Gran Canaria Enge Haarnadelkurven
Muskelkater ist garantiert: Immer wieder rutschen die Füße in den Wellen aus puderweichem Wüstensand zurück. Doch die Aussicht lohnt die Mühe: Vom ersten Kamm präsentieren sich Las Dunas de Maspalomas als Meer aus Gold. Täglich pilgern Tausende zur Sahara an der See, lassen sich mit Kamelen durch das Naturschutzgebiet schaukeln, wandern durch den Wüstensand, klettern die haushohen Kämme hinauf, rollen hinunter.
Dort, wo die Dünen das Meer berühren, säumt eine schier endlose Menschenkette den zehn Kilometer langen Sandstrand. Massen schlendern entlang, die eigenen Massen nur spärlich verhüllt. Gen Süden lockt Maspalomas mit markantem Leuchtturm, Gastrogasse und Hotels, gen Norden St. Agustín. Doch wohin der Weg auch führt, dieser Marsch am Meer ist der Klassiker der Costa Canaria.
Das Wahrzeichen der Insel jedoch erhebt sich im Innern, bizarr, felsig und zerfurcht: die Basaltspitze des Roque Nublo. Für die Altkanarier war dieser 60-Meter-Monolith heilig. Seit 1998 schützt ein 20.000 Hektar großer Nationalpark die Berge und Barrancos, die gewaltigen Vulkanschlote und steilen Schluchten ringsum.
Enge Haarnadelkurven führen zum höchstgelegenen Siedlung der Insel. Vieh und Fahrzeug teilen sich die Straße. Die Hand an der Hupe, wird jede Kehre, jede Kurve "entschärft". Eine letzte Serpentine, dann hat die wilde Strecke ein Ende: Artenara, Höhlendorf in 1250 Meter Höhe. Die Eingänge zu den Felswohnungen leuchten strahlend weiß zwischen den grauen Mauern der terrassierten Felder. Selbst die Kirche "Virgen de la Cuevita" wurde in den weichen Fels gehauen, ihr Inventar aus rotem Tuff gemeißelt: Altar, Beichtstuhl, Taufbecken; selbst Lesepult und Priesterstuhl sind aus Stein.
In San Bartolomé de Tirajana, einem winzigen Dorf mit engen Gassen und schneeweiß gekalkten Häusern, brennen kleinen Destillerien Hochprozentiges: "Guindillo - Sauerkirschlikör, ölig, süß, süffig.
In Arehucas wird Zuckerrohr zu Feuerwasser. Die dortige Destille ist bis heute bei der Prominenz beliebt: Willy Brandt, César Manrique, Plácido Domingo und König Juan Carlos verewigten sich nach ihrem Besuch auf den dickbäuchigen Fässern aus Eichenholz. Sanfteres sprudelt in Firgas nicht nur aus Brunnen, sondern plätschert in Kaskaden über Treppen: Mineralwasser. Abgefüllt wird es allerorten angeboten.
Auch in Teror lebt das alte, das ursprüngliche Gran Canaria weiter. Patrizierhäuser aus dem 16./17. Jahrhundert, herausgeputzt, geschmückt mit holzgeschnitzten Erkern und Balkonen, säumen die Calle Franco General. Die Kopfsteinstraße führt schnurgerade auf die Basilika "Nuestra Señora del Pino".
Alljährlich am 8. September strömen Pilger aus allen Orten hierher und feiern die Schutzpatronin Gran Canarias bei der größten Wallfahrt der Insel. Jeden Sonntag lockt ein bunter Wochenmarkt Tausende von Menschen an. Das Messer in der Hand, preisen Verkäufer lauthals ihre "chorizo de teror" an, eine leuchtend rote Paprika-Wurst mit Schweinefleisch und noch mehr Speck. Nur im Norden gibt es den berühmten "queso de flor". Wild wachsende Artischocken verleihen dem Blütenkäse von Guía sein Aroma.
Las Palmas ist die einzig wirkliche Großstadt der Kanaren. Eine Metropole zwischen Tradition und Moderne, mit Silos, Schnellstraßen, Hoteltürmen und Bettenburgen. Doch der erste Eindruck täuscht: Jedes Stadtviertel, jedes Barrio, besitzt seinen ganz eigenen Charakter. Pastellfarbene Patrizierhäuser säumen die Einkaufsmeile Calle Mayor de Triana. Sie endet am Parque San Telmo. Vor dem Jugendstilkiosk, mit taubenblauen Kacheln und Kuppeldach aus Messing einem kleiner Tempel ähnlich, stehen Gläser mit dem Koffeinklassiker "Cortado" auf den Tischen.
In Santa Catalina sind die Kanaren kosmopolitisch. Hier, in der Nähe des Hafens, mischen sich Afrikaner, Inder, Chinesen ins Straßenbild; genießen Matrosen wie Manager gemeinsam das quirlige Leben. Ein Hauch von Rotlicht schwebt über diesem Viertel voller Kneipen, Karaoke-Clubs, Peepshows, Bars und Diskotheken.
Morgens treffen sich die Männer in der alten Markthalle. Nicht nur der Einkauf steht hier auf dem Zettel. Ein Gläschen Weißwein am Morgen gehört zur Tradition, manchmal auch ein Brandy, dazu stets ein paar Tapas, eine Portion Mariscos, Meeresfrüchte. Klönschnack, Zeitung und Zigarre, so wird der Tag begonnen.
Und wo er enden könnte? In Puerto de Mogán. Die Brückenstadt, vor 20 Jahren noch ein Fischernest ohne Straße und Telefon, gilt heute als bester Beweis für die Zukunft der Kanaren. Gassen und Bögen; Kanäle und Brücken prägen die weiße Ferienstadt. Halb ins Wasser gebaut, zeigt das kanarische Venedig, welchen Weg die Insel seit der Reißbrett-City Playa del Inglés und der 30.000-Betten-Retorte Puerto Rico zurückgelegt hat.