
"MS Hanseatic": Ein Luxusliner im Panamakanal
"MS Hanseatic" Stößchen hier, Prösterchen dort
"Wir sind wieder zu Hause", sagt das Soltauer Verlegerehepaar Mundschenk, als es von Hotelchefin Doris Adler an Bord der "MS Hanseatic" in Lima begrüßt wird. Küsschen links, Küsschen rechts - und das nicht nur von den Verlegern.
Adler kann dem nicht entrinnen, sie kennt 80 Prozent der Neuankömmlinge bereits von früheren Reisen. Die meisten sind gewohnt, sich durchzusetzen. Wer auf dem Luxusliner der Hamburger Reederei Hapag-Lloyd Kreuzfahrten mitfährt, erarbeitet sich keinen Wohlstand mehr, er verwaltet ihn bereits. Und offensichtlich lässt er einen Teil seines Vermögens sehr regelmäßig auf dem Fünf-Sterne-Dampfer. Die "Repeater", so nennt die Branche ihre Stammgäste, sind das größte Kapital der "Hanseatic", die in den vergangenen Tagen in der Hamburger Werft Blohm & Voss fit gemacht wurde und am kommenden Freitag mit einem neuen Interieur wieder in See sticht.
Schließlich ist der Kreis derer, die sich überhaupt einen Urlaub in dieser Preisklasse gönnen können, überschaubar: 7000 bis 25.000 Euro, je nach Ziel und Unterkunft, kostet die dreiwöchige Fahrt pro Person. Doris Adler versucht gar nicht erst, eine Distanz zwischen Personal und Gästen zu wahren. Jeden Neuankömmling spricht sie persönlich an, ist offen für Sorgen und Nöte. Auf See teilt sie die Freude der Naturliebhaber über einen malerischen Sonnenuntergang genauso wie das Leid der Landratten während einer Schlechtwetterperiode.
Distanz zwischen Crew und Gästen schmilzt
Im Smalltalk taucht Adler ab in den Alltag der Urlauber und kommt mit Informationen für die Crew zurück: "Die roten Nelken auf Kabine 107. Der Steuerberater von 221 hat Probleme mit dem Internet-Fernseher, legt ihm einen Laptop aufs Zimmer. Und bringt vorsichtshalber ein paar Beruhigungstabletten auf Zimmer 312. Der Mann hat Angst vor Seegang." Extras, die kein Gast gefordert hat. Adler hört zu und reagiert. Der Genuss derartiger Feinfühligkeit ist der eigentliche Luxus auf der "Hanseatic".
Das unaufgeforderte Verwöhnen schlägt sich in der Stimmung an Bord nieder. Die Distanz zwischen Crew und Gästen schmilzt. Aus dem Zweiklassensystem wächst ein harmonischer Mikrokosmos, der im Schutz eines Stahlrumpfes extravagante Ziele ansteuert und das Abenteuer sucht.
Für die Mundschenks ist es die 16. Reise auf dem Luxusliner. Diesmal geht es von Peru über Ecuador, Panama, Kolumbien, Bonaire, Venezuela, Tobago und Französisch-Guayana zu Brasiliens Ostküste. Die Fahrt durch den alten Panamakanal hat den 69-jährigen Wolff-Martin Mundschenk schon lange gereizt.
Landwirt Schöcke und seiner Frau war die Feier anlässlich des 18. Schiffsgeburtstages wichtig. Und ein Ehepaar aus Nordrhein-Westfalen wollte eigentlich durch den Amazonas - aber dafür waren es zu spät. Die Reise ist seit einem Jahr ausgebucht. Egal. Hauptsache Urlaub - Hauptsache "Hanseatic". Alle 92 Zweibettkabinen auf dem knapp 130 Meter langen Schiff liegen im Außenbereich, jede mit Blick aufs Meer. Auf maximal 184 Gäste kommen 125 Angestellte.
Geschichtenerzähler vor Wasabi-Rogen
Kapitän Ulf Wolter ist der Kopf der Crew. Er ist 43 und durch einen Zufall als Zweiter Offizier vor 15 Jahren an Bord gekommen. Damals kappte der Schiffsfriseur seine schulterlange Mähne, noch bevor er seinen Seesack auspacken konnte. Ein silbernes Armband, das locker um sein Handgelenk baumelt, ist das letzte Überbleibsel seiner wilden Zeit. Und wenn er die Haare im Nackenbereich doch mal knapp über den Hemdkragen wachsen lässt, fangen die Damen der Crew an zu tuscheln. Mutig sei er, ihr Kapitän. Auch wegen der Frisur. Bei seinen Uniformen allerdings ist Wolter konservativ. Er trägt sie immer korrekt in Blütenweiß oder Königsblau. Je nach Anlass. Bei der Gala an jedem zweiten Abend einer Reise ist sie blau.
Wolter begrüßt jeden Gast per Handschlag und animiert zu einem Lächeln für gemeinsame Erinnerungsfotos. An diesem Abend gut 80 Mal. "Hier an Bord ist der Kapitän auch Entertainer." Der Kapitän grinst reserviert, wenn er das sagt. Ganz so, als würde ihm in diesem Augenblick klar, dass er gar kein großes Publikum suchte, als er sich für den Beruf des Nautikers entschied. Seine Gäste mögen die hanseatische Zurückhaltung des gebürtigen Hamburgers, einem Kapitän in vierter Generation. Und am Galaabend ist er Tischherr von acht Mitreisenden, von denen einige ein Schiff in der Größe der "Hanseatic" vermutlich von ihrem Tagesgeldkonto bezahlen könnten.
Die Plätze sind für Stammgäste reserviert, die schon etliche tausend Euro auf dem Luxusliner gelassen haben. Zwischen Lachs mit Wasabi getränktem Rogen vom fliegenden Fisch und gegrillter Languste in Limetten-Buttersauce lauschen sie Wolters Erzählungen über die Ziele der Reise und seine Erlebnisse auf See. Jedes Wort saugen sie genauso genussvoll auf wie das Bouquet des 2008er Merlots der chilenischen Winzerei Concha Y Toro, den der Sommelier auf die Menükarte gesetzt hat. Sie haben Abenteuer gebucht, doch jetzt wollen sie seine Geschichten. Wolter liefert ihnen beides.
Abenteuer, aber bitte mit Netz und doppeltem Boden
Sein Erfahrungsschatz bewahrt Wolter vor Seemannsgarn. Zigmal hat er die "Hanseatic" durch die Eisberge der Antarktis gelotst. Dort spielt das Schiff seine eigentlichen Stärken aus. Den geringen Tiefgang von unter fünf Metern. Oder die zwei Dieselmotoren, die die strengen Antarktis-Umweltrichtlinien erfüllen und natürlich E4, die höchste Eisklassifizierung für Passagierschiffe.
Für seine Gäste ist Wolter nicht einfach nur der Kapitän, der ihr Schiff von A nach B bringt. Er ist der Garant für Extras, die nicht im Katalog stehen und die sie doch alle erwarten. Sieht er Delfine, verkündet er sie über die Bordlautsprecher und öffnet das Vorschiff zur besseren Beobachtung. Entdeckt er einen Wal, ändert er kurzfristig den Kurs in Richtung Tier. Ein Fischerboot in Küstennähe funkt er schon mal an und bittet es, seitlich beizulegen. Der frische Fang geht direkt vor den Augen der Gäste an Bord. Fünf Red Snapper aus dem Pazifik vor Panama zum Beispiel. Jedes Exemplar gut 70 Zentimeter lang.
Das sind die Momente, für die sie den Kapitän verehren. Sie wollen Abenteuer, aber mit Netz und doppeltem Boden. Wolter weiß das und tut alles, was in seiner Macht steht, um die Erwartungen zu erfüllen. Fast immer drückt er aufs Tempo. Er muss die Termine halten, wie die Einfahrt in den Panamakanal beispielsweise. Meldet sich die "Hanseatic" am gebuchten Tag nicht pünktlich um 6 Uhr am Lotsenpunkt vor Panama City, könnte sie in den Nachtslot rutschen - wegen der spektakulären Aussicht ein Desaster für ein Passagierschiff.
Stößchen hier, Prösterchen dort
Doch Wolter muss auch zusätzlich Zeit rausholen. Als Spielraum für die kleinen Einlagen. Ein Sektempfang in Schlauchbooten inmitten des Pazifiks ist so ein Sonderspektakel. "Die Zodiacs sind unsere Geheimwaffe", erklärt der Kapitän mit Blick auf die schwarzen Gummiboote, die mit einem schiffseigenen Kran zu Wasser gelassen werden. Anlässlich des 18. Schiffsgeburtstags sitzt Doris Adler mit zwei Mitarbeitern in einem der Zodiacs und versucht, trotz Dünung den Sekt aus der Flasche ins Glas zu füllen.
Lässt die See es zu, gehen die Boote mit den Gästen längsseits bei. Volle Kelche wandern hin - und leere wieder zurück. Stößchen hier, Prösterchen dort. Und mit jeder Welle dröhnt das fröhliche Juchzen der weißhaarigen Schwimmwestenträger über das Meer: "So etwas gehört bei Reisen auf der 'Hanseatic' einfach dazu", erklärt Verleger Mundschenk. Und eine 71-Jährige pflichtet bei: "Vor Papua-Neuguinea haben wir schon mal einen Halt gemacht, nur um im 4000 Meter tiefen Meer zu baden". Ein Wunsch, den vermutlich kein Gast geäußert hat.
Und wenn Verleger Mundschenk bei der Zufahrt auf das letzte Schleusentor des Panamakanals von einem Traum spricht, den er sich an diesem Tag erfüllt hat, dann ahnt man schon, dass damit noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht ist. "Die legendäre Nordostpassage von Asien über Sibirien nach Europa. Das ist auch so ein Traum." Und wenn Mundschenk von Träumen spricht, meint er genau genommen Pläne.
Hapag-Lloyd Kreuzfahrten weiß das und lebt gut von derartigen Plänen. Den Chartervertrag für die "Hanseatic" hat der Tourismusanbieter frühzeitig bis 2018 verlängert. Scouts suchen bereits nach möglichen Ankerstellen und Verpflegungshäfen in Kamtschatka und Sibirien. Noch aber sperren sich die russischen Behörden. Doch auch so geht es weiter mit der "Hanseatic". Und ihr Rumpf wird auch in Zukunft in den Wellentälern ächzen.
Nach 18 Jahren Dienstzeit ist das ihr gutes Recht.