"Lézard Rouge" Eisenbahn-Nostalgie in Tunesien

Auch Tunesien hat die touristische Zugkraft nostalgischer Bahnfahrten entdeckt. Im "Lézard Rouge" werden Reisende durch das Atlas-Gebirge am Rande der Sahara gezogen - John-Wayne-Feeling inbegriffen.
Von Helge Sobik

Sengende Sonne brennt auf die bleiche Fassade des Bahnhofs von Tabeditt herunter. Trockenes Halfagras klammert sich an den kargen Boden zwischen den Holzschwellen der Gleise. Der immerwährende Wind fegt Sand über das fast verlassene Gelände mitten im Nichts und saugt ihn in kleinen, tanzenden Strudeln himmelwärts - gut 450 Kilometer südlich von Tunis, eine Fahrtstunde nördlich der Sahara-Oase Tozeur, 20 Kilometer östlich der Grenze zu Algerien. Warten auf den Zug. Warten auf den "Lézard Rouge", der Tabeditt fünfmal pro Woche passiert.

Zur Mittagszeit wird der ehemalige Luxuszug des Beys von Tunis hier einrollen - gut neunzig Jahre alt, immer noch fahrtüchtig, immer wieder restauriert. 1910 hatte Frankreichs Regierung den Zug Mohamed Naceur Pacha zum Geschenk gemacht. Der Bey und sein Nachfolger nutzten den Privatzuges mit den rotbraunen, holzgetäfelten Waggons, den Kupferbeschlägen, den Lederverkleidungen im Inneren bis 1945.

Seit 1997 rollt dieser "Orient-Express Nordafrikas" wieder - dorthin, wo Tunesien am Abenteuerlichsten aussieht. Dorthin, wo sich gewaltige Canyons wie aus amerikanischen Kino-Western erstrecken. Dorthin, wo niemand mit dem Auto gelangt und sich keiner wundern würde, käme plötzlich John Wayne durch die Schlucht geritten: auf den schmalen Schienen der Phosphat-Bergbahn zwischen Redeyef und Metlaoui durch die gewaltige Seldja-Schlucht - unterwegs im "Lézard Rouge", der "Roten Eidechse" Tunesiens.

Die zerklüftete Landschaft mit ihren steil aufragenden, knallroten Felswänden und von den Jahrmillionen modellierten Tälern liegt weit abseits von den Standard-Pfaden der meisten Urlauber-Rundreisen und wird gerade erst für den Tourismus entdeckt. Der Bergbau hat Vorrang: 15.000 Menschen scheffeln hier tonnenweise Phosphat. Inmitten von Bergen, die so aussehen, als habe der Liebe Gott hier Sandburgen gebaut.

Der Boden vibriert, wenn sich die schwere Lok der Station von Tabeditt nähert - im Schlepp die sechs Waggons der "Roten Eidechse". Die Passagiere dieses Tages sind gerade mit Landrovern und Bussen auf dem staubigen Bahnhofsplatz vorgefahren. Fotoapparate klicken, ehe die Waggons geentert werden. Bahnhofsvorsteher Ahmed Ben Abdallah lächelt und nimmt geduldig hin, dass auch er längst zum Fotomotiv auserkoren wurde. Punkt zwölf Uhr setzt sich die 2000 PS starke Diesel-Lok stampfend in Bewegung, ruckt die schweren, eisernen Waggons von der Stelle und zuckelt in Schrittempo aus dem Bahnhof - Kurs Westen, Kurs Algerien, Kurs Tell-Atlas-Gebirge.

Kaum einen der gut 50 Fahrgäste hält es in den weichen, schwarzen Ledersitzen der ersten Klasse, kaum einen auf den Holzbänken der einfacher ausgestatteten Waggons am Ende des Zuges. Was an den zur Hälfte geöffneten Fenstern vorbeizieht, ist großes Breitwand-Kino - eine Mischung aus Wildwest und arabischem Alltag: Erst ein Reiter mit prachtvoll geschmücktem Pferd auf dem Weg zu einem Fest, dann Bauern mit überladenen Eselskarren, dazwischen immer wieder karge Felder, sandiges Nichts und bald die ersten Felsen der Wildwest-Landschaft. Wie bei einem zu schnell abgespulten Film: Ehe man richtig hinschauen kann, ist jede Szene schon wieder Vergangenheit.

Stewards in Operettenuniformen jonglieren Drinks durch die Wagen, balancieren ihre Tabletts zirkusreif über den Köpfen auf den offenen Brücken von Waggon zu Waggon, wo die meisten Passagiere stehen, verteilen Cola für eineinhalb und tunesisches "Celtia"-Bier für zweieinhalb Dinar.

Kinder laufen neben dem Zug her, winken und rufen. Der Wind weht ihre Worte noch hinterher, nachdem die Lok längst beschleunigt hat und Kinderbeine das Tempo nicht mehr mithalten können. Lokführer Moncef Nouira betätigt zum Abschied die Dampfpfeife.

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