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Ökotourismus in Ecuador: Leinen los

Foto: Samuel Schlaefli

Kochschiffprojekt in Ecuador "Touristen wollen nicht jeden Abend Bohnen mit Reis"

Die Einheimischen im Amazonasbecken hüten einen Schatz. Auf dem Kochschiff eines Schweizers lernen sie nun, ihn Reisenden schmackhaft zu machen - und sich ihre Welt besser zu kochen.
Von Samuel Schlaefli

Als unsere Flussfähre morgens um sieben Uhr ablegt, liegt der Rio Napo noch in dichtem Nebel. Vom mächtigen Fluss ist lediglich ein dünner Streifen dreckigen Brauns zu sehen. Das Grün des endlosen Regenwaldes am anderen Ufer lässt sich nur erahnen. Wir sind im Amazonasbecken Ecuadors, genannt Oriente, hundert Kilometer südlich des Äquators, wo die Sonne nicht scheint, sondern brennt und die Luft fast so feucht ist wie der Schweiß, der einem tagsüber aus allen Poren rinnt.

Nach Ankunft auf der anderen Flussseite balanciert David Höner über eine Holzlatte zum Ufer. Er kauft einen Sack Wachteleier und macht eine erste Runde über den Markt von Pompeya, zu dem Kichwa aus den benachbarten Dörfern jeden Samstag mit Kanus fahren. Er vergleicht Preise, prüft die Qualität des Gemüses und scherzt mit den Verkäuferinnen. Man merkt sofort: Höner ist vertraut mit den Menschen und Produkten des Landes.

Mit dem Kochlöffel für den Frieden

Seit über 20 Jahren lebt der Schweizer Koch und Weltenbummler in Ecuador. Mit Säcken voller Zwiebeln, Tomaten und Bohnen bahnt sich der 62-Jährige den Weg zurück auf die Flussfähre. Dort wird er von 18 Kichwa erwartet. Teenager, aber auch Frauen um die 40 sind dabei. Seit einer Woche sind sie Höners Schüler; lernen auf seinem Schiff wie man Europäer mit Lebensmitteln aus dem Amazonas und etwas Kreativität begeistert, wie man Menüpreise kalkuliert und Amerikaner begrüßt.

Die Lernenden sollen die Speerspitze des Tourismus im Oriente werden und auch Landsleuten bei Tisch die Hände reichen. Heute kochen die Kichwa für die Waorani. "Mit Kochen und Essen kann man Glück produzieren", sagt Höner mit seiner rauen Stimme. "Davon ausgehend lassen sich Brücken bauen, um verfeindete Gruppen wieder in einen Dialog zu bringen." Mit seinem Schweizer Hilfswerk "Cuisine sans frontières"  kocht Höner in Konfliktgebieten auf der ganzen Welt. Die Kochfähre in Ecuador ist sein neuestes Projekt.

Für Außenstehende sind die Spannungen im Oriente nicht auf Anhieb erkennbar. Sie offenbaren sich im Pumpgeräusch von rostigen Pipelines, in Flammen von abgefackeltem Methan oder in mit Stacheldraht umzäunten Industrieanlagen inmitten des Dschungels.

Seit den Siebzigerjahren werden im Oriente neue Ölplattformen, Pipelines und Straßen zur Erschließung der fossilen Brennstoffe gebaut. Illegale Jäger, Holzfäller und Viehzüchter zogen nach. Regenwald wurde zerstört und verschmutzt. Die Hauptleidtragenden waren stets die Indigenen; die Waorani, Shuar, Siona, Secoya, Cofán und die im 19. Jahrhundert von Kautschukbaronen als Arbeiter verschleppten Kichwa aus der Sierra.

Für sie ist der Regenwald Lebensraum, Ernährungsgrundlage und das Zentrum ihrer Kultur. Mit dem Einfall der Erdölunternehmen verloren sie Land, Jagdgründe und Traditionen. Zum Überleben und getrieben vom Versprechen eines komfortableren Lebens heuerten viele als "Petroleros" an, als einfache Bauarbeiter, Transporteure oder Guides bei Ölunternehmen. Seit der Erdölpreis vor drei Jahren auf ein Rekordtief gefallen ist, verloren Tausende ihre Jobs.

Ökotourismus statt Erdöl

"Die Kichwa am Rio Napo brauchen eine Alternative zum Erdöl", sagt Höner. "Und der kommunale Ökotourismus ist die beste." Davon sind mittlerweile auch eine Reihe lokaler Umwelt-NGOs, Indigenenverbände und Entwicklungsagenturen wie die deutsche GIZ überzeugt. Zudem unterstützt die Provinzregierung seit einigen Jahren selbstverwaltete Tourismusprojekte. Bisher jedoch mit mäßigem Erfolg: "Entlang der 300 Kilometer Fluss zwischen Coca und Nuevo Rocafuerte an der Grenze zu Peru leben um die 70.000 Menschen in 75 Gemeinden", sagt Höner. "Die Hälfte der Gemeinden betreibt bereits eine Lodge, aber nur ein Fünftel davon funktioniert tatsächlich."

Meist sind es einfache Bungalows, gezimmert aus lokalem Holz und mit geflochtenen Palmblättern als Dach; gebaut mit viel Hingabe und großen Ambitionen. Doch viele verrotten in der tropischen Feuchte, weil niemand weiß, wie man die Dschungelresidenzen in den USA und Europa an den Mann bringt. Und was erwarten die Touristen, die von weit her reisen, um hier mit etwas Glück Brüll-, Kapuziner- oder Sakeaffen, Anakondas, Kaimane und Tapire aus nächster Nähe zu erleben?

Überall fehlt es an Wissen im Umgang mit Touristen, weiß Höner. "Ganz besonders wenn es ums Essen geht; der Schlüssel für ein erfülltes Urlaubserlebnis." Denn Kichwa sind genügsam und kochen spartanisch - Bohnen, Reis und gekochten Maniok, oft nur mit etwas Salz gewürzt. Das langweilt den variationsverwöhnten Europäer schon am zweiten Tag. Die Jungen informieren sich deshalb per Internet, was man im Westen isst und versuchen dies zu kopieren. "Meist mit wenig Erfolg", sagt Höner.

Am ersten Kurstag versammelte er seine 18 Schülerinnen und Schüler aus Pompeya und Indillama auf dem überdachten Heck und setzte zur Begrüßungsrede an: "Der Oriente hat großes touristisches Potenzial. Aber die Touristen kommen nicht, um verkochte Spaghetti mit Ketchup zu essen und lauwarme Cola zu trinken. Sie wollen auch nicht jeden Abend Bohnen mit Reis. Touristen kommen in den Oriente, um eure Kultur und die Vielfalt der hiesigen Produkte kennenzulernen."

Danach schickte er seine Schüler in die Küche. Dort lernen sie, wie man aus Kochbananen Suppen, aus Baumtomaten scharfe Soßen und aus Palmherzen Salate zubereitet. Oder dass sich aus Sapote, Chonta, Guanábana, Guave und Limón mandarina süße, aromatische Säfte pressen lassen.

Versöhnung bei Bohnen und Bananen

Höners Fähre ist zugleich Ausbildungsstätte und eine neutrale Plattform für Begegnungen. Er will damit auch Brücken zwischen den Menschen im Oriente bauen. Deshalb arbeitet er stets mit zwei Gemeinden gleichzeitig. Und deshalb hat er am Samstag nach der ersten Kurswoche vor dem Markt in Pompeya nicht nur eine Gruppe Kichwa, sondern auch eine Gruppe Waorani zum Mittagessen aufs Schiff eingeladen.

Letztere sind gefürchtete Krieger und ausgezeichnete Jäger. Immer wieder kam es in der Vergangenheit zu Scharmützeln zwischen den beiden Gruppen. Höner will, dass die Gruppen lernen zusammenzuarbeiten - zu ihrem eigenen Wohl.

Sein langfristiger Traum ist eine ökonomisch und ökologisch nachhaltige Tourismusregion, die von den indigenen Gruppen selbst verwaltet wird. Aktuell knüpft er ein Netzwerk aus Hotels, Öko-Lodges und Unternehmen, um seinen besten Schülern einen Einstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

Und in El Coca will er eine Buchungszentrale aufbauen, über welche die Indigenen ihre kommunalen Ökotourismusprojekte am Napo selbstständig verkaufen können. Gekoppelt mit einem Markt für lokale Produkte und angeschlossen an ein Restaurant mit gehobener Amazonasküche. Das werde zwar ein Stück weit zur "Disneylandisierung" des Amazonas beitragen, gesteht Höner. Aber er sieht keine bessere Alternative: "Entweder werden die Indigenen über den Tourismus Teil der Globalisierung, oder sie werden von ihr ausgelöscht."

Dieser Artikel wurde durch den Medienfonds "real21 - die Welt verstehen" unterstützt.

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