
Auf der Landebahn der Generäle: Burmas skurrile Hauptstadt
Burmas Hauptstadt Wenn Soldaten Stadtplaner spielen
Sind es die gigantischen Lotusblüten, die in den Verkehrskreiseln thronen? Die Arbeiter, die in der Mittagshitze Rinderkot vom Seitenstreifen kratzen? Oder ist es die Tatsache, dass auf den mindestens sechsspurigen Autobahnen selten mehr als drei Autos gleichzeitig zu sehen sind? Sechsspurig in jede Richtung, wohlgemerkt. Es ist schwer zu sagen, worüber man in Burmas Hauptstadt Naypyidaw zuerst den Kopf schütteln soll.
Zwischen Reisfeldern und Teakplantagen, im dünn besiedelten Landesinnern, schuf sich das Militär des südostasiatischen Staats vor knapp einem Jahrzehnt einen neuen Regierungssitz, der an Dekadenz und Absurditäten kaum zu übertreffen ist. Da wären zum Beispiel: ein Zoo mit klimatisiertem Pinguinbecken, Golfplätze, zahlreiche Luxushotels, ein Edelsteinmuseum und der Water Fountain Garden, in dem sich ein paar Einheimische abends zur ohrenbetäubenden Karaoke-Show versammeln. Die Musikvideos werden auf den feinen Sprühnebel eines Springbrunnens projiziert.
Touristen finden selten nach Naypyidaw
Und all das in einem Land, in dem andernorts oft der Strom ausfällt, viele Straßen nicht besser sind als Buckelpisten und etwa jeder dritte Einwohner unter der Armutsgrenze lebt.
Touristen finden selten nach Naypyidaw. So selten, dass das Gesicht von Nick Jewell, 56, aufleuchtet, wenn er in der Hotellobby auf einen anderen Europäer trifft. Der Brite berät die burmesische Regierung in Fragen der Landentwicklung. Gerade verbringt er wieder mehrere Wochen am Stück in der Stadt. "Es ist sehr einsam hier", sagt er. Offiziell hat Naypyidaw knapp eine Million Einwohner - doch die tatsächliche Zahl soll weit darunter liegen.
Die Stadt ist in Zonen eingeteilt, es gibt Zonen für Hotels, Banken, Geschäfte, Regierungsbüros, Wohnhäuser. Fußläufig ist wenig zu erreichen, die Gebäude erstrecken sich über eine Fläche achtmal so groß wie Berlin. Dazwischen liegen Felder, Wald, Brachland, Weideland. "Soldaten haben sich hier als Stadtplaner versucht", sagt Jewell sarkastisch. "Das ging nicht allzu gut." So versperrten auf manchem Mittelstreifen sorgsam gepflegte Beete mit Palmen die Sicht auf die Gegenfahrbahn. Das habe schon zu bösen Unfällen geführt.

Saw Yan Naing, 16 (l.), kommt manchmal mit seinen Freunden zum Planschen in dieses Schwimmbad in Naypyidaw
Foto: Marcel KlovertDen Pool, in dem der Brite am Wochenende manchmal seine Bahnen zieht, soll auch ein Armeeingenieur entworfen haben. Er ist 50 Meter lang, ein kühles, klares Becken mit Startblöcken und Sonnendach inmitten von trockenem Ackerland. Das skurrile Planschbecken ist genauso spärlich besucht wie das pompöse Einkaufszentrum nebenan. Man möchte im Supermarkt gar nicht ins Kühlregal greifen, um die Reihen der glänzenden Äpfel, Gurken und Zitronen nicht durcheinander zu bringen. In der Kinderabteilung hängen Teddybären so traurig im Regal, als hätten sie die Hoffnung aufgegeben, dass noch mal ein Kind vorbeikommt.
Im Schwimmbad immerhin planschen ein paar Teenager. Saw Yan Naing, 16, und seine Freunde haben die Schule geschwänzt, um baden zu gehen. "Der Pool ist der einzige Ort in Naypyidaw, den ich mag", sagt Saw Yan Naing. "Na ja, den Water Fountain Garden auch noch", räumt er ein. Und die breiten, leeren Straßen, über die man hemmungslos auf dem Moped heizen kann? "Ach nein, es ist so heiß und alles ist so weit weg, das macht keinen Spaß."
Saw Yan Naing lebt in Pyinmana, einem kleinen Ort einige Kilometer östlich der Hauptstadt. Die Großbaustelle nebenan war jahrelang Staatsgeheimnis. Im November 2005 verkündete die Junta dann überraschend, dass die Regierung in eine neue Retortenmetropole umziehen werde. Name: "Naypyidaw", gesprochen: "Näipidoh", übersetzt "königliche Stadt". Offizieller Grund: Der Ort liegt zentral zwischen Yangon und Mandalay und sei von überall gut zu erreichen. Kosten: geschätzt vier bis fünf Milliarden US-Dollar, aber genau weiß es niemand.
So wie auch kaum jemand weiß, was der damalige Staatschef, General Than Shwe, tatsächlich in der Walachei suchte. Vielleicht wollte sich der Diktator ja ein Denkmal setzen, wo burmesische Könige in der Vergangenheit doch immer mal wieder eine neue Hauptstadt gründeten. Gerüchte besagen auch, dass das paranoide Regime in die Isolation flüchtete, weil es sich in Yangon bedroht fühlte - von den USA, oder womöglich auch vom eigenen Volk? Zu dem hatte die Junta nie einen Draht. Gegen Kritiker ging sie stets brutal vor, ließ Aufstände blutig niederschlagen, zuletzt 2007.

Taxifahrer Ye Kyaw Thu, 32, mag die Hauptstadt: "Es gibt nie Stau."
Foto: Marcel KlovertDas Militärregime ist inzwischen einer formal zivilen Regierung gewichen. Präsident Thein Sein, unter Than Shwes Regime bereits Premierminister, schied 2010 aus dem aktiven Dienst aus. So konnte er bei den ersten Wahlen seit 20 Jahren als Zivilist antreten.
Im Stab des Präsidenten arbeitet die Frau von Taxifahrer Ye Kyaw Thu, 32. Sie komme abends spät nach Hause, sagt Ye Kyaw Thu, aber die Regierung zahle dafür die Miete. Das Ehepaar aus einem Dorf bei Bagan lebt seit vier Jahren in der Wohnzone für Regierungsangestellte beim Edelsteinmuseum. Der Taxifahrer fühlt sich wohl in der Planstadt Naypyidaw.
"Unser Haus ist gut und neu", sagt er und deutet auf die Straßenlaternen, die die Autobahn säumen. "Jeden Tag haben wir Strom." Sowie eine gute Internetverbindung, eine Rarität in allen anderen Teilen des Landes. Selbst in Yangon ist das Netz lahm und unzuverlässig. Außerdem sei es dort so voll, die Straßen dauernd verstopft.
In Naypyidaw kann Ye Kyaw Thu den mindestens dreifachen Fahrpreis verlangen, denn seine Passagiere haben wenige Alternativen. Und dann düst er ungestört über schlaglochfreie Strecken, die so breit sind wie Landebahnen, und über Kreisel mit riesigen Lotusblüten. "Ich fahre gern hier", sagt er und grinst. "Es gibt nie Stau."

Laos, Myanmar, Kambodscha: Heike und Marcel Klovert reisten in der Elternzeit anderthalb Jahre lang durch Asien. Kurz nach Weihnachten 2013 brachen sie mit ihrem kleinen Sohn Tom nach Thailand auf. Seit Juni 2015 sind sie zurück in Deutschland.