Golfen in Alaska Unter den Augen von Wolf und Bär
Fairbanks - Es ist fast 2 Uhr am Morgen - "Tee-Time" für John McBride. Lange Schatten kriechen über den Boden, weißer Dunst steigt aus dem Grün. Schwarz und schweigend steht der Espenwald jenseits des Maschendrahts - da, wo gleich die Taiga beginnt. Längst hat der Eisvogel seinen Kopf unter die Flügel gesteckt. Doch der "Golf and Country Club" in Fairbanks im US-Bundesstaat Alaska erwacht erst jetzt so richtig zu Betriebsamkeit - denn mitten in der Nacht steht am Himmel hell und klar die Sonne. "Herrlichstes Golfwetter, nicht wahr?", strahlt John McBride, schultert seine schwere Tasche und marschiert los. Vom 15. Juni bis 15. Juli ist der "Fairbanks Golf and Country Club" als Einziger in den USA rund um die Uhr geöffnet.
Vor dem Clubhaus halten mit quietschenden Bremsen die Reisebusse einer Reederei. Heraus klettern Kreuzfahrt-Touristen auf Landgang. Golfschläger klappern, Elektro-Wägelchen rattern über holprige Pfade. Lachen, Geplauder und Jubel klingen über den Platz, als McBrides Ball beim ersten Schlag in hohem Bogen über das Wasserhindernis fliegt, um schnurstracks in Loch Nummer 6 zu verschwinden - ein "Hole-in-one".
Ein vergnügter Eskimo mit Fellmütze, Winterstiefeln und natürlich Golfschläger ist das Maskottchen des pünktlich zur Sommer-Sonnenwende am 21. Juni 1946 eröffneten Clubs. "Farthest North" - am weitesten nördlich gelegen - steht in dicken Buchstaben über der Zeichnung. Tatsächlich zeigt das GPS-Navigationsgerät beachtliche 64 Grad und 52 Minuten nördliche Breite auf dem Parkplatz der Neun-Loch-Anlage an. Das ist so weit im Norden wie Sibirien oder Grönlands Südzipfel.
Wer jedoch den Stadtplan von Fairbanks auseinander faltet, sieht gleich, dass der 1993 gegründete "North Star Golf Club" - ein 18-Loch-Platz, der im Mittsommer bis 2.00 Uhr geöffnet ist - noch einen Finger breit weiter nördlich liegt: bei 64 Grad und 53 Minuten nördlicher Breite. Damit macht er seinem Nachbarn den Ehrentitel, der nördlichste Golfplatz auf dem Kontinent zu sein, zu Recht streitig.
Das Design der Golfkurse allein ist die weite Anreise vielleicht nicht wert. Wildrosen wuchern am Rand der abgewetzten Fairways des "Golf and Country Club". Verirrte Bälle sind auf ewig verschollen im Dschungel von Schachtelhalm und Löwenzahn. Wo Regenwasser nicht rasch genug in den dauerhaft gefrorenen Boden sickern kann, der nur im Sommer oberflächlich auftaut, haben sich die schmalen Kiespfade streckenweise in Schlammlöcher verwandelt. Und auf der Flucht vor Moskitos wird die Golfpartie beinahe zur aufregenden Jeep-Safari. Wenn man seine Mitspieler gegen die tief stehende Sonne auch nicht gleich sieht - riechen kann man sie immer. Wer sich nicht mit "Alaskan Cologne" Insektenspray besprüht, hat hier verloren.
Aber besser Moskitos als ein Schwarzbär auf dem Grün, sagt John McBride und nickt bedeutungsvoll. Kürzlich sei eine aufgeschreckte Elchkuh über den Platz galoppiert - und hinterher ihr hungriger Verfolger. Und einem Freund, so erzählt McBride weiter, sei neulich nachts ein neugieriger grauer Wolf von Loch zu Loch nachgeschlichen.
Ist das alles nur Golfer-Latein? Fest steht jedenfalls, dass der benachbarte "North Star Golf Club" eine abenteuerliche Sonderregel für alle Besucher eingeführt hat: Wenn ein Rabe oder Fuchs einen Golfball stiehlt, darf ein Ersatz ohne Strafpunkte am "Tatort" eingesetzt werden. Wo sonst gelten - neben Sandbunkern und Teichen - auch quicklebendige Wildtiere ganz offiziell als Hindernis?
Nur in den Polarregionen ist das Naturschauspiel der Mitternachtssonne zu beobachten. Denn wegen der etwas gekippten Rotationsachse der Erde neigt sich jeweils einer der beiden Pole für sechs Monate im Jahr der Sonne zu, während der andere von ihr abgewandt ist. Am Nordpol zum Beispiel geht die Sonne in der Zeit vom 20. März bis 23. September nicht unter. Und je weiter man vom Pol entfernt ist, desto kürzer wird diese Phase des "ewigen" Tags.
Am nördlichen Polarkreis bei 66 Grad und 33 Minuten nördlicher Breite leuchtet die Sonne theoretisch nur am 21. Juni rund um die Uhr. Durch die Brechung ihrer Strahlen scheint es aber so, als ob sie dort gleich mehrere Tage nicht unter dem Horizont verschwindet. Das gilt auch für Fairbanks, 320 Kilometer südlich des Polarkreises. Per Definition gibt es hier eigentlich keinen Dauertag - aber trotzdem wird es im Hochsommer nicht richtig dunkel. "Und darum spielen wir jetzt wie verrückt", lacht der Lehrer Brent Curtis, dessen persönlicher Golf-Marathon-Rekord bei 15 Stunden liegt. "Ausschlafen können wir uns im nächsten Sechs-Monate-Winter noch lange genug..."
Von Heike Schmidt, gms