
Buenos Aires mit Baby: Friedhöfe, Engel und neue Freunde
Mit Baby auf Weltreise Eine Stadt, vier Abenteuer
Als ich zuletzt Buenos Aires besucht habe, war ich einige Jahre jünger, unverheiratet und kinderlos. Ich war tagsüber shoppen und abends Cocktails trinken. Ich bin über Flohmärkte gebummelt, durch Museen geschlendert und habe Tangoshows besucht. Ich fand die Stadt einfach wunderbar.
Jetzt ist mein Eindruck von der Stadt ein etwas anderer. Und meine Aktivitäten. Und mein - sagen wir mal - Lebensstatus.
Wir wollen es ruhig angehen lassen, an unserem ersten Tag in Argentinien, dem ersten "richtigen" Tag unserer Weltreise. "Lass uns einfach durch die Nachbarschaft schlendern", hatte mein Mann vorgeschlagen. Also laufen wir los, an der Hand das Kind, im Kinderwagen das Baby.
Ich bemerke Dinge, die mir bei meinem letzten Besuch nicht aufgefallen sind: Mega-Bürgersteine, die kein Buggy überbrücken kann. Hundeköttel alle drei Meter, die sich nur sehr schwer von Kinderschuhsohlen abkratzen lassen. Autos, die hupend über Zebrastreifen brettern.
Aber auch: Eisdielen an jeder Ecke, Blattschneiderameisen mitten zwischen den Häuserschluchten, Kletterbäume, die sofort ausprobiert werden.
"Glugs", kommentiert das Baby, als eine Tiersitterin mit einem Dutzend Hunden an uns vorbeiläuft. "Schöner Ausflug", meint mein Kind.
Sehenswürdigkeiten sehen wir an diesem Tag nicht. Nur Alltag - argentinischen.
Tangotänzer in der Tourimeile
Am nächsten Tag wollen wir uns wie echte Touristen benehmen. Also steigen wir in den Bus, um ins Stadtviertel La Boca zu fahren. Dort gibt es eine bekannte Straße namens Caminito mit kunterbunten Häuschen - die in gewisser Weise denen ähneln, die mein Kind unter Einsatz sämtlicher Farbstifte in seinen Zeichenblock malt.
Wer nach Hamburg reist, will einmal die Reeperbahn und die Herbertstraße sehen. Und wer nach Buenos Aires fährt, so erkläre ich meiner Familie, muss halt mal die Tourimeile in La Boca besuchen, Fotos von farbenfrohen Fassaden machen und Tangomusik lauschen, die aus jedem zweiten Restaurant schallt.
"So, so, das muss man also gesehen haben", zischt mir mein Mann zu, während er versucht, den Kinderwagen im Slalom um amerikanische Urlauber, Postkartenstände und Tangotänzer, die sich für ein paar Pesos in Pose schmeißen, zu manövrieren. "Naja", gebe ich zu, "ganz authentisch ist es nicht gerade, aber die bunten Häuser…"
"Ist hier ein Fest, Mama?" unterbricht uns das Kind.
"Nein, nur Tourismuswahnsinn", grummelt mein Mann und wimmelt mit einer Handbewegung den etwa achten Kellner ab, der uns mit einer mehrsprachigen Speisekarte in sein Restaurant lotsen will.
Da kommt dem Kind ein neuer Gedanke. "Ich bin aus-verhungert", sagt es. "Und Pipi muss ich auch." Solidarisch fängt auch das Baby an zu schreien.
Mein Mann und ich seufzen. Schallende Musik, überteuerte Preise, fettiger Fraß für Laufkundschaft - nicht gerade das, was wir uns vorgestellt hatten.
Aber, wie so oft, verdankt man glückliche Wendungen im Leben dem Zufall - oder seinen Kindern.
Schicksalsergeben wenden wir uns dem nächstbesten Mann mit Speisekarte zu. Er zeigt uns ein kleines Lokal, zwei Ecken weiter, ohne Diego Maradona-Figuren aus Pappmaschee am Eingang, ohne Tangomusik, ohne Touristen.
Dafür mit einem Kind, das begeistert auf unsere Tochter zuläuft, und seiner Mutter, der Inhaberin des Cafés, die den beiden Malsachen und Schokolade in die Hand drückt.
Wir bleiben. Wir trinken Mate-Tee. Und wir fangen an, mit den Cafébesitzern zu reden. Über Argentinien und Deutschland, über Kinder und eigene Träume, über das Leben in La Boca, das sich jenseits der bunten Häuschen und Touristenlokale abspielt. Das Baby wird im Arm der Kellnerin geschaukelt, das Kind wird von seiner neuen Freundin zum Kindergeburtstag eingeladen.
Drei Stunden später, als wir das Lokal verlassen, schaue ich meinen Mann triumphierend an: "War doch ein echter Geheimtipp, oder?"
In den nächsten Tagen schlendern wir durch die Innenstadt, fahren Boot, besichtigen Museen. Nicht in Form eines Besuchsmarathons wie bei meinem letzten Aufenthalt in Buenos Aires, sondern im Kindertempo. Also: langsam. Für das, was unser Reiseführer als Tagesprogramm auflistet, brauchen wir fünfmal so lang - und sind entspannt.
Ein Tag im Rückblick
Abends, bevor die Kinder ins Bett gehen, setzen wir uns zusammen und überlegen, was uns von den Erlebnissen des Tages am besten gefallen hat.
- Das Baby scheint überall zufrieden zu sein. Selbst, wenn wir uns mit dem Buggy in überfüllte Busse quetschen. Denn dabei kann man am besten flirten. Mit Großvätern, die ihm ihre Finger hinhalten. Jungen Mädchen, die ihm über den Kopf streicheln. Hausfrauen, die es mit spanischen Komplimenten überschütten. Egal, wie voll der Bus ist, es steht immer jemand auf, um uns einen Platz anzubieten.
- Die Antworten des Kindes hören sich so an, als ob es den Alltag in Hamburg beschreiben würde. "Der Spielplatz", sagt es beispielsweise. Oder: "Das Eisessen". Manchmal wird es auch konkreter. "Der Platz, wo die Kinder die Tauben füttern." Damit meint es die Plaza de Mayo im Herzen von Buenos Aires, die von Präsidentenpalast, Kathedrale und Nationalbank flankiert wird. Oder: "Die Katzen und die Engel". Also der Friedhof Recoleta, wo beispielsweise die ehemalige Präsidentengattin Evita Peron begraben ist. Und wo unzählige Katzen zwischen den Mausoleen und (Engel-)Skulpturen herumschleichen.
- "Die Atmosphäre in Palermo", findet mein Mann.
- "Oh ja", werfe ich ein, denn der Stadtteil hatte es mir auch angetan. "Vor allem die tollen Läden." "Also das meinte ich nicht gerade…", sagt mein Mann. "Vielleicht hätte die gepunktete Bluse doch noch ins Gepäck gepasst?" erwidere ich.
Wenn man uns zuhören würde, könnte man glauben, wir hätten alle vier etwas anderes erlebt.
Manchmal herrscht aber auch überraschende Einigkeit. Das MALBA, ein Museum für moderne Kunst, stieß einstimmig auf Begeisterung. Wenngleich aus unterschiedlichen Gründen:
- Ein idealer Ort für ein Mittagschläfchen (das Baby).
- Super Rolltreppen und gläserne Aufzüge (das Kind).
- Die Architektur (der Mann).
- Die Kunstwerke (ich).
Nach zwei Wochen reisen wir weiter. Alles gesehen haben wir nicht. Auf Shoppingtouren musste ich verzichten, weil wir auf die Gepäckmenge achten müssen. Und auch die Tangobars haben wir ausgelassen. Dafür haben wir noch dreimal unsere neuen Bekannten getroffen. Einen argentinischen Kindergeburtstag besucht. Viele neue Eissorten ausprobiert. Und uns entspannt.
Die Stadt fand ich, wie bei meinem letzten Besuch: einfach wunderbar.
Bis März 2013 wird Alexandra Frank regelmäßig von ihren Erlebnissen als Familie auf Weltreise bei SPIEGEL ONLINE berichten.