Melbourne Auf Aborigines-Pfaden durch die Großstadt

Melbourne ist eine multikulturelle Stadt. 140 Nationen prägen den Alltag in der australischen Metropole. Doch die Spuren der Ureinwohner des Kontinents selbst waren lange nicht so einfach zu finden. Das hat sich jetzt geändert. Erste Angebote laden ein, Kultur und Traditionen der Aborigines zu entdecken.
Von Hilke Maunder

Nebel liegt auf dem Gras. Jason Tamiru, 32, vom Yorta-Yorta-Stamm beugt sich über eine kleine Feuerstelle, sprenkelt Wasser und Eukalyptussamen in eine Schale, gefüllt mit den Blüten australischer Büsche und Bäume: Wattle, Banksia und Ballart. Rauch steigt auf, "reinigt" Besucher und Guide. "Wuman chaika" - willkommen!

Mit der Rauchzeremonie, dem traditionelle Begrüßungsritual der Aborigines, beginnt der "Aboriginal Heritage Walk" im Botanischen Garten von Melbourne. 120 Minuten Zeit für 90.000 Jahre Geschichte. Der Rundgang, auch einzeln beim Botanischen Garten zu buchen, bildet den Auftakt zum bislang einzigen Ausflugsprogramm in Melbourne, das den Spuren der Aborigines folgt. Seit diesem Winter wird es erstmals von Best Tours angeboten.

Wegweiser ist die Natur des Parks: Viele der 52.000 Pflanzenarten waren für die Aborigines Teil ihres Alltags. Die zerstoßenen Blätter des Coranderk-Baumes linderten Muskelkater und andere Schmerzen. Aus dem Holz der Stringbark schnitzten sie Bumerangs, der Saft der Hoop Pine war ein natürlicher Klebstoff, und zur Verhütung kauten die Frauen die unreifen Früchte des Känguru-Apfelbaumes.

Auf dem Rasen breitet Jason eine Karte aus. Australien erscheint als Kontinent der Kleinstaaterei. Jede Farbe symbolisiert eine Sprache der Ureinwohner. Damals waren es gut 300. Heute haben sich nur noch 20 als Muttersprache erhalten.

Der Botanische Garten liegt genau im Grenzgebiet des Bunurong- und Woiwurrong-Stammes. Als um 1835 die ersten Europäer an der Port Philipp Bay siedelten, war das Gebiet des heutigen Groß-Melbourne von fünf Aborigines-Gruppen bewohnt, die gemeinsam die Kulin-Nation bilden. "Es gibt nicht nur eine Aborigines-Kultur, sondern viele", sagt Jason. "Aborigines haben nicht im roten Herzen Australien, sondern im ganzen Land gelebt."

Auch Bunjilaka, die Aborigines-Abteilung im Melbourne Museums, will mit Klischees aufräumen. Erstmals haben nicht weiße Wissenschafter, sondern die Aborigines selbst die Ausstellung gestaltet. Das ändert den Blickwinkel - und bringt Aspekte ihrer Vergangenheit zum Ausdruck, die bislang in Australien verdrängt oder beschönigt wurden: die gewaltsame Trennung von Familien, die Zwangsadoptionen, das eingesperrte Leben auf den Missionen. Erst 1967 erhielten die Ureinwohner Bürgerrechte.

Vom Überlebenskampf der Koorie erzählt "Wurreki", ein 50 Meter langes Wandbild am Eingang der Ausstellung. 74 Paneele aus Zink ließ Aborigines-Künstlerin Judy Watson vom Leid und den Stärken des Stammes aus Südost-Australien "sprechen", so die Übersetzung ihres Titels aus der Wamba-Wamba-Sprache.

Die Wunden, die die Ureinwohner erlitten, symbolisiert auch die Installation "Scars - a stolen vision". Während früher die Aborigines aus lebenden Eukalyptusbäumen ihre Boote und Speere schnitzten, schnitten Aborigines-Künstler anlässlich der Hundertjahrfeier der australischen Föderation 2002 in 28 alte Holzpoller ihre persönliche Form der Verletzungen - hier subjektives Seelenleid, dort kollektiver Schmerz. Linien und Punkte, Flächen und Farben der Erde als Ausdruck von Landschaft, Erinnerung, Empfindungen. Für Fremde abstrakt, für die Aborigines leicht lesbare Landkarten ihres Lebens.

Ihre Kunst zeigt auch der Koorie Heritage Trust. Bereits 1985 gründeten die Koorie ihr Kulturzentrum und luden ein, in der Dauerausstellung, Verkaufsgalerie, Bibliothek oder Research Centre sich näher mit ihrer Kultur zu beschäftigen. Im Westerfolds Park von Templestowe residiert im Herrenhaus seit 1995 die Mia Mia Gallery, ein Kleinod für zeitgenössische Aboriginal-Kunst mit Künstlerwohnungen, Café und Kulturprogramm - vom Bumerangwerfen bis zum Bush Walk.

"Die Zeremonie", ein Werk des Wurundjeri-Malers William Barak von 1900, markiert den Eingang zu den vier Galerien mit Aboriginal Art im Ian Potter Centre: NGV Australia am Federation Square. "Wenn wir Yorta Yorta oder Tiwi sagen, sehen wir nicht nur regionale Unterschiede, sondern individuelle Kulturkreise mit eigener Sprache und Ausdrucksform," erläutert Kuratorin Judith Ryan.

Die Vielfalt der Kulturen lebt längst auch im Kochtopf auf. Im Flamin' Bull Bush Restaurant hat Koch und Manager Daryl Hughes die Speisekarte gemeinsam mit örtlichen Aborigines neu zusammengestellt. Statt saftiger Steaks serviert der 27-Jährige heute originalgetreues "Bush Tucker" - Känguru, Wallaby, Emu, Possum oder Krokodil, garniert mit Kräutern und Beeren aus dem Outback. Wer genau wissen will, welche Zutaten auf dem Teller liegen, findet in der Speisekarte einen kleinen Glossar.

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