
Hanoi bis Ho-Chi-Minh-Stadt: Biker-Traum in Vietnam
Motorrad-Tour durch Vietnam Hupway Number One
Der Busfahrer brüllt, neben uns quetscht sich eine Familie, die er gegen Bares auf unsere Sitzplätze gelassen hat. Als der Bus losfährt, lässt der Fahrer seine Laune an der Straße aus, die von Sapa in Nordvietnam auf engen Serpentinen durch die Berge in Richtung Hanoi führt. Vorbei an tiefen Schluchten, nur selten gibt es Leitplanken. Vor wenigen Tagen wirkte diese Straße bei einem Ausflug auf geliehenen Motorrädern noch romantisch. Doch im Bus macht sich Todesangst breit. "Wenn wir das überstehen, dann kaufen wir uns Motorräder", schwören wir uns.
Zehn Stunden später kommen wir in Hanoi an und geben uns die Hand, um unser Vorhaben zu besiegeln. "Ihr wollt nach Ho-Chi-Minh-Stadt?", hatte Bas gesagt, ein Holländer, den wir im Hochland getroffen hatten. "Kauft euch Bikes, die kriegt man überall."
Nach einer dreitägigen Suche geht in einer Werkstatt in Hanoi das Geld für zwei Honda Win über den Tresen. Die Verkäufer, zwei junge Amerikaner, versprechen, alle Hobel einer gründlichen Inspektion zu unterziehen, sie "bis auf den Rahmen auseinander und wieder zusammen zu bauen".
Einen Führerschein hat nur einer von uns, doch das scheint in Vietnam niemand zu stören. Prüfen könnte die Papiere eh keiner. Auf 6,5 Millionen Menschen kommen in Hanoi fünf Millionen Zweiräder. Es scheinen alle gleichzeitig unterwegs zu sein, als wir die Bikes erstmals auf die Straße schieben - und unsere erste Lektion lernen. Anhalten an der roten Ampel? Töricht! Hunderte drücken gleichzeitig auf die Hupe, der Verkehr rollt auf die Kreuzung, direkt in den sich nähernden Strom aus Fahrzeugen aus der Seitenstraße. Wie von einem Choreografen inszeniert, findet jeder seinen Weg, nicht alle verringern dabei ihre Geschwindigkeit.
Lektion 1: Mechaniker sind die besten Freunde
Es sind etwa ein Dutzend Kreuzungen bis zum Hotel. Ein Dutzend wütende Hupkonzerte. Doch nun ist es zu spät für Zweifel. Am nächsten Tag wollen wir Hanoi hinter uns lassen - und auf dem Highway One Vietnam bereisen.
Die Fernstraße zieht sich von der chinesischen Grenze durch das Land bis zum Mekong-Delta. Er führt vorbei an Nationalparks und tropischen Wäldern, über eine Strecke von 2000 Kilometern, gesäumt von Reisfeldern, Kokos- und Bananenplantagen. Von Hanoi geht es über Ninh Binh und Ha Thin zur alten Kaiserstadt Hue, vorbei an Danang zum Unesco-Weltkulturerbeort Hoi An, über Quang Ngai zum Strandparadies Nha Trang, durch das Fischerdörfchen Mui Ne zur Metropole Ho-Chi-Minh-Stadt.
Die Route ist klar. Wir sind bereit. Das Material ist es nicht.
Ein Hotelier in Ninh Binh erschrickt, als er die Maschinen sieht. "Damit könnt ihr nicht weiterfahren", sagt er kopfschüttelnd. Ob es an der Öllache liegt, die sich unter unseren Maschinen in seiner Garage ausbreitet, oder an der nicht funktionierenden Elektrik, wissen wir nicht. Es ist zwar das Tet, das vietnamesische Neujahrsfest. Aber der Mann vermittelt uns an einen Freund, der eine Werkstatt hat. Der Feiertag hatte bisher zwar leere Straßen, aber auch geschlossene Werkstätten beschert.
Beim Mechaniker Mick angekommen, braucht es keine Vietnamesisch-Kenntnisse, um zu begreifen, was sein breites Grinsen und der spöttische Fingerzeig auf die Bikes bedeuten.
Lektion 2: Nichts hält so lange wie ein Provisorium
Hinter der Garage sehen wir seine Eltern, die uns keines Blickes würdigen. Tet wird im Kreise der Familie verbracht, wir sind ein Störfaktor. Doch Mick lässt sich das Geschäft mit verzweifelten Westlern nicht entgehen. Nach und nach kommen Freunde dazu, schenken uns Tee ein, rauchen Wasserpfeife, helfen mit, reden durcheinander und geben uns amüsiert zu verstehen, was sie von unseren Maschinen halten. Ein junger, hagerer Kerl von kaum 20 Jahren will unsere Hondas kaufen. Sein Angebot von einer Schachtel Zigaretten lehnen wir ab.
Mick zwinkert uns zu und versichert, die Reparatur sei kein Problem. Aus blankem Kupfer dreht er mit öligen Fingern neue Kabel, als Isolierung fungiert das Plastik einer Einkaufstüte, das mit einem Feuerzeug darum geschmolzen wird. Ein Stück Weißblech aus einer Bierdose verleiht dem losen Achslager Stabilität. Immerhin: Die Motordichtung ist neu und originalverpackt. Nach drei Stunden sind die Motorräder fit, wir geben Mick 40 statt der geforderten 35 Dollar. Zum Abschied winken er und seine Freunde uns hinterher. Sogar die Eltern heben zum Abschied die Hand.
Wenn man bloß auch am Wetter schrauben könnte! Dauerregen hat die Straßen überschwemmt, an einen Tagesausflug in den Nationalpark ist nicht zu denken. Also geht es weiter nach Hue. In der alten Kaiserstadt an der Küste kommt die Sonne hervor. Endlich. Es scheint, als wolle sich Vietnam für den problematischen Einstieg entschuldigen und fährt ein wahres Überangebot an Sinneseindrücken auf. Die Reisfelder und Wälder strahlen grün, es wirkt, als hätte das Nebelgrau der letzten Tage die Farbsättigung unserer Augen hochreguliert.
Lektion 3: Vergiss den Schulterblick!
Auf den Seitenstreifen zum Trocknen ausgelegte Ernten - weiße Rüben, braune Nelken, gelbe Feldfrüchte - hüllen ganze Landstriche in Duftwolken. Außerhalb der Ortschaften gibt es kleine Truck-Stops, in deren Hängematten wir uns erholen, bevor es wieder auf die Straße geht.
In den Verkehr zu stoßen, ohne zu blinken oder gar sich umzudrehen, ist inzwischen Routine. Die halbe Sekunde, die ein Schulterblick dauert, kann die entscheidende sein, die man besser geradeaus geblickt hätte. Die Hupe ist das wichtigste Instrument am ganzen Motorrad, noch vor der Bremse, und wird weitaus häufiger als diese eingesetzt. Zwischen Danang und Hoi An nähert sich ein altes Mütterchen auf einem Moped und lässt uns den Seitengraben als einzigen Ausweg. Mal wieder. Die Hupen bleiben stumm, Rufe verhallen ungehört. Der Versuch einer Vollbremsung führt zum gemächlichen Ausrollen im Graben. Das ist noch mal gut gegangen.
Um die Technik zu überprüfen, steht kurz vor Hoi An wieder ein Werkstattbesuch an. "Nein, nein, Bremse ok", sagt der Inhaber. Seine Finger berühren die Taste der Hupe. Kein Ton. Seine Augen werden groß, aufgeregt stammelt er: "Keine Hupe! Nicht gut, gar nicht gut. Sofort reparieren." Er macht sich daran, die losen Kabel zu löten. Die Prioritäten liegen anders auf den Straßen Vietnams.
Lektion 4: Sammle Kräfte, wo du kannst
Nach der alten Handelsstadt Hoi An geht es weiter in Richtung Süden. Der Asphalt des Highway One, so vorhanden, simmert in der Hitze. Bei Quang Ngai führt die Strecke am Südchinesischen Meer entlang - wir kriegen Badelust. In Nha Trang empfangen uns die dröhnenden Beats unzähliger Bars und Massen westlicher Urlauber. 200 Kilometer weiter, in Mui Ne an der Südküste, geht es etwas ruhiger zu - aktiv sind nur die Kite-Surfer auf dem Wasser. Der Ort ist wie geschaffen, um Kräfte zu sammeln für das, was nun kommt.
Ho-Chi-Minh-Stadt ist kulturelles und wirtschaftliches Zentrum des Landes. Die Außenbezirke beginnen 40 Kilometer vor der Stadt. Der Verkehr ist selbst nach langer Eingewöhnungsphase auf Vietnams Straßen eine Herausforderung. Roller und Motorräder quetschen sich in Lücken, auf den ersten Blick nur halb so breit wie das Gefährt.
Im Zentrum der Stadt angekommen, können sich die Maschinen abkühlen und die Nerven beruhigen. Kaum einen Tag später gibt es bereits Interessenten für die Hondas. Das Abenteuer lockt, Hanoi ist das Ziel eines Reisenden, der uns einen guten Preis für eins der Bikes bietet. Erfahrung mit Motorrädern? "Nein, ich hab nicht mal einen Führerschein, aber die Tour machen doch viele, das soll cool sein."
Die fehlende Fahrerlaubnis war tatsächlich nie ein Problem. Wieso zögern wir dann und schütteln die Köpfe über den Enthusiasmus dieses jungen Kerls? Alles, was uns von ihm unterscheidet, ist: Wir haben die Fahrt bereits hinter uns.