Great Ocean Road Mythos am Meer
Torquay - Amerika hat seine Route 66, Australien seinen Highway 100: Die Great Ocean Road ist Mythos und Legende. Vielen Australiern gilt die kurvenreiche Straße an der Südküste bis heute als ein Symbol des gewonnenen Kampfes gegen die Natur. Die wilde Küste und steilen Klippen künden vom Kampf mit den Gezeiten, von Gefahr und Verlust.
Das Tor zur Traumstraße ist der Surfer-Treffpunkt Torquay. Hier erinnert das Surfworld-Museum in einer "Hall of Fame" an Stars wie Jason Polakow, der im Ort wohnt - nur wenige Kilometer vom Bells Beach entfernt. In der kleinen Bucht der großen Brecher, berühmt geworden durch den Film "Point Break" ("Gefährliche Brandung") mit Keanu Reeves und Patrick Swayze, tragen alljährlich zu Ostern die 45 besten Surfer der Welt mit dem Rip Curl Pro das älteste Rennen der World Championship Tour aus. Das Publikum picknickt dazu am Strand.
Torquay liegt an einem kleinen Schlenker der Great Ocean Road. 320 Kilometer lang folgt die Panoramastraße den Steilklippen aus Sandstein, die den Southern Ocean vom hügeligen Hinterland mit seinen uralten Regenwäldern und tosenden Wasserfällen trennen. Nur mit Pickel und Schaufel schlugen 3000 Soldaten in den Jahren 1919 bis 1932 die Straße in den Fels - der Bau war Arbeitsbeschaffung für die Heimkehrer aus dem Ersten Weltkrieg und bedeutete die Erschließung einer Region, die bis dahin nur per Schiff erreichbar war.
Mehr als 200 Schiffe liefen auf Grund
Lorne zum Beispiel war seit 1879 ein beliebter Badeort gut betuchter Gäste aus Melbourne, die per Schiff anreisten und luxuriös im "Grand Pacific Hotel", dem ältesten Badehotel im Bundesstaat Victoria, logierten. Sie promenierten auf der Mountjoy Parade, die heute Szene-Boutiquen und Cafés säumen, und ließen - streng nach Geschlechtern getrennt - beim "lawn bowling" stilvoll die schwarze Kugel über den akkurat geschnittenen Rasen rollen.
Zwischen Apollo Bay und Princeton schlängelt sich die Great Ocean Road durch den Regenwald des Otway National Parks. Unter uralten Eukalyptusriesen recken sich Baumfarne fast fünf Meter hoch, stürzen Wasserfälle über Granitfelsen und plätschern Bäche unter umgestürzten Stämmen, die sich Orchideen und der australische Ameisenigel Echidna teilen. Ganz selten leuchtet der rote Schopf des Königspapageis aus dem urzeitlichen Grün.
Den spektakulärsten Teil der Steilküste schützt der Port Campbell National Park. Dieser Abschnitt trägt zu Recht den Namen Shipwreck Coast: Mehr als 200 Schiffe liefen an den Riffs auf Grund.
Tragische Berühmtheit erlangte der Untergang der "Loch Ard". Am Morgen des 1. Juni 1878 zerschellte der Dreimaster im dichten Nebel an der 100 Meter hohen Wand von Mutton Bird Island. Nur 2 der 54 Passagiere überlebten: Der 18-jährige Tom Pearce schwamm mit der ein Jahr jüngeren Eva Carmichael, die sich im Nachthemd an einen Balken geklammert hatte, in die kleine Bucht, die heute den Namen des Unglücksseglers trägt. Er kletterte mit letzter Kraft die Klippen hinauf und folgte Pferdespuren, die ihn zu einer Schaffarm brachten. Pearce' heroische Tat machte die beiden in den Medien zum Liebespaar des Jahrhunderts - was die jungen Leute aber gar nicht waren.
Kinderstube für den Südlichen Glattwal
Am eindrucksvollsten wirkt der Port Campbell National Park aus der Luft. Spätnachmittags startet Pilot Chris in einem Bell 206 Jetranger Hubschrauber vom "12 Apostles Heliport" in Port Campbell zu einem Rundflug. Bis auf wenige Meter wagt sich der Pilot an die Klippen heran. Die Kraft von Wind und Wellen hat überall hier an der Küste Schluchten ins Land geschlagen, riesige Höhlen ausgewaschen und Kamine geschaffen, durch die das Meer seine Wogen presst.
Zum Wahrzeichen der Great Ocean Road wurden die "Zwölf Apostel". Bis zu 65 Meter ragen die ockerfarbenen Felsen aus den stürmischen Fluten, die seit Jahrtausenden am weichen Kalkstein nagen. So stürzte Anfang Juli einer der "Apostel" in sich zusammen. Und im Januar 1990 fiel die "London Bridge" ohne Vorwarnung ins Meer. Die Besucher des natürlichen Brückenbogens, plötzlich auf einem Felsdorn im Ozean isoliert, mussten per Helikopter gerettet werden.
Im Mai und September wird die stürmische See zur Kinderstube der Südlichen Glattwale. Im alten Walfängerort Warrnambool, der seine Vergangenheit im "Flagstaff Hill Maritime Museum" idyllisch verklärt, lassen die bis zu 18 Meter langen und bis zu 80 Tonnen schweren Säuger beim "Whale Watching" die Kassen klingeln: Die Walbeobachtung mit Führer am Logan's Beach oder im Ausflugsboot ist trendy - und damit teuer.
Eine letzte Bucht, dann endet die Great Ocean Road in Port Fairy. Das Fischerstädtchen am River Moyne hat seinen Kolonialcharakter in die Gegenwart gerettet. Mehr als 50 historische Gebäude betreut hier der National Trust - darunter auch das "Caledonian Inn", das 1844 als erster Pub Victorias Alkohol ausschenken durfte. Aus den Zapfhähnen fließt bis heute das Kultbier der Küste: "VB", Victoria Bitter.