
Kap Hoorn: Zwischen Himmel und Hölle
Im Luxusschiff zum Kap Hoorn Hagelschauer und Birchermüsli
Kap Hoorn kommt in Sicht, der mythische Felsen am wildesten Ende der Welt, und es scheint, als habe jemand an höherer Stelle einen Sinn für Melodramatik. Wie für diesen Augenblick bestellt, öffnet sich der Himmel. Ein Lichtstrahl dringt durch die Wolken und erhellt das Sturmkap, als richte jemand einen Scheinwerfer auf das graue Gestein - eine Szene wie in einem Gemälde von Emil Nolde.
Kapitän Hans Peter Jürgens steht auf dem Brückendeck, etwas abseits einer Gruppe von Passagieren, die versuchen, die Magie des Moments in ihre Digitalkameras zu bannen. Er lächelt in sich hinein, er wirkt glücklich, auch wehmütig, seine Augen sind feucht. Was er empfindet? Die Frage erübrigt sich, denn der 85-Jährige würde nicht darüber reden wollen. Er würde die Tränen in seinen Augen mit dem Wind erklären. Es ist ein bewegender Augenblick, auch für jene, die das Kap nicht mit einem Segelschiff bezwungen haben.
1939, als Jürgens Schiffsjunge an Bord der "Priwall" war (lesen Sie hier Teil eins der Geschichte), bekam er das Kap der Stürme nicht zu sehen. Um gegen den Wind zu kreuzen, benötigte die Viermastbark Platz, und aus Vorsicht vor Kap Hoorn, berüchtigt auch durch die Erzählungen von Jules Verne oder Herman Melville, hielt man einen Abstand von vielen Seemeilen ein. Jürgens erinnert sich daran, dass er Kohlen für die Kombüse holte, als er Steuerbord voraus die Staateninsel sah, die Kap Hoorn vorgelagert ist, einen weißen Streifen in der Ferne. "Einer der Offiziere, der an Deck vorbei kam, raunte mir zu: 'Junge, sieh es dir genau an: Dahinten ist der Eingang zur Hölle.'"
Hier liegen viele gute Männer
Auf der Brücke der "MS Deutschland", die mit ihren kraftvollen Dieselmotoren ganz nahe an der Felswand vorbeifahren kann, lässt Kapitän Andreas Greulich das Schiffshorn ertönen. Greulich, Ende 40, ein Mann mit fein rasiertem Schnurrbart und nach hinten gekämmten Haaren, geht auf den Kap Hoornier zu und nimmt Haltung an. Er sagt: "Herr Kapitän, es ist eine Ehre, Sie an Bord zu wissen. Wir haben großen Respekt vor Ihrer Leistung." Dann führt er die Hand zur Mütze und salutiert.
Jürgens erwidert die Geste, doch ihm scheint die Szene fast ein wenig unangenehm zu sein. "Ich fahre seit 30 Jahren zur See und komme zum dritten Mal am Kap vorbei", sagt Greulich etwas später, "und jedes Mal ist es etwas Besonderes. Es mag etwas pathetisch klingen, aber hier liegen viele gute Männer. Mich berührt das sehr."
Mehr als 10.000 Seeleute ertranken nach Schätzungen vor Kap Hoorn, dem vermutlich größten Schiffsfriedhof der Welt. Selbst für moderne Containerschiffe kann das Seegebiet, in dem sich zwei Ozeane vereinen und die Strömungen tückisch durcheinander laufen, im Orkan gefährlich sein. Kapitän Greulich betont, dass die Leistung alter Tage, das Kap ohne GPS, ohne elektronische Seekarte und Motorenkraft zu bezwingen, Mut erforderte, Ausdauer und Kraft: "Ich rate jungen Offizieren gerade hier: Verliert niemals den Respekt vor der See."
Die nächste Herausforderung steht wenige Minuten später für den Lotsen an, der vom Kreuzfahrtschiff auf ein Schnellboot der chilenischen Marine umsteigt, was angesichts des Wellengangs nicht ungefährlich ist. Dann geht ein Hagelschauer nieder, tausend kleine Nadeln im Gesicht, und die Passagiere strömen ins Warme, zu Kaffee, Birchermüsli und Vollkornbrot ans Frühstücksbuffet.
Die "Deutschland" geht auf südlichen Kurs. Auch die knapp 800 Seemeilen weite Drake-Passage zwischen Amerika und der Antarktis hat einen üblen Ruf, doch heute scheint die Sonne aus einem tiefen, klaren Himmel. Als Kap Hoorn hinter dem Horizont verschwindet, erinnert das Meer an die Kieler Förde während einer Butterfahrt. Jürgens lehnt in einem der Teakholzstühle vor der Bar "Alter Fritz", neben ihm Axel Prahl, der Schauspieler und Tatort-Kommissar, der abends aus der Biografie "Sturmkap" lesen wird und auch dem gleichnamigen Hörbuch seine Stimme lieh .
Ein Song für den Kapitän
Der 49-jährige Prahl ist mit seinem Vater, einem ehemaligen Seemann, an Bord gekommen. Er sagt, ihn fasziniert die Geschichte des alten Kap Hoorniers. Der Kapitän strahle so eine Würde und Herzlichkeit aus: "Der Durchhaltewillen seiner Generation, immer weiterzumachen, zu kämpfen, das imponiert mir", sagt Prahl. Zu Ehren des Käptns hat er ein Lied geschrieben, eine Art Shanty, der selbst die vornehmen Gäste unter den Kronleuchtern des Kaisersaals zum Singen animiert: "Reise, Reise, alle Mann an Deck!"
Der Kapitän und der Schauspieler tunken Buletten in süßen Senf und sehen Sturmvögeln und auch einem Albatros zu, die der "Deutschland" folgen. Nach einem alten Aberglauben tragen Albatrosse die Seelen ertrunkener Seeleute, was damals die Besatzungen von Segelschiffen aber nicht davon abhielt, die mächtigen Vögel, die ihre Flügel bis zu drei Meter weit spannen können, zum Amusement zu fangen. "Sie wurden an Deck seekrank und torkelten wie Betrunkene umher", erinnert sich Jürgens, "wir lachten und warfen sie zurück ins Meer."
Von weitaus mehr Respekt für die edlen Tiere zeugt heute auf Kap Hoorn ein Denkmal in Form einer Albatros-Silhouette, das an alle Ertrunkenen erinnert. Darauf steht ein Vers der chilenischen Dichterin Sara Vial aus dem Jahr 1992:
"Ich bin der Albatros, der am Ende der Welt auf dich wartet. Ich bin die vergessene Seele der toten Seeleute, die Kap Hoorn ansteuerten von allen Meeren der Erde. Aber sie sind nicht gestorben im Toben der Wellen. Denn heute fliegen sie auf meinen Flügeln in die Ewigkeit."