Gambia Entspannt über Stock und Stein

Gerade mal halb so groß wie Hessen ist Gambia. Der westafrikanische Zwergstaat ist zwar von Armut geprägt, gilt aber als sicher und stabil. Die Menschen pflegen einen entspannten Lebensstil, der sich am besten in einem ganz speziellen Vehikel entdecken lässt: einem überpackten Minibus.

Im Minibus drängen sich die Fahrgäste. Frauen in bunten Gewändern zupfen die Hemdchen ihrer Babys zurecht. Männer mit Pudelmütze oder Fes auf dem Kopf zeigen sich gegenseitig stolz ihre Digitaluhren aus Plastik. Nach deutschen Maßstäben ist das Gefährt mit seinen schmalen, aus Eisenstreben zusammengeschweißten Bänken schon jetzt hoffnungslos überfüllt. Doch das hier ist Serekunda an der Westküste Gambias, und so begutachtet der Fahrer ruhig die Kassetten eines fliegenden Händlers und schwatzt mit dem Koch einer Garstube. Erst als sich nach und nach fünf weitere Passagiere in das Vehikel gequetscht haben, rumpelt das Sammeltaxi vom Parkplatz.

"Ihr werdet das wahre Gambia kennen lernen", verspricht Reiseführer Jimmy, während der Bus behäbig durch ein fast metertiefes Schlagloch kraxelt und aus dem Radio westafrikanische Liebeslieder schallen. Das Land zu entdecken erscheint leicht: 500 Kilometer lang und maximal 65 Kilometer breit, schmiegt sich der Ministaat, umgeben von Senegal, beidseitig an den Gambia-Fluss. Damit ist das Land mit seinen etwa eineinhalb Millionen Einwohnern gerade mal halb so groß wie Hessen.

Im einige Kilometer südlich liegenden Fajara stoppt der Minibus vor einer Ampel. "Das ist die Einzige im ganzen Land", erklärt Jimmy. Er ist einer der vielen Reiseführer, die mit einer ans Hemd gepinnten offiziellen Erlaubnis vor den Hotels auf Gäste warten. Egal, ob die Touristen nur zum nächsten Strand wollen oder eine dreiwöchige Reise mit Bootsausflug und Fahrradtrip organisiert haben möchten - der Guide kümmert sich darum. Etwa 10 bis 40 Euro kostet die Begleitung täglich. Die Männer und Frauen zeigen den Besuchern Ecken ihres Landes, die Touristen allein nie finden würden. Sie übernehmen das leidige Handeln bei jedem Einkauf und jeder Taxifahrt.

"Wir sind so klein, wir müssen zusammenhalten"

Vorbei am einzigen Radiosender, der einzigen Bank und dem einzigen Telefonanbieter Gambias rollt der Minibus seinem rund 150 Kilometer entfernten Ziel Tendaba entgegen. In der Luft liegt der Geruch kleiner Holzöfen, auf denen Fleisch gebrutzelt wird, Süßkartoffeln gebacken und Reis gekocht werden. In den Siedlungen füllen Mädchen am Dorfbrunnen bunte Plastikeimer. Frauen fegen den sandigen Boden ihres Hofes, der meist aus vier von Wellblech oder Ästen umzäunten Lehmhütten besteht.

Trotz seiner Armut ist Gambia ein sicheres Reiseziel, auch für alleinreisende Frauen. Diebstähle gibt es kaum - obwohl die Menschen von europäischem Luxus nur träumen können. Auch zwischen den Ethnien wie Mandinka, Fulbe, Wolof und Diola herrscht, anders als in manchen anderen afrikanischen Ländern, friedliches Einverständnis. "Wir sind so klein, wir müssen zusammenhalten", sagt Jimmy.

Schon bald nach dem Aufbruch von der Küste ins Landesinnere wird klar: Wer Gambia mit dem landestypischen Transportmittel Minibus erkunden möchte, braucht ein duldsames Hinterteil und viel afrikanische Gelassenheit. Nach wenigen Kilometern weicht der Bus von der Teerstraße ab und kämpft sich über eine buckelige Sandpiste. Sicher nur ein kurzer Abstecher in ein abseits gelegenes Dorf, denkt der Gast. "Nein, nein", sagt Jimmy. "Das ist die Straße nach Tendaba und Georgetown." Vier Stunden später ist das ungläubige Staunen der Touristen Resignation gewichen - und das Ziel erreicht.

15 Cent für einen köstlichen Snack

Die kleine Rundhüttensiedlung Tendaba entschädigt für die Strapazen. Zwar sind die in den siebziger Jahren gebauten Häuschen wie alle gambischen Busch-Dörfer spartanisch eingerichtet. Bei einer Bootstour oder einer Safari im angrenzenden Nationalpark Kiang West gibt es jedoch eine Menge zu entdecken. Mehr als 100 Säugetierarten - darunter Schimpansen, Paviane und Husarenaffen - leben in Gambia. Dazu kommen mehr als 500 Vogelarten, die allmorgendlich einen fulminanten Chor anstimmen.

Schön ist es in Tendaba. - "Aber das Bird Camp bei Janjanbury ist noch viel schöner", lockt Jimmy. "Es liegt auf einer Insel, und es gibt dort Nilpferde und Krokodile." Der Bus dorthin ist zwar bereits voll und das Dach meterhoch mit Taschen und festgezurrten Ziegen beladen - aber auch Schoßplätze sind in gambischen Bussen eine anerkannte Sitzgelegenheit.

Für die Verpflegung zwischendurch sorgen Stopps in den Dörfern am Straßenrand, in denen Kinder oder Frauen kleine Bananen, Erdnüsse und frittierte Mehlbällchen durch die Fenster reichen. Ein solcher Snack kostet 15 Cent. Und 100 Kilometer Minibusfahrt schlagen mit weniger als einem Euro zu Buche. In größeren Siedlungen wie Soma lohnt es sich, einen Tag Rast einzulegen und einfach dem bunten Markttreiben zuzusehen. Auf Komfort bei der Übernachtung muss man dabei verzichten - dafür brutzelt überall das meist scharf gewürzte westafrikanische Essen, dass auch europäischen Gaumen mundet.

Stelldichein mit einer Kobra

Unfälle gibt es trotz des Gewusels auf den Straßen selten. Gambische Fahrer sind keine Rowdys, zu kostbar ist ihnen ihr fahrbarer Untersatz. Kaum ein Gambier besitzt ein eigenes Auto. Für den Transport sind neben den Minibussen Schwärme gelber und grüner Taxis zuständig, die vor 20 Jahren noch auf deutschen Straßen unterwegs waren.

Das Bird Camp nahe der Siedlung Janjanbury ist die Strapazen wert. Schmale Pfade führen durch üppiges Buschwerk zu Zelten direkt am Fluss, die zwei Betten und ein WC nebst Dusche enthalten. Beim Bummel zurück ins Camp hebt Jimmy plötzlich warnend die Hand und weist auf ein dickes dunkles "Band", dass direkt am Wegrand verborgen liegt. Laut raschelnd und behäbig windet sich das Tier dann ins Gebüsch. "Eine Kobra", sagt Jimmy leise - und lässt damit die neugierig näher kommenden Touristen erstarren.

Erholung von den Abenteuern sollen einige Tage an der Atlantikküste bringen. Dort liegen kilometerlange und vor allem im Süden menschenleere Sandstrände, die in den Wintermonaten wegen des aus der Sahara herbeiwehenden Sandes unwirklich verschwommen wirken. Neben den üblichen einfachen Bungalow-Hotels machen sich hier auch etliche ummauerte Hotelburgen für Pauschalurlauber breit. Vom ursprünglichen Leben und Treiben des Landes ist hier nichts zu sehen. Dafür boomt hier eine spezielle Form des "Sextourismus": Am Strand flanieren zahlreiche ältere europäische Damen mit jungen gambischen Männern an der Seite umher.

Gambia hat keine Bodenschätze, lediglich Erdnüsse werden in bescheidenen Mengen exportiert. Die Touristen sind für etliche Familien die einzige Einkommensquelle. Und die Träume der jungen Armen des Landes gleichen sich: Reiche Freunde aus Europa finden, die einen vielleicht einladen - oder einem ein Auto schenken. "Wir träumen alle von einem eigenen Taxi", sagt Jimmy.

Annett Klimpel, gms

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