

Alpinismus am Mount Everest Erster Covid-19-Fall im Basislager
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Auf der Südseite des Mount Everest bereiten sich derzeit 371 Bergsteiger auf den Gipfel vor. Es sind kaum weniger als in der Rekordsaison 2019, als es am Berg erst zu einem Stau kam – und dann zu einer Katastrophe mit elf Toten. In diesem Jahr kommt zum großen Andrang ein weiteres Problem: die Pandemie.
Im vergangenen Jahr war der höchste Berg der Erde aufgrund der Coronakrise fast vollständig gesperrt. In diesem Jahr haben zwar einige westliche Anbieter ihre Expeditionen gecancelt. Doch viele Bergsteiger holen nun ihre verpasste Chance nach. Möglich macht das die nepalesische Regierung: Bereits Ende März hat Kathmandu die Quarantänepflicht für Touristinnen und Touristen aufgehoben. Wer nicht geimpft ist, muss bei der Einreise einen negativen PCR-Test vorlegen; bei Ankunft müssen sich alle einem weiteren Schnelltest unterziehen.

Sonnenuntergang am Everest: Ewiger Sehnsuchtsort von Bergsteigern
Foto: Zhang Rufeng / XinHua / dpaAls die Einreisebedingungen gelockert wurden, begann ein internationaler Run auf die nepalesische Seite des Everest. Peking dagegen erlaubt, ähnlich wie im Vorjahr, nur eine kleine nationale Expedition von der tibetischen Nordseite aus.
Jetzt folgte die Meldung von einem ersten Covid-19-Fall am Berg: Es geht um den Norweger Erlend Ness, Teilnehmer einer siebenköpfigen amerikanisch-norwegischen Expedition. Und damit beginnt die Furcht Tausender Einwohner Nepals, dass die Saison auch in diesem Jahr ausfallen könnte. Das Land ist eines der ärmsten der Welt; es ist auf das Geld der Alpinistinnen und Touristen angewiesen.
Ness schreibt aus dem Karuna Hospital in Nepals Hauptstadt: »Ich wurde nach drei Tagen am Basislager nach Kathmandu ausgeflogen. Aber ich hatte schon drei Tage Symptome, bevor ich am Everest war.« Zunächst war unklar, ob Ness unter einem in extremen Hochlagen häufig auftretenden Lungenödem litt oder unter Covid-19 – oder womöglich unter beidem; Ärzte hatten in den letzten Monaten immer wieder darauf hingewiesen, dass genau diese Unterscheidung eine medizinische Herausforderung sein könnte.
»Das erste positive Testergebnis habe ich ein paar Stunden nach dem Eintreffen im Krankenhaus bekommen«, so Ness. Nach neun Tagen im Krankenhaus gehe es ihm gut, die Symptome waren nur schwach. »Die Versorgung ist gut, ich hoffe, dass ich bald entlassen werde.« Wie er sich angesteckt habe, wisse er nicht, schrieb er am Donnerstag. Und auch nicht, ob er andere infiziert habe. »Das kann passiert sein, weil ich nicht wusste, dass ich infiziert war.«
Ein Sherpa aus Ness' Team habe sich tatsächlich mit dem Coronavirus infiziert, berichtete der norwegische Sender NRK. Ein Krankenhaus in Kathmandu bestätigte, dass es mehrere Coronapatienten vom Mount Everest aufgenommen habe, konnte jedoch keine genaue Zahl nennen.
»Die Intensivstationen in Nepal sind voll«
Die Zahl der Infektionen in Nepal war seit dem Herbst zunächst rückläufig, doch seit Januar steigt sie wieder. Zudem hat sich im Nachbarland Indien eine zweite Welle mit den weltweit höchsten Infektionszahlen aufgebaut – und die Grenze ist im Prinzip offen.
Der Umgang mit Covid-19 am Mount Everest stellt eine erhebliche Herausforderung dar. Oberhalb des Basislagers teilen sich die Bergsteiger in der Regel Zelte, sie bekommen in dieser Höhe ohne Atemmaske schon schwer Luft. Guy Cotter etwa, Chef des neuseeländischen Expeditionsanbieters Adventure Consultants, hat daher in diesem Jahr seine Expedition am Everest abgesagt: »Die Intensivstationen in Nepal sind voll, die Grenzen nach Indien nicht kontrollierbar. Und es ist nicht möglich, die einfachsten Hygieneregeln einzuhalten«, sagt er.
Andere betreiben dagegen erheblichen Aufwand, um sich vor dem Virus am Berg zu schützen. »Wir haben uns als isolierte Gruppe bewegt und sind auch im Basislager isoliert«, sagt Lukas Furtenbach, Geschäftsführer von Furtenbach Adventures aus Innsbruck, der in diesem Jahr mit 18 Kunden am Berg ist.
»Alle – inklusive der Mitarbeiter – werden regelmäßig von unserer Teamärztin getestet. Wir haben fast keinen Kontakt zu anderen Teams – und wenn unbedingt nötig, dann nur im Freien und mit Maske.« 80 Prozent seiner Teilnehmer seien ohnehin geimpft. »Zudem sind innerhalb unserer ›Bubble‹ natürlich gewöhnliche Hygienemaßnahmen wie Abstandhalten und strenge Handhygiene Pflicht.«

Lukas Furtenbach am Everest: Fast keinen Kontakt zu anderen Teams
Foto: Furtenbach AdventuresSie halte das Risiko einer Infektion für gering, sagt die deutsche Bergsteigerin Anja Blacha, die in diesem Jahr ohne Sauerstoff den Everest erklimmen will. Aber es sei immer eine persönliche Abwägung. »Die individuellen Voraussetzungen sind sehr unterschiedlich: Alter, Gesundheit, Vorbelastungen. Jeder muss das am Ende für sich entscheiden.«
Für Blacha ist die Gefahr, der sie andere aussetzen könnte, indem sie sie infiziert, ein besonders wichtiger Aspekt, sagt sie. Sie selbst habe vor der Reise nach Nepal etwa ihre sozialen Kontakte erheblich eingeschränkt. Ihre Erwartung war, dass am Berg wegen der Pandemie weniger Betrieb sein würde. Und damit mehr Platz für das, was sie dort sucht: »Eskapismus ist mein Motiv«, sagt sie, die Flucht vor der Realität.
Base-Camp-Partys ohne Abstand
Das Basislager, ein temporäres Camp mit mehr als tausend Menschen auf 5500 Meter Höhe, ist allerdings nicht nur für alpinistisch ausgerichteten Eskapismus bekannt, sondern auch als eine Art Ischgl in Zelten. Covid-19 scheint daran nicht viel geändert zu haben. Lukas Furtenbach berichtet, er habe bis zum Fall Ness in den sozialen Medien laufend Base-Camp-Partys, Menschenmengen in Innenräumen ohne jegliche Abstandsregeln sowie Einladungen zum Besuch in Camps beobachtet.
In der Community wird auch über lokale Veranstalter geredet, die es mit den Hygieneregeln nicht so ernst nehmen würden. Deren Kunden zahlen zumeist erheblich weniger als die der westlichen Konkurrenz, um auf den Berg zu steigen. Dafür bekommen sie aber auch weniger Service, weniger Ausstattung. Und womöglich: weniger Sicherheit. Ein Großteil von ihnen kommt mittlerweile aus China – und aus dem von der Pandemie schwer getroffenen Nachbarland Indien.
Die Kritik der westlichen Anbieter an den günstigen Konkurrenten ist nicht neu. Auch nach der Katastrophe 2019 vertraten einige westliche Veranstalterinnen und Veranstalter die Ansicht, dass die nepalesischen Billiganbieter nicht genug in die Qualifizierung ihrer Teilnehmenden, aber auch in eigene Logistik und Ausrüstung investierten.
Sollte es nicht gut gehen, könnte auch in diesem Jahr wieder Geld ganz erheblich über Leben und Tod am Berg entscheiden. Selbst am Everest verschärft die Pandemie die Kluft zwischen denen, die mehr investieren können, und denen, die weniger bezahlen.