
Ittoqqortoormiitt in Grönland: Gletscher, Polarlichter und Eisbärfelle
Michael Martins Blog aus Grönland Eisbärfelle in Ittoqqortoormiit
"Mit Doppel-Q, viermal O und Doppel-I!" Ich buchstabiere zum wiederholten Male der Dame im Reisebüro das Ziel meiner nächsten Reise. Doch kein europäisches Buchungssystem wird "Ittoqqortoormiitt" finden. Wer fliegt auch schon in den kleinsten und entlegensten Ort Grönlands? Doch für mein Fotoprojekt "Planet Wüste" möchte ich die wichtigsten Eiswüsten der Welt erkunden. Und nach Spitzbergen im Februar steht nun, Anfang April, eben die Ostküste Grönlands auf meinem Reiseplan.
Letztlich konnte nur eine grönländische Reiseagentur helfen: Innerhalb von nicht einmal 24 Stunden traf ich nach einem Flug von München über Island mit einer Propellermaschine in Kulusuk in Ostgrönland ein. Von dort stieg das 16 Passagiere fassende Flugzeug wieder auf, um zwei Stunden lang der einsamen Küste nach Norden zu folgen. Im linken Kabinenfenster zeigen sich namenlose Gebirgsketten nd gewaltige Gletscherströme, rechts liegt die vereiste Grönländische See.
Wir landen bei minus 25 Grad Celsius in Nerlerit Inaat, unter Piloten auch bekannt als Constable Point. Der Ort besteht nur aus dem Flugplatz. 1985 vom Ölmulti Arco erbaut, sollte er die Gegend für die Suche nach Öl erschließen. Seit Einstellung der Suche 1990 wird die Piste weiterhin als nördlichster Flugplatz an der Ostküste Grönland genutzt. Wer hier strandet, kommt im "Hilton Hotel" unter, einer roten Flughafenbaracke, von deren fünf Sternen am Eingang irgendjemand vier durchgestrichen hat. Noch 15 Minuten Flug mit einem Helikopter der Air Greenland - und die bunten Holzhäuser von Ittoqqortoormiit tauchen am Ufer des Scorebysund-Fjordes auf.
Ich quartiere mich im örtlichen Gästehaus ein, einer Holzhütte mit winzigen Zimmern und spartanischer Ausstattung, und laufe im letzten Abendlicht durch den Ort mit gut 500 Einwohnern. An vielen Häusern trocknen Eisbärfelle, zwei winzige Läden bieten eine Handvoll Lebensmittel an. Auf dem Eis der Meeresbucht sind Dutzende Schlittenhunde neben langen Holzschlitten angeleint.
Polarlichter zucken über den Himmel
Die meisten Einwohner von Ittoqqortoormiit sind bis heute Jäger und bestreiten mit der Jagd auf Robben, Eisbären, Moschusochsen und Schneehasen ihren Lebensunterhalt. Während die Kajaks aus bespannter Tierhaut durch Motorboote ersetzt wurden, sind Hundeschlitten bis heute das wichtigste Transportmittel im Winter. Die Jäger profitieren an der Mündung des Scoresbysund-Fjordsystems von den Strömungsverhältnissen: Sie sorgen für eine eisfreie Zone von mehreren Dutzend Quadratkilometern, die ein beliebter Winterplatz für Robben und Walrosse ist. Seit Jahrtausenden siedeln Menschen in der Hocharktis bevorzugt an diesen sogenannten Polonyas.
Auch wenn die Sonne am 21. Januar zum ersten Mal wieder über dem Scoresbysund aufgegangen ist und die Tage Anfang April bereits länger als die Nächte sind, lässt der arktische Sommer noch bis Juli auf sich warten. Eine meterhohe Schneedecke überzieht das Land am 71. Breitengrad, einziges Fortbewegungsmittel ist auch für mich der Hundeschlitten.
"Nanu Travel" steht auf einem winzigen, weinroten Holzhaus neben der Kirche. Die kleine Reiseagentur ist zu 70 Prozent im Besitz des Dorfes und vermittelt Guides und Hundeschlitten. Der Däne Martin telefoniert mit dem Handy einen jungen Guide herbei: Silas Simonsen soll mich am nächsten Tag mit raus in die Wildnis nehmen.
Ich werde in meiner ersten Nacht in Grönland von wunderschönen Polarlichtern begrüßt, die am Himmel flackern. Laufend verändern sie Form und Farbe und verschwinden kurz, um an anderer Stelle noch prächtiger wieder aufzutauchen. Gegen Mitternacht krieche ich in meinen arktistauglichen Daunenschlafsack, werde aber um 2 Uhr von einem heftigen Schneesturm geweckt.
Am nächsten Tag ist Ittoqqortoormiit im Schnee versunken, die einzige Verbindung zur Außenwelt ist die Parabolantenne der grönländischen Telefongesellschaft.