
Impressionen von Ralf Tooten: Bangkok bei Nacht
Last Exit Bangkok Liebeserklärung an einen Moloch
Bangkok schläft nicht. Nie. Wo sonst kann man sich um Mitternacht Kickbox-Kämpfe anschauen und um 1 Uhr shoppen, um 2 Uhr die traurigen Bettelelefanten bei ihrem Trott durch die Touristenviertel begleiten und um 3 Uhr die vermummten Arbeiter auf den mit Flutlichtstrahlern ausgeleuchteten Baustellen beobachten? Wo sonst kann man sich morgens um 4 Uhr in einem hochmodernen Krankenhaus schön operieren und sich um 5 Uhr einen Anzug schneidern lassen und um 6 Uhr geröstete Heuschrecken und Wasserflöhe essen? Zum Abendbrot oder zum Frühstück. Wie man will.
Der deutsche Fotograf Ralf Tooten, 51, hat das Nachtleben dieses südostasiatischen Molochs dokumentiert. Er hat sich, bewaffnet mit Leica und Hasselblad, die Nächte um die Ohren geschlagen, ist in die Bars mit den Gogo-Mädchen gegangen und hat in Tempel geschaut, in denen Buddhisten mitten in der Nacht Särge für tot aufgefundene Obdachlose spenden können.
Er hat Wahrsager, Tätowierer und Feuerwehrleute besucht, Bahnhöfe, Nachtmärkte und Massagesalons. Er hat auch die Orte am Stadtrand aufgespürt, an denen die Mahouts mit ihren Elefanten nächtigen, bis so ein Koloss plötzlich aggressiv wurde und auf ihn losging. Einige Wochen lang wurde Tooten bei seinen Streifzügen von dem Autor Roger Willemsen begleitet. Herausgekommen ist nun das Buch "Bangkok Noir" mit mehr als 250 Fotos.
Knallige Farben in dunkler Nacht
Tooten nennt das gemeinsame Werk aus Bildern und Texten eine "Liebeserklärung an Bangkok". Seit 2003 lebt er in der Zehn-Millionen-Stadt. Als Fotograf faszinieren ihn besonders "die funkelnden Lichter und die Intensität der Farben, das Rot und Grün und Gelb der Taxis, der Kleidung, der Werbung und die Lichtreflexe". Thais lieben diese knalligen Farben. "Irre Farben", sagt Tooten. Und in der Dunkelheit, die hier, so nah am Äquator immer schon zwischen 6 und 7 Uhr abends beginnt, kommen sie, durch künstliche Lichtquellen verstärkt, besonders zur Geltung.
So etwas hatte Tooten zuvor in keiner anderen Stadt gesehen; nicht in Hamburg, wo er lebte bevor er nach Bangkok zog, nicht in Köln, wo er beim Architekturfotografen Clemens Hartzenbusch das Handwerk lernte; erst recht nicht in Homberg am Niederrhein, seiner Geburtsstadt. "Dieses Buch hätte man einfach nirgendwo anders machen können", davon ist er überzeugt, "keine andere Stadt der Welt ist so nachtaktiv, so pulsierend, so bunt."
Dabei ist Tooten mehr durch Zufall nach Bangkok gekommen. Fünf Jahre lang, von 1997 bis 2002, hatte sich der Fotograf, damals noch mit Wohnsitz in Hamburg, dem Thema Religion gewidmet. Für seinen Bildband "Augen der Weisheit" reiste er kreuz und quer durch die Welt, besuchte 50 Länder, traf den Papst und den Dalai Lama und alle möglichen anderen spirituellen Führer, die außerhalb ihrer Sekten kaum jemand kennt.
Und während dieser Reise durch die Welt des Glaubens entdeckte Tooten für sich den Buddhismus. Ihn beeindruckt, "dass er sich für das Gemeinwohl einsetzt, dass er einschließt statt ausgrenzt, dass er Landesbräuche und Urglauben, Geisterhäuser und Penisschreine vereinigt". Tooten begann, jeden Morgen eine Stunde zu meditieren, und bezeichnet sich mittlerweile, "was die Lebenseinstellung angeht", selbst als Buddhisten. Doch das einzige buddhistische Land der Erde, das Tooten für sein fotografisches Mammutprojekt nicht bereiste, war Thailand. Und deshalb buchte er, kaum war der Bildband auf dem Markt, ein Ticket nach Bangkok.
Crash an der Hamburger Alster
Die pulsierende Stadt und der Fotograf passten auf Anhieb gut zusammen. Mit Hilfe des Goethe-Instituts in Bangkok organisierte Tooten eine Wanderausstellung (Bangkok, Hanoi, Kuala Lumpur, Manila) zu den "Augen der Weisheit" und hatte erst einmal einen Grund zu bleiben. Dann folgten die ersten Aufträge. Tooten besorgte sich eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung. Was hatte er in Hamburg noch verloren? Das Projekt "Augen der Weisheit" war abgeschlossen. Nun wollte er Neues erkunden. Also streifte er durch Bangkok und entdeckte die Nacht, und als er einmal wieder auf Heimaturlaub in Hamburg war, traf er Roger Willemsen.
Die beiden hatten sich vor ein paar Jahren kennengelernt, als sie an der Alster mit ihren Fahrrädern kollidiert waren. Seitdem treffen sie sich regelmäßig. Diesmal hatte Tooten ein paar Bilder aus Bangkok dabei, Bilder aus der Großstadtnacht. Tooten schwärmte von Bangkok, dem Buddhismus, "der Geschwindigkeit der Stadt, der Leichtigkeit, dem Brodeln und der Energie". Auch Willemsen schwärmte. Er war vor 25 Jahren in der thailändischen Hauptstadt gewesen und vor zehn Jahren wieder, und immer hatte er Tagebuch geschrieben und die Aufzeichnungen sogar aufbewahrt. Er hatte Textskizzen angefertigt und über ein Bangkok-Buch nachgedacht.
So entstand die Idee zum gemeinsamen Projekt, das eigentlich aus zwei Parallelgeschichten besteht: einer fotografischen Reise durch die Nacht und einer eher literarischen. Natürlich treffen sich Text und Bild gelegentlich, schließlich waren Autor und Fotograf oft gemeinsam unterwegs. Dennoch führen Tootens Bilder ein Eigenleben und dienen nicht der bloßen Illustration des Textes von Willemsen.
Tooten wird erst einmal in Bangkok bleiben. Hier fühlt er sich wohl, und er sagt, er habe viel gelernt von den Thailändern. Zum Beispiel Abzuschalten, den deutschen Perfektionismus für eine Weile zu vergessen, zu wissen, "dass gut auch genug sein kann". "Oberflächlich betrachtet ist Bangkok bloß eine chaotische Stadt", sagt Tooten, "man muss schon sehr genau hinschauen, um sie zu erkennen: In Deutschland gibt es nur Schwarz und Weiß, aber hier gibt es nur Grauzonen - alles ist anders, als man denkt."