Last Exit Bangkok Heino auf Radio Siam

Rund um die Uhr Nicki, Udo und Wolfgang Niedecken: Ein Radiosender in Thailand spielt nur deutsches Liedgut. In der Online-Videothek gibt es zudem Heinz Rühmann und die "Augsburger Puppenkiste" - ein findiger Berliner hat in Bangkok das Geschäft mit dem Heimweh entdeckt.

Was es nicht alles gibt! Die deutschen Musiker, die vor einigen Jahren eine Radioquote für ihr Gesangsgut forderten, hätten ihre reine Freude an diesem Kanal. Gerade lief das Lied von "De lustigen Holzhackerleit", danach kommt Gunter Gabriel, und munter geht's weiter: erst Udo Jürgens, dann Nicki ("I bin a bayrisches Cowgirl"), Udo Lindenberg, Heino, Nena, Hans Albers und Lale Andersen mit ihrem Schützengraben-Feger "Lili Marleen".

So geht das schon seit fast einem Jahr: kein englischer Pop, kein französisches Chanson, keine Italo-Schnulze und, um Himmels Willen, keine schmachtenden Inder - stattdessen alles, was Rang und Namen hat zwischen Flensburg und Tirol. Bei Thomas Nieberle kommt nur "100 Prozent deutsche Musik" auf den Sender. "Ehrensache", der Berliner weiß schließlich, was die Kundschaft will - nichts Fremdländisches jedenfalls, hat er beobachtet: "Die will deutsches Liedgut."

Doch wo bekommt sie das heutzutage noch? "Eine richtige Marktlücke" hat Nieberle erkannt, "eindeutig". Nieberle ist ein flexibler Mensch. Alles mögliche hat er in seinem Leben schon gemacht, ein Restaurant geführt, eine Computermesse in Deutschland ("ComBär") organisiert, einen Videoverleih gegründet. Warum dann nicht auch einen Sender aufbauen?

Zu Hause hat er ein paar Rechner stehen und einen CD-Player, und heutzutage reicht das schon fast für ein Start-up-Unternehmen in der Medienbranche. Die wichtigsten Mitteilungen spricht ein Freund mit sonorer Radiostimme: "Sie hören Radio Siam, Schlager, Hits und gute Laune." Gesendet wird vorerst übers Internet ( www.radio-siam.de ), eine Radiofrequenz für die Hauptstadt ist aber bereits beantragt. Jetzt müssen nur noch die Behörden mitspielen. Doch die lassen es langsam angehen, wieder einmal. Alles braucht eben seine Zeit in Thailand. Nicht alle sind so schnell wie Thomas Nieberle.

Expansion geplant, Reporter fehlen noch

Nieberle, 49, sitzt im Biergarten des Restaurants "Bei Otto". Kellner in Schwarzwaldtrachten schleppen Weißbiergläser ins Freie, nebenan decken sich Familien mit Schweizer Brot und Löwensenf ein, über ihm hängt ein Schal vom VfB Stuttgart, und vor dem Laden baumelt eine Fahne der "Bild"-Zeitung. Wenn nicht ab und zu ein Bettelelefant vorbeigetrottet käme, könnte man meinen, Nieberle habe sich irgendwo in Süddeutschland verirrt. Nieberle sitzt aber im Zentrum Bangkoks.

Er trägt ein T-Shirt mit dem Aufdruck "Florida" und schwitzt. "Wenn ich erst mal die Lizenz für Bangkok habe, decke ich den ganzen Bereich bis rüber nach Hua Hin und Pattaya ab", schwärmt der Radiomacher. Pattaya! Wie viele potentielle Hörer sich da herumtreiben! Am Strand. An den Bars. In den Seniorenheimen. Tausende, Zehntausende zu Stoßzeiten womöglich. Die ganze Umgebung von Bangkok wimmelt förmlich von Teutonen.

Aber aller Anfang ist mühsam. 60 bis 100 Hörer klicken sich derzeit bei "Radio Siam" stündlich ein. Damit ist nicht das große Geld zu machen. Reporter fehlen noch, werden aber händeringend gesucht. Werbung, immerhin, läuft schon dann und wann. Nieberle ist dennoch von seiner Idee überzeugt: dem Geschäft mit dem Heimweh.

Er kennt es schließlich selbst ganz gut: dieses Gefühl, das so schön besungen wird etwa in "Nimm uns mit, Kapitän": "Mancher glaubt heut, fern vom Heimatland/ dort draußen blüht das Glück/ hat voll Stolz sich in die Welt gewandt/ und will nie mehr nach Haus zurück/ in der Fremde ward er ein reicher Mann/ aber glücklich wurde er nicht/ und legt ein Schiff aus Hamburg an/ steht er am Kai und spricht." Na ja, und dann will er nur noch zurück zu Muttern nach Haus: "Nimm all mein Geld", in der Heimat glühen schließlich seine Sterne und so weiter.

Geht es ihnen nicht eigentlich allen so, den Ausreißern - wo auch immer sie stecken mögen?, hat sich Nieberle gedacht. Warum sitzen sie sonst in Thailand oder auf Mallorca oder in der Karibik herum und stopfen dort die ganze Zeit deutsche Wurst in sich hinein, schütten sich mit Weißbier zu und verschlingen die "Bild", selbst wenn sie zwei Tage alt ist?

Von "Augsburger Puppenkiste" bis "Geierwally"

Seit 15 Jahren ist Nieberle schon in Thailand. Das Weib hatte ihn gelockt, wie so viele. Er ist ihm anfangs bis in die Provinz gefolgt, nach Udon Thani, dem Reisanbaugebiet im Nordosten des Landes. Aber es gab kaum Strom und kein Telefon und keine deutsche Musik dort. Nach einer Weile packte Nieberle seine Koffer und zog nach Bangkok, in die "Stadt der Engel", in den Moloch, wo man sich immerhin nicht ganz so verlassen vorkam, wo es mittlerweile "bayerische Knödel und Bautz'ner Senf" gab und wo sich jede Menge gestrandeter Landsleute nach Heino und Heintje sehnten.

Aber: Was tun? Nieberle dachte nach. Friseur, Taxifahrer oder Architekt konnte er sich abschminken, denn solche Berufe dürfen Ausländer in Thailand nicht ausüben. Andere Sparten, in denen man den Einheimischen Konkurrenz machen könnte, sind mitunter lebensgefährlich. Es gibt Blätter wie "TIP Zeitung für Thailand", in denen es von Horrorstorys über ermordete Landsleute, deren Ableben nicht selten als Selbstmord kaschiert wird, nur so wimmelt.

Da kam ihm die Idee mit der Sehnsucht.

Als Erstes gründete er eine Videothek ("MovieWelt") mit deutschen Filmen oder solchen, die deutsch synchronisiert sind. Dann baute er den Sender auf. Das Videogeschäft läuft mittlerweile ganz ordentlich. 65 Kunden bestellen zumindest sporadisch: "Geierwally", "Feuerzangenbowle" oder die "Augsburger Puppenkiste". 5000 Titel hat Nieberle im Angebot, er bekommt sie von einem Großhändler direkt aus Deutschland. Man kann die Filme ausleihen, aber auch kaufen. Die meisten Kunden kommen aus Phuket, der Touristeninsel an der Westküste.

Aber der Markt ist groß. Jedes Jahr strömen über eine halbe Million deutsche Touristen in das Land. Viele tausend Deutsche halten sich mittlerweile mehr oder weniger permanent in Thailand auf. "Der Boom hört nicht auf", sagt Nieberle, "die Frauen sind schön und günstig, die Sonne scheint, das Essen ist toll." Und dazu gibt es deutsche Wurst und deutsches Bier und jetzt auch deutsche Schlager.

Für viele sieht so das Paradies auf Erden aus.

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