Pazifikinseln von San Blas in Panama: Vom Untergang bedroht
Pazifikinseln von San Blas in Panama: Vom Untergang bedroht
Foto: Andrea Comi / Getty Images

Insel-Reise um die Welt »Ein planetarisches Spektakel«

Nicht jede Insel ist so ein Traum. Alastair Bonnett ist um die Welt gereist, um künstliche Inseln zu besuchen, Inseln, die untergehen, und Inseln, die aus dem Meer aufsteigen.
Von Antje Blinda

Inseln sind in der Coronakrise so etwas wie Zufluchtsorte. Abgeschieden, kontrollierbar, abgegrenzt – das ist zumindest die Hoffnung. Bei den Reiseveranstaltern boomen Buchungen für die Malediven, die Seychellen, Kuba und für den Sommer für Kreta, Mallorca, Rhodos.

Aber abgesehen von Sars-CoV-2, das diese Ziele so besonders attraktiv macht, gibt es noch ein anderes Virus, das dorthin zieht und fortwährend quält: das Insel-Virus. Oder besser: Inselsehnsuchts-Virus, denn – sagen wir es deutlich – so richtig cool ist es gerade nicht, dorthin zu reisen.

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Inseln: Von Menschen erbaut, im Meer versunken

Foto: MATTHIAS SEIFERT/ REUTERS

Alastair Bonnett ist davon befallen. »Ich liebe Inseln. Sie bieten die Möglichkeit zu Neuem, zu Hoffnung«, schreibt er in seinem nun auf Deutsch erschienenen Buch »Das Zeitalter der Inseln«. Der britische Sozialgeograf, der auch schon über »Die allerseltsamsten Orte der Welt« (veröffentlicht 2015) spannend erzählen konnte, ist rund um den Globus gereist, um eine wilde Auswahl an Inseln zu besuchen. »Noch der trostlosesten Insel haftet etwas Utopisches an«, behauptet er.

Seine Erlebnisse aus der Vor-Corona-Zeit unterhalten, vor allem jetzt, wo diese Ziele utopischer denn je klingen. Hier ein Spoiler-Alarm: Um einsame Inseln mit Palmen wie auf dem Bild oben geht es bei ihm selten.

Vielmehr erforscht Bonnett, wenn er nicht gerade auf Inseljagd ist, seit mehr als 30 Jahren, wie Mensch und Umwelt sich gegenseitig formen – zurzeit an der Universität Newcastle upon Tyne. Er beginnt sein Buch in Nuku'alofa auf Tonga, wo er im Unwetter ausharrt, in der Hoffnung, Hunga Tonga-Hunga Ha'apai zu erreichen. Die Mini-Insel wurde 2015 bei einem spektakulären unterseeischen Vulkanausbruch geboren – heute stehen darauf ein paar Kokospalmen, gepflanzt von Bronko, dem Bootsführer, der versucht, Bonnett dorthin zu schippern. »Der Aufstieg und Fall von Inseln ist eine intime Sache, eine Sache der ganz persönlichen Empfindung, gleichzeitig aber auch ein planetarisches Spektakel«, so der Geograf.

Geburt einer Insel vor Tonga (2015)

Geburt einer Insel vor Tonga (2015)

Foto: Mary Lyn Fonua/ AFP

Bonnett nutzt den Knalleffekt der Inselgeburt auch, um im Buch in einem Gespräch mit einem Kollegen das Werden und Vergehen von Inseln zu erörtern, dazu Vulkanismus und Weltklima: »Besonders frappierend finde ich seine Einschätzung, dass ›der größte Ausbruch des 20. Jahrhunderts der des Pinatubo 1991 war, und seine abkühlende Wirkung war über die Jahre fast genauso stark wie die menschengemachte Erwärmung im gesamten 20. Jahrhundert‹.« Bonnett schafft es immer wieder, Wissenschaftliches und Historisches unterhaltsam anschaulich darzustellen.

»Viele Inseln des 21. Jahrhunderts sind ein Hingucker, schreiend unnatürlich.«

Alastair Bonnett

In unserem Zeitalter entstehen allerdings weit mehr Inseln auf künstliche Weise: Bohrinseln, aus Sprüheis aufgebaut, Flughafeninseln aus planierten natürlichen Inseln, militärische Stützpunkte auf zermahlenen und zubetonierten Korallenriffen – und immer wieder Inseln für die Tourismusindustrie und den Immobilienwahn. Die vor Dubais Küste aufgehäuften Formationen Palm Jumeirah und The World etwa, die wegen des steigenden Meeresspiegels wohl nur ein paar Jahrzehnte bewohnbar sein werden. Bonnett kämpft sich dort im Regen über eine »Jordanien« getaufte Insel und quartiert sich auf The Palm bei einem jungen Expat-Pärchen ein.

Oder die Phoenix und Ocean Flower Islands vor Hainan, Chinas schillernde Freizeit- und Wohninseln, wo sich der Brite als wohl einziger Westler wiederfindet und über den rasanten Aufstieg des Landes sinniert. »Viele Inseln des 21. Jahrhunderts sind ein Hingucker, schreiend unnatürlich. Sie sind verrückt«, schreibt Bonnett. »Doch mit diesem grenzenlosen Ehrgeiz verbindet sich Hoffnung, denn alles scheint möglich.« Er sei irritiert gewesen und zugleich begeistert »ob der Kühnheit und Kreativität unseres Inselzeitalters«.

»Die Schönheit der Scilly-Inseln ist durchzogen von Zerbrechlichkeit und Melancholie.«

Alastair Bonnett

Gleichzeitig ist der Tod der Inseln nahe – zerstört durch Vulkane, Erdbeben oder auch durch Nutzung als Atommüllhalden oder Sandraub und überflutet von den ansteigenden Meeren. Alastair Bonnetts Inselreise führt ihn auch zu solchen Archipelen, die im Wasser versinken. Vor den tropenidyllischen San-Blas-Inseln vor Panama lässt er sich vom Kapitän Tom von einer Jacht aus die bereits verschwundenen Inseln zeigen: »Geblieben sind seichte Stellen, die mitunter durch ein paar Stöcke und einen Wellenkamm markiert sind.« Dem Indigenen Justino droht die baldige Evakuierung: »Wir gehen weg, alle«, sagt er Bonnett. Das Volk der Kuna kämpft mit allen Mitteln einen bereits verlorenen Kampf.

Wieder zurück in der Heimat bleibt noch ein Trip vor die Haustür: auf die Scilly-Inseln vor Cornwalls Küste, zum westlichsten Punkt Großbritanniens, der schon seit Jahrtausenden langsam im Meer versinkt: »Alte Steinmauern laufen ins Meer hinein; zahlreiche Grabstätten drängen sich auf Felseninselchen, die einmal Bergkuppen waren.« Stürme nagen an der Küste, der Atlantik schwappt dann über die Türschwellen. Die Hoffnung der Insulaner: eine Felsenpanzerung im Nordwesten der Hauptinsel St. Mary's. Als er wieder abfliegt, habe er einen hübschen Ort verlassen, sagt Bonnett, »aber nicht das Paradies. Wie bei so vielen Inseln ist auch die Schönheit der Scilly-Inseln durchzogen von Zerbrechlichkeit und Melancholie.«

Das Buch »Das Zeitalter der Inseln« erzählt nicht über Urlaubsidyllen, sondern über das, was sie bedroht. Nicht über Palmen am Strand, sondern über den Müll darunter. Und über die Zerstörungswut der Menschen. »Die große Frage ist: Ist es möglich, all diesen Wagemut und Erfindungsreichtum für Pläne zu nutzen, die nachhaltig und für einen bedrohten Planeten von Wert sind?«, schließt Bonnett sein Buch.

Am Ende löst der Inselfan bei seinen Leserinnen und Lesern aber doch noch Fernweh aus: »Es war die Reise, um die es ging. Das Herzstück jeder Insel ist das Wasser, das man auf dem Weg zu ihr überquert hat.«

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