Flugreisen Bequemlichkeit einer Zwangsjacke
Der breitschultrige Passagier im zu engen Anzug sitzt kaum, da lässt er die Sitzlehne auch schon per Knopfdruck voll hinunter brettern und seinem Hintermann noch die Bequemlichkeit einer Zwangsjacke: null Bewegungsspielraum auf eng bestuhlten Charter- und Inlandsfliegern.
Gleich zwei Unsitten auf einen Schlag: Zum einen dürfen die Sitzlehnen aus Sicherheitsgründen (Der Fluchtweg der Hinterleute soll frei bleiben!) erst nach dem Erlöschen der Anschnallanzeige verstellt werden. Zum anderen ist es guter Brauch, in engen Maschinen die Sitzlehne allenfalls minimal zu verstellen - schließlich möchte man selber ja auch nicht vom Vordermann plattgequetscht werden.
Volkssport der Wichtigtuer: Der ewige Kampf um die Mittellehne. Arme drängeln sich auf der winzigen Leiste, pressen mit Druck gegeneinander. Jeder gewonnene Millimeter ist ein kleiner Sieg, und angeschaut wird der Widersacher dabei die ganze Zeit nicht. Gekämpft wird ganz beiläufig - und immer nur ums Prinzip. Wer Stil beweist, hat's nicht nötig und arrangiert sich stillschweigend.
Beliebtes Benimm-Manko bei Geschäftsreisenden: Am Sitz hektisch in der großformatigen Tageszeitung hin- und herblättern und mit den Papiermassen immer wieder die Sitznachbarn streifen. Die Unsitte aus schlechter Kinderstube lässt sich noch steigern: Auf dem Mittelsitz hocken und die Zeitung voll ausbreiten, so dass die Sitznachbarn Ellenbogen und Druckerschwärze exakt vor der Nase haben.
Nichts gegen Arbeit am Laptop während des Fluges - nur bitte nicht mit demselben Kraftaufwand die Tastatur malträtieren wie einst die Tasten der alten mechanischen Schreibmaschine vom Dachboden: Wer den Mini-Computer aufs heruntergeklappte Tischchen stellt und kräftig in die Tasten haut, verpasst dem genervten Vordermann ungefragt eine Rückenmassage - so sehr vibriert der Sitz durch die Tastenhiebe.
Begehrte Pralinen
Rücksichtsvolle Mitmenschen tippen sanft oder stellen die Tastatur auf die eigenen Oberschenkel. Vorratshaltung macht im Reich der Eichhörnchen und Igel Sinn, nicht aber im Flugzeug: Kommt die Stewardess mit Pralinen durch die Reihen, ist für jeden Fluggast eine gedacht. Wer mit der ganzen Hand zugreift ("Rollgriff") und in möglichst kurzer Zeit möglichst unauffällig möglichst viele Pralinen ergattern will, pflegt eine Unsitte und muss das irritierte Kopfschütteln der Mitreisenden ertragen.
Ein unsicher hingehauchtes "...ist doch für die Kinder zu Hause" rettet die Situation nach vollzogenem Fauxpas nur selten.
Unsitte ist auch, Kleinkinder gezielt die Sitznachbarn nerven zu lassen, weil sich der Nachwuchs auf langen Flügen sonst langweilen würde: Zehnmal hintereinander das Tischchen herunterklappen und zurückscheppern, an der Vorderlehne hangeln und dem Vordermann im Haar herumwühlen, Sitze lust- und sinnlos vor- und zurückklappen. Ein Lob allen Eltern, die vielleicht nicht sofort, aber wenigstens irgendwann den Kleinen Einhalt gebieten!
Ausgezogene Schuhe
Langstrecken-Unart: Man ahnt nichts Böses, da zieht der freundliche Sitznachbar plötzlich seine Schuhe aus. Und Sekunden später kommt einem beim Lesen plötzlich abwechselnd Harzer Käse und der lange zurückliegende Klassenausflug zur örtlichen Kläranlage in den Sinn - bis man aufschaut und feststellt: Die dünstenden Treter stehen mitten im Fußraum statt unterm duftabblockenden Vordersitz. Schwierig, sie dann unauffällig mit kleinen Stößen dorthin zu bugsieren.
Ab und zu wird die Flugzeugkabine von Reisenden als Umzugswagen missverstanden: Mit faltbaren und doch mehr als sperrigen Gepäckkarren, mit Rucksack, Kosmetikkoffer und mindestens zwei Tragetaschen voller Duty-free-Schnäppchen quälen sie sich durch den engen Korridor und verlieren dabei immer wieder Gepäckstücke, die leider auf dem Weg an anderen Passagieren hängen bleiben: Der Packesel-Brauch, bei dem man sich und vor allem den anderen jeden Bewegungsspielraum nimmt - auf kurzen Flügen kein Problem, auf langen Reisen eine fiese Unsitte!
Ebenfalls beliebt: Die maximale Nutzlast des kleinen Netzes am Vordersitz auszutesten - mit Bergen von Müll, alten Zeitungen, glitschigen Bananenschalen und Bierdosen, in denen der letzte Schluck bereits schal geworden ist. Eine Freude für alle, die sich beim Aussteigen durch die Reihe am Müllnetz vorbeiquälen müssen.