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New Orleans: Reise an den Mississippi

Foto: Franz M. Rohm / SRT

Partystadt New Orleans Die Wiedergeburt von Big Easy

Schon am Vormittag weht die Musik aus den Klubs - und nachts fällt es schwer, den Absprung ins Bett zu schaffen. Zehn Jahre nach dem verheerenden Wirbelsturm "Katrina" strotzt New Orleans vor Kraft und Optimismus.

Inmitten des Trubels auf der Bourbon Street, der berühmten Ausgehmeile der Stadt, stehen die Menschen und staunen. Bläulich-weiße LEDs beleuchten schwere, blankpolierte Harley-Davidson-Motorräder. Cool starren die Biker über ihre Lenker, aus ihren stählernen Auspuffrohren scheint das Motto der Nacht zu dröhnen: anything goes - alles ist möglich.

Drei angeheiterte Ladies bekunden lautstark ihre Begeisterung. Kurz darauf legt eine von ihnen mit einem der Biker ein Tänzchen auf den Asphalt. Freitagnacht ist die Bourbon Street eine Art Endstation Sehnsucht dionysisch veranlagter Touristen aus Amerika und dem Rest der Welt.

Benebelte Euphorie

Drink um Drink geraten die Besucher inmitten einer in Amerika einmalig hohen Dichte ausgezeichneter Restaurants, Musikschuppen und Bars in jenen Zustand benebelter Euphorie, für den New Orleans so berühmt ist. Big Easy, die große Leichtigkeit, so nennen die Einheimischen ihre Stadt am Mississippi. Fast pausenlos wird, ein Novum in den USA, auf der Straße Alkohol getrunken. Beliebtester Cocktail ist eine süße Mischung aus Rum und Fruchtsirup, der "Hurricane". "Der hieß aber schon vor Hurrikan 'Katrina' so", sagt Chuck Perkins. Er betreibt in einem der am stärksten von den Fluten verwüsteten Stadtteilen, dem traditionellen Arbeiterviertel Lower Ninth Ward, das Musikcafé Istanbul.

Zehn Jahre nach dem verheerenden Sturm, der mehr als 1600 Menschenleben forderte, präsentiert sich New Orleans lebendiger denn je. "Mehr als 15 Milliarden Dollar wurden allein in das Flutschutzsystem mit Deichen, Dämmen, Wehren und Pumpen investiert", sagt Perkins, "und rund 80 Milliarden in die Infrastruktur."

Hurrikan Katrina

Am 29. August 2005 traf Hurrikan Katrina 20 Meilen östlich von New Orleans auf Land. Zwei Tage zuvor hatte der Bürgermeister die Evakuierung der Stadt befohlen. Mehr als 100.000 Menschen von rund 480.000 Einwohnern blieben in der Stadt. Am frühen Montagmorgen drückten Windgeschwindigkeiten mit bis zu 200 Stundenkilometer eine zehn Meter hohe Flutwelle über den Golf von Mexiko in den Lake Pontchartrain und von dort in die Kanäle der Stadt. Rund 50 der schlecht gebauten Dämme und Deiche brachen und überfluteten 80 Prozent der Stadt. In New Orleans kamen mehr als 1600 Menschen ums Leben, die Hälfte der Häuser war nach der Flut unbewohnbar. Die Schäden werden heute mit rund 130 Milliarden Euro beziffert. 2014 zählte New Orleans wieder mehr als 350.000 Einwohner.

Wer kommt, will ausgelassen feiern

Das große Glück von New Orleans war, dass das French Quarter kaum überflutet war. "Die Gründer der Stadt wussten, was sie taten", sagt Perkins. Das alte Viertel, le Vieux Carré, wurde Anfang des 18. Jahrhunderts auf den höher gelegenen Uferstellen des Mississippi erbaut, dort wo die Choctow-Indianer ihren Markt hielten. Deshalb blieb es von den Überschwemmungen der "Katrina"-Flut verschont, genauso wie das Nobelviertel Garden District mit seinen Südstaaten-Villen. Der unter der Wasserlinie zwischen Fluss und dem Pontchartrain-See gelegene Rest der Stadt stand mehrere Wochen bis zu dreieinhalb Meter unter Wasser.

Zehntausende Freiwillige und ebenso viele Bauarbeiter haben die Stadt wieder aufgebaut. Im vergangenen Jahr wurden die Touristenzahlen des Jahres vor "Katrina" wieder erreicht. Rund zehn Millionen Gäste besuchten die Stadt. Und die wollen vor allem eines: ausgelassen feiern.

Manche auch schon am Vormittag. Im berühmten Restaurant Court of Two Sisters serviert Kellner Lee schon um halb elf die ersten hochprozentigen Cocktails. Zum Brunch gibt es Alligatorengulasch und Jambalaya, eine Art Südstaaten-Paella.

Ein Verdauungsspaziergang führt zum zentralen Jackson Square und seinen Straßenmusikern, die "What a wonderful world" spielen und auf ein Trinkgeld hoffen. An dem pittoresken Platz mit der dreischiffigen St. Louis Cathedral lohnt ein Abstecher in das "Katrina"-Museum direkt nebenan. Hier steht das zerstörte Piano von Jazz-Altmeister Fats Domino, das die Fluten in seinem Haus zu einem Haufen Holz, Tasten und Saiten zusammenschoben.

Rund um den Jackson Square finden sich viele Boutiquen, Galerien und Cafés. Wer die trendigen und preiswerteren Geschäfte sucht, geht weiter Richtung Osten zur Esplanade Street in die neuen Szeneviertel Faubourg Marigny und Bywater. Hier hat sich eine Alternativkultur mit preiswerten Bistros, Klubs, Hinterhofmärkten und Vintage-Mode etabliert. "Viele der College-Kids, die zum Helfen beim Wiederaufbau gekommen sind, blieben hier", sagt Chuck Perkins. Sie haben vegetarische Restaurants eröffnet, verleihen Fahrräder oder verkaufen Mode.

Das neue New Orleans

Vor Sonnenuntergang lohnt sich noch eine kleine Shoppingtour im ersten innerstädtischen Outlet-Center im Süden der USA, dem Riverwalk Center. Geschichts- und Kulturinteressierte besuchen zwanzig Fußminuten entfernt das National World War II-Museum, das Contemporary Arts Center oder das Südstaaten-Kunst-Museum.

Nach einer kleinen Siesta beginnt das Abendprogramm. Traditionell geht man dann in New Orleans feiner aus. Zum Beispiel ins Fischrestaurant GW Fins, ins kreolische Restaurant Broussard's oder zu Arnauds mit französischer Küche. Nach dem Essen folgt ein Spaziergang im Getümmel der Bourbon Street. Aus dem Krazy Korner dröhnt lauter Rock, im Old Absinthe House trinken sich Mittelklassepaare warm, vor den Stripteasebars winken minimal bekleidete junge Damen potenzielle Kundschaft herein. Wem das zu vulgär und zu laut ist, der schlendert weiter über die Esplanade Street.

"Das ist das neue New Orleans", brüllt Perkins, der nun im Spotted Cat steht, einem Musiklokal in der Frenchmen Street. Auf der kleinen Bühne drängelt sich ein knappes Dutzend Musiker und bläst, trommelt und singt dem Publikum feinste Jazzklänge in die Ohren.

"Nach 'Katrina' gab es viele Menschen im Land, die meinten, New Orleans sei es nicht wert, wieder aufgebaut zu werden. Aber wir, die Menschen von New Orleans und viele Helfer, haben dafür gekämpft. Big Easy ist wieder da, besser als je zuvor", sagt Perkins und zieht weiter in die warme Nacht.

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Franz Michael Rohm/srt/ele
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