
Kaltenbrunner und der K2 Triumph am Schicksalsberg
Ohne den K2 wäre Gerlinde Kaltenbrunner vielleicht niemals Höhenbergsteigerin geworden. Denn als sie im Jahr 1986 einen Diavortrag über den zweithöchsten Berg der Welt sah, wurde der damals 16 Jahre alte Hobby-Kletterin klar, dass ihr die österreichischen Alpen zu klein waren.
Sie träumte nun von Achttausender-Besteigungen im Karakorum und Himalaja - obwohl sie schon damals um die enormen Gefahren wusste, die in der dünnen Höhenluft lauerten. Denn ebenfalls im Jahr 1986 starb der aus ihrer österreichischen Heimatgemeinde Spital am Pyhrn stammende Bergsteiger Alfred Imitzer in einer Horror-Unwettersaison am K2, in der insgesamt 13 Menschen ums Leben kamen.
25 Jahre später, am Dienstag um 18.18 Uhr, steht Kaltenbrunner auf dem Gipfel ihres persönlichen Schicksalsberges. Denn der 8611 Meter hohe Gigant hat sie nicht nur zum Höhenbergsteigen inspiriert. Er hat ihr auch viele Male ihre Grenzen aufgezeigt und sie immer wieder zum Umkehren gezwungen. Bei ihrem sechsten Besteigungsversuch 2010 starb ein guter Freund von ihr kurz vor dem Gipfel, Fredrik Ericsson. Sie stand wenige Meter entfernt am Eishang, als der Schwede 1000 Meter in die Tiefe stürzte.
Der K2 als "Geschenk"
Jetzt, bei ihrem siebten Versuch, wurde sie zur ersten Frau, die alle Achttausender ohne künstlichen Flaschensauerstoff erreichte.
Vom Gipfel funkte die 40-Jährige an ihren Ehemann Ralf Dujmovits im Basecamp, dass es ein Geschenk sei, bei schwierigen Verhältnissen im Aufstieg gemeinsam das Ziel erreicht zu haben. Das "gemeinsam" bezog sich auf ihre drei Begleiter, die beiden Kasachen Wassilij Piwzow und Maksut Schumajew und den polnischen Filmemacher Darek Zaluski. Und dieses "gemeinsam" ist bemerkenswert, weil Kaltenbrunner im Moment ihres größten persönlichen Triumphs auch die anderen einbezog, die erst einige Minuten nach ihr ganz oben standen.
Der Wettkampf-Gedanke des Alpinismus hat die gelernte Krankenschwester nie sonderlich interessiert. Als Teenager trat sie aus dem Skiclub aus, weil sie nicht gegen Freundinnen um Bestleistungen kämpfen wollte. Als es im vergangenen Jahr darum ging, wer als erste Frau auf sämtlichen 14 Achttausendern steht, betonte sie immer wieder, dass diese Höhenbergsteiger-Olympiade ihr nicht wichtig sei.
Mit dem Gipfelerfolg am Dienstag hat sie nun quasi die Bronzemedaille der Extremalpinistinnen gewonnen, hinter der Südkoreanerin Oh Eun Sun, deren Besteigung des Kangchendzönga allerdings stark angezweifelt werden muss, und der Spanierin Edurne Pasaban.
Doch Kaltenbrunners Triumph spielt in einer anderen Liga, weil sie die Berge im Alpinstil erklettert hat: Nur 13 Menschen schafften bislang sämtliche Achttausender-Gipfel ohne Sauerstoff aus der Flasche, um den Aufenthalt in der dünnen Luft der Todeszone erträglicher zu machen.
Dreifacher Triumph auf dem Gipfel
Nummer elf dieser Liste der Extremst-Leidensfähigen ist nun Kaltenbrunner, auf Nummer zwölf und 13 folgen ihre kasachischen Teammitglieder Piwzow und Schumajew: Nie zuvor hat es eine Expedition gegeben, bei der gleich drei Höhenbergsteiger an einem Tag diese Bestmarke erreichten.
Der Triumph im Team, 25 Jahre nach dem Diavortrag, der ihre Karriere begründete, an einem Berg, der sie sechsmal zur Umkehr gezwungen hat: Kein Hollywood-Drehbuchschreiber hätte einen besseren Abschluss ihrer Achttausender-Serie erfinden können. Der Mangel an zwischenmenschlichen Konflikten, an Intrigen und Konkurrenzkampf würde den Plot etwas abschwächen, als Ausgleich dafür gibt es immerhin eine Liebesgeschichte: Seit Jahren geht Kaltenbrunner mit ihrem Mann Ralf Dujmovits auf die Berge, dem einzigen Deutschen, der alle Achttausender bestiegen hat.
Den hängt sie in letzter Zeit regelmäßig ab: Sowohl 2010 am K2 und am Mount Everest als auch in diesem Jahr brach er die Touren vor seiner Frau ab - zweimal aus gesundheitlichen Gründen, diesmal, weil er glaubte, dass die Lawinengefahr dort oben zu groß sei. Es muss ein schwerer Abschied am Berg gewesen sein. In einem Interview beschrieb Kaltenbrunner einmal solche Momente: "Einen Augenblick tief durchschnaufen. Wir schauen uns einfach nur an, und da ist ein ganz klares Verständnis, dass wir uns hinterher wiedersehen."
Der K2 im Karakorum-Gebirge ist nicht der höchste Achttausender, gilt aber als der schwerste: 306 erfolgreiche Gipfelbesteigungen gab es dort laut 8000ers.com, 80 Menschen bezahlten den Versuch mit ihrem Leben: Statistisch kommt auf vier erfolgreiche Besteigungen ein Todesfall. Zum Vergleich: Der Gipfel des Mount Everest wurde bis 2010 insgesamt 5101 mal erreicht, dort gab es 219 Todesfälle.
Der höchste Karakorum-Gipfel wird immer gefährlicher
Der K2 ist berüchtigt für unsichere Wetterbedingungen und eine immense Lawinengefahr, auch technisch verlangen einige Passagen den Extrembergsteigern alles ab. Unter Alpinisten heißt es zudem, die Bedingungen am Berg seien in den letzten Jahren immer ungemütlicher geworden. Kaum berechenbar ist die Lawinengefahr am sogenannten Flaschenhals auf der am häufigsten begangenen Route. Deshalb entschloss sich Kaltenbrunner, diesmal von China aus über die Nordflanke aufzusteigen, die viel seltener genutzt wird.
Wenn man ihre vorherigen Expeditionen auf den K2 über die Cesen-Route betrachtet, hat sich Kaltenbrunner immer weiter nach oben gearbeitet: 2007 versuchte sie es zweimal, musste aber wegen heftigen Schnees und Sturms auf 8100 Metern umkehren. 2009 kam sie ein paar Höhenmeter weiter und 2010 sogar bis auf 8300 Meter, der Gipfel schien zum Greifen nah. Doch dann verunglückte der Schwede Ericsson, der auf Skiern die Bergflanken abfahren wollte, und Kaltenbrunner gab abermals ihre Gipfelträume auf.
Jede Achttausender-Expedition kostet viel Geld für Material und Lizenzen. Die Akklimatisierung dauert mehrere Wochen, Zeltplätze und Depots müssen errichtet und Pfade gespurt werden. Ein Umkehren kurz vor dem Gipfel ist keine leichte Entscheidung, egal wie unwirtlich die Bedingungen sind. Deshalb spricht es für die alpinistische Erfahrung und Vernunft der Österreicherin, dass sie sechs erfolglose K2-Expeditionen überlebt hat.
Einmal kam ihr jedoch auch das Glück zu Hilfe: Im Sommer 2008 war sie krank und sagte deshalb ihre geplante Expedition ab. Am 1. August waren die Wetterbedingungen im Gipfelbereich so gut wie selten, 18 Menschen erreichten den höchsten Punkt des K2. Wäre Kaltenbrunner am Berg gewesen, hätte sie ohne Zweifel ebenfalls dieses Schönwetterfenster genutzt. Als die Gipfelstürmer abstiegen, fegte eine heftige Lawine die Bergflanke hinab: Elf Menschen starben in der schlimmsten Katastrophe, die sich je am K2 ereignet hat.
Danach dauerte es drei Jahre, bis wieder ein Mensch den Gipfel erreichen konnte: Gerlinde Kaltenbrunner, die beste Höhenbergsteigerin der Welt.