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Kreuzfahrt in den Neunzigern: Humor auf dem Hinterdeck

Foto: Ian Hughes

Fotos von Kreuzfahrtgästen "Viele Passagiere hassten uns"

Ian Hughes war Kreuzfahrtfotograf. Er hat Passagiere müde von der Anreise geknipst, beim Tee am Nachmittag, herausgeputzt am Abend. Er hat Aufnahmen gesammelt, die niemand haben wollte und die auf liebevolle Art komisch sind.
Zur Person

Ian Hughes, 46, lichtete in den Neunzigerjahren Passagiere auf Kreuzfahrtschiffen ab. Heute lebt der Brite nicht mehr von der Fotografie, sondern arbeitet in der Energiebranche an der Südküste Englands. Die Bilder, die er aus persönlichem Interesse täglich macht, veröffentlicht er auf seiner Webseite . Dort finden sich auch weitere Schnappschüsse aus seiner Zeit als Kreuzfahrtfotograf.

SPIEGEL ONLINE: Ihre 20 Jahre alten Passagierfotos sehen aus, als wenn die Arbeit damals viel Spaß gemacht hätte. Was ist das Beste im Leben eines Kreuzfahrtfotografen?

Hughes: Ich habe auf diese Weise Freunde auf der ganzen Welt gefunden. Wir Crew-Mitglieder saßen ja immer beieinander beim Essen: die Komiker, die Flamencotänzer, die Fotografen. Als Angestellte der Reederei haben wir viel Zeit miteinander verbracht - Tag und Nacht, sieben Tage die Woche, manchmal ein Jahr am Stück.

SPIEGEL ONLINE: Und was ist grässlich an so einem Job?

Hughes: Tag und Nacht zu arbeiten, sieben Tage die Woche, manchmal ein Jahr am Stück.

SPIEGEL ONLINE: Hatten Sie überhaupt Kontakt zur Außenwelt?

Hughes: Kaum. Handys und E-Mail hatten wir Anfang der Neunzigerjahre nicht. Einmal pro Woche, wenn wir irgendwo zum Turnaround anlegten, kam die Post. Ich war traurig, wenn für mich kein Brief dabei war.

SPIEGEL ONLINE: Auch die Passagiere auf Ihren Fotos sehen oft unglücklich aus. Warum?

Hughes: Dass viele Leute auf den von mir gesammelten Bildern wütend oder gelangweilt wirken, liegt daran, dass es sich bei den Fotos schlicht um Überbleibsel handelt. Die Passagiere haben mir und meinen Kollegen nur Bilder abgekauft, auf denen sie gut getroffen waren. Aus der Galerie der unverkauften Fotos hab ich mir nach den Reisen immer die lustigsten geschnappt und sie aufbewahrt. Seit einigen Jahren zeige ich sie auf meiner Webseite.

SPIEGEL ONLINE: Müssen Sie selber über die Gesichtsausdrücke lachen?

Hughes: Ich kenne die Fotos seit 20 Jahren und habe eher eine beschützende Haltung den Menschen gegenüber. Wenn andere über die Leute auf den Bildern lachen, dann hoffentlich auf eine nette Weise und nicht zynisch. Die Passagiere damals waren im Moment gefangen. Dass sie so komisch aussehen, ist nicht ihre Schuld. Wir waren schlechte Fotografen.

SPIEGEL ONLINE: Vielleicht fanden die Menschen einfach die Kreuzfahrt schrecklich.

Hughes: Die meisten Gäste kamen mir zufrieden vor. Aber fröhliche Fotos geraten in Vergessenheit. Schon damals hatte ich Verständnis für grimmig dreinblickende Passagiere, vor allem beim Willkommensfoto. Stellen Sie sich vor, Sie haben einen langen Flug hinter sich und warten nun in der Hitze darauf, auf ein Kreuzfahrtschiff zu steigen - keine Klimaanlage, lange Schlangen. Dann sind Sie dran, und ein Fotograf bittet Sie zu lächeln. Um ein Foto mit dem Kapitän zu ergattern, mussten die Passagiere oft eine halbe Stunde anstehen. Und hatten dann fünf Sekunden mit ihm.

SPIEGEL ONLINE: Die Menschen lieben es dennoch, an Bord von großen Schiffen zu reisen - heute mehr denn je. Warum?

Hughes: Die größte Attraktion für viele Kreuzfahrtgäste ist die endlose Versorgung mit Essen. Frühstück im Speisesaal, Frühstücksbüffet am Hinterdeck, Vormittagstee und Kuchen, Mittagessen im Speisesaal, Mittagsbüffet am Hinterdeck, Nachmittagstee und Kuchen, dann das Abendessen und schließlich der Höhepunkt des Tages: das Mitternachtsbüffet!

SPIEGEL ONLINE: Sind Sie den Gästen auch beim Essen auf die Pelle gerückt?

Hughes: Ja. Wir haben sie dabei unterbrochen und sie am Tisch gebeten, sich alle zusammen vor die Kamera zu quetschen.

SPIEGEL ONLINE: Wer posierte besonders gerne?

Hughes: Die Italiener und Amerikaner. Aber viele Passagiere hassten uns. Sie hassten es, alle fünf Minuten vom Bordfotografen belästigt zu werden, vor allem die Deutschen auf den Karibikreisen. Eine Dame hat mich im Speisesaal sogar mit dem Messer bedroht, als ich mich ihrem Tisch näherte.

SPIEGEL ONLINE: Welche Begegnung ist Ihnen nie wieder aus dem Kopf gegangen?

Hughes: Auf einer Reise hab ich die Soulsängerin Martha Reeves getroffen - eine wundervolle Frau! Eine Woche lang stand sie jeden Abend auf der Bühne. Weil sie keine Autogrammkarten für ihre Fans dabei hatte, bestellte sie spontan 85 Abzüge von einem Porträt an Bord. Sie bestand darauf, für jedes einzelne Foto den vollen Preis zu bezahlen und hat auch noch eine Extra-Show nur für die Crew gegeben.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie noch mehr Promis getroffen?

Hughes: Als ich einmal in Genua zu einer Mittelmeer-Kreuzfahrt aufbrach, stand plötzlich der Jazzpianist Romano Mussolini vor mir, der jüngste Sohn des italienischen Faschistenführers Benito Mussolini. Er ähnelte seinem Vater ziemlich stark. Ich fand es merkwürdig, ihn zu fotografieren.

SPIEGEL ONLINE: Der Job hat Sie an Orte auf der ganzen Welt geführt. Haben Sie das als Bereicherung empfunden?

Hughes: Ja, ich fand es toll, Fotos in fernen Ländern zu machen, in denen ich nie zuvor gewesen bin. Ich war 19 Jahre alt, als ich erstmals auf einem Kreuzfahrtschiff anheuerte. In den folgenden Jahren habe ich rund 50 Länder gesehen: Jamaica, Mexiko, die Jungferninseln, Häfen in Kanada und den USA, und ich habe Weltreisen unternommen, die mich nach Russland, Vietnam und Südafrika führten.

SPIEGEL ONLINE: Was war für Sie eine unvergessliche Reise?

Hughes: Eine dreiwöchige Kreuzfahrt durch die Karibik, bei der nur Schwule aus Kalifornien an Bord waren. Zuvor hatte ich Nordengland nur ein einziges Mal verlassen - für eine Busreise nach Paris mit meinem Vater. Auf dem Schiff sah ich zum ersten Mal, wie sich Männer küssten. Sie kauften uns Fotografen alle Bilder ab, die wir von ihnen machten. Wir verdienten ein Heidengeld.

Die Fragen stellte Julia Stanek.
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