
Lhotse 8516 Meter China (Tibet), Nepal 18.05.1956
Makalu 8463 Meter China (Tibet), Nepal 15.05.1955
Cho Oyu 8201 Meter China (Tibet), Nepal 19.10.1954
Dhaulagiri I 8167 Meter Nepal 13.05.1960
Manaslu 8163 Meter Nepal 09.05.1956
Nanga Parbat 8126 Meter Pakistan 03.07.1953
Annapurna 8091 Meter Nepal 03.06.1950
Hidden Peak (Gasherbrum I) 8068 Meter China (Tibet), Pakistan 05.07.1958
Broad Peak 8047 Meter China (Tibet), Pakistan 09.06.1957
Gasherbrum II 8035 Meter China (Tibet), Pakistan 07.07.1956
Shisha Pangma 8012 Meter China (Tibet) 02.05.1964
*Quelle: Brockhaus Enzyklopädie

Kaltenbrunner: Da mag ich noch gar nicht dran denken. Es kann schnell gehen, aber es kann auch noch Jahre dauern. Hans Kammerlander hat vier Anläufe für den K2 gebraucht. Ich hoffe nicht, dass es bei mir so lange dauern wird. Danach gibt es einige abgelegene Routen an niedrigeren Bergen, die ich gerne gemeinsam mit meinem Mann besteigen würde. Ich werde auf jeden Fall Jahr für Jahr wieder aufbrechen - wenn man einmal mit dem Bergsteigen angefangen hat, lässt einen das ein Leben lang nicht mehr los.

Das Interview führte Stephan Orth
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