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Osttimor: Ein Land wartet auf Touristen

Foto: Jochen Müller / Peer Bergholter

Tourismus-Anfänger Osttimor Weiße Strände, roter Staub

Menschenleere Buchten, grüne Hügel und nur wenige Reisende: Osttimor scheint das Traumziel aller Fernwehgeplagten zu sein. Das südostasiatische Land rückt gerade erst auf die touristische Weltkarte.
Von Peer Bergholter und Jochen Müller

Schon wieder eine Kontrolle. Diesmal sind es fünf Männer in Zivil, die sich unsere Pässe vorknöpfen und genau studieren. Zuvor hatten bereits sechs Soldaten und ein Dutzend Polizisten an fünf verschiedenen Grenzposten in Motoain, der Landesgrenze zwischen Indonesien und Osttimor, Fragen gestellt, das Gepäck kontrolliert - und uns dann in Osttimor willkommen geheißen. Eine Nonne, die neben uns im Bus sitzt, erklärt: "Das ist die vielleicht sicherste Grenze der Welt."

Immerhin hat uns das Warten in der gleißenden Sonne auf dem Kiesplatz neue Bekannte beschert: die Schwester in weißer Ordenstracht sowie ein junges Paar auf dem Weg zu einer Hochzeit in der Landeshauptstadt Dili.

Während sich der Bus über staubige Pisten arbeitet, erzählen sie vom Schicksal Timors. Wie sich Holländer und Portugiesen nach langem Streit die Insel aufteilten und eine Grenze zogen, die noch 400 Jahre später umkämpft war. Wie die Indonesier einmarschierten, kaum dass die Portugiesen sich 1975 endgültig zurückzogen, und wie es den Familien unmöglich wurde, ihre Verwandten auf der anderen Seite zu besuchen.

Doch diese Zeiten sind seit der Unabhängigkeit Osttimors vor einem Jahrzehnt vorbei. "Für die Familien ist es ein großes Glück, dass sie nun wieder gemeinsam Feste feiern können", sagt die Nonne, während wir über Schlaglöcher brettern und die Taschen aus den Gepäckfächern über unseren Köpfen hüpfen. Rostroter Staub hüllt den Bus ein und erinnert daran, dass die Insel Timor geologisch zum australischen Kontinent gehört. Die menschenleeren Buchten künden allerdings davon, dass das Land auf der touristischen Weltkarte nicht vorkommt - da kann das türkisblaue Wasser der Banda- und Timorsee noch so lieblich an den Strand schwappen.

"Euch wird keiner ein Haar krümmen"

Im East Timor Backpackers in Dili, dem einzigen Hostel hier, erzählen der britische Besitzer Dan und seine timoresische Frau Rita von der Lage im Land. "Daheim liest man Schlimmes über Osttimor. Wenn überhaupt", sagt Dan. Er seufzt und umklammert sein Bier, ein indonesisches, denn eine Brauerei gibt es im ganzen Land nicht. "Die Nachrichten halten die Touristen fern, dabei ist es hier nicht gefährlicher als in Indonesien."

Und die Kriminalität? "Natürlich gibt es Gewalt, allerdings hauptsächlich zwischen den Einheimischen. Die Landbevölkerung neidet den Bewohnern Dilis den relativen Wohlstand, den die Uno hierhergebracht hat. Viele ziehen in die Stadt auf der Suche nach Arbeit." Es gebe Banden, die gezielt die Zugezogenen angreifen. "Aber euch wird keiner ein Haar krümmen, jeder weiß, dass das Land auf Touristen angewiesen ist."

In den Straßen von Dili gehen die wenigen Fremden zwischen den Einheimischen unter. Auf dem Wochenmarkt am Südrand der Stadt drängen sich in traditionelle Sarongs gewandete Frauen, junge Männer tragen die Fußballtrikots europäischer Vereine stolz zur Schau, die Füße in Flip-Flops oder nackt. Ungläubig betrachten Händler die Ausländer, bevor die von Betel rot gefärbten Münder in der Landessprache Tetun ihre Waren anpreisen.

Ein Mann bietet seine Hilfe als Übersetzer an, damit wir ein wenig Obst kaufen können, dessen Duft sich mit dem des frischen Kaffees mischt. Er kann kaum fassen, dass wir keine Uno-Mitarbeiter sind. "Touristen? Wundervoll! Ich hoffe, ihr mögt Osttimor. Danke, dass ihr hergekommen seid."

Im Osten von Dili, auf einem kargen Felsen, thront eine 27 Meter hohe Jesusstatue. Zu ihren Füßen rollen Wellen auf feinen, weißen Sand. Die Statue, ein Geschenk Indonesiens aus dem Jahr 1988, war einst ein Affront, bevor sie zum Wahrzeichen wurde. Den Blick nach Jakarta gewandt, erinnert sie die Einheimischen daran, dass Indonesien Osttimor lange als 27. Provinz angesehen hat.

Ein Viertel der 800.000 Einwohner Osttimors starb während der indonesischen Besatzungszeit von 1975 bis 2002 durch Kämpfe, Hinrichtungen und Vertreibung, viele weitere in den auf die Unabhängigkeit folgenden Unruhen. Erst der Einzug der Uno befriedete das junge Land. Heute sieht man an den Stränden Fremde wie Einheimische gemeinsam baden. Und nur die am Straßenrand geparkten weißen Jeeps geben einen Hinweis darauf, dass die wenigen Ausländer in Osttimor fast ausschließlich Angestellte internationaler Hilfsorganisationen sind.

Paradies für Zivilisationsflüchtlinge

Dass der Tourismus noch in den Kinderschuhen steckt, merkt man, sobald man Dili verlässt. Mit jedem Kilometer gibt es mehr ungeteerte Straßen und weniger Unterkünfte in den Orten. Einzige Ausnahme bildet Com an der Ostspitze des Landes. Im Hauptausflugsziel für Uno-Angestellte reihen sich kleine private Gästehäuser entlang der einzigen Straße.

"Am Wochenende kommt es sogar vor, dass der ganze Ort ausverkauft ist. Unser Strand ist der schönste in ganz Osttimor", versichert Sina, eine lokale Gastwirtin, während sie sich die Hände an ihrer Küchenschürze abtrocknet. Und: Ihr Fischcurry sei das beste im Ort, sagt sie. Was aus Com und dem Tourismus im Land werden soll, nachdem die Vereinten Nationen abgezogen sind, weiß auch sie nicht. "Aber wir werden bald eine Internetseite haben!"

Wie sie die ersehnten Anfragen erhalten und beantworten will, kann sie jedoch nicht erklären, denn Com ist nicht an das langsam wachsende Telefonnetz angeschlossen. Internet gibt es bisher nur in Dili. Statt moderner Telekommunikation hat die Ostspitze der Insel andere Attraktionen: unberührte Palmstrände, intakte Korallenriffe, um die sich Delfine tummeln, und einen Salzsee mit Krokodilen.

Wer Meeressäuger sehen will, kann sich für ein paar Dollar im Hafen von einem Fischer hinausfahren lassen. Sie alle kennen hier die Stellen, an denen man fast sicher Wale beobachten kann. Für Kulturinteressierte gibt es kleine Dörfer wie Tutuala oder Fuiloro mit ihren traditionellen Fataluku-Häusern, für deren eigenwillige Architektur die Gegend berühmt ist. Aber das Beste an Com ist die Abgeschiedenheit. Auch Sina hat inzwischen gelernt, dass es für gestresste Westler einfach unbezahlbar ist, für eine Weile unerreichbar zu sein.

Heiße Quellen und weiße Palmstrände

Eine Tagesreise entfernt von Com thront im Landesinneren der Tatamailau, mit 2963 Metern der höchste Berg Osttimors. Zu seinen Füßen, im kleinen Örtchen Same, hockt ein Mann auf dem Rand eines trockenen Springbrunnens und knabbert im letzten Licht des Tages einen Stockfisch. Während seine Finger flink den Fisch zerlegen, spricht er mit ruhiger, sanfter Stimme. Er teilt Sinas Sorgen, jedoch nicht ihre Zuversicht.

Dass der Ort von hohen Bergen umgeben ist, von deren Spitze aus man über dichte Wälder bis zum türkisfarbenen Meer schauen kann - das scheint für ihn kein Grund zu sein, warum man als Tourist in seine Heimat reisen sollte. Ebenso wenig die bereits von den Portugiesen geschätzten und ausgebauten heißen Quellen. Dass sich in seinem kleinen Land dichte Urwälder neben trockenen Steppen drängen und sich alpines Terrain hinter palmgesäumten weißen Sandstränden auftürmt, ist für ihn keine Erwähnung wert.

"Wir wünschen uns alle, dass viele Touristen kommen, aber was gibt es hier schon zu sehen? Osttimor ist arm, der Strom fällt oft aus, die Straßen sind schlecht." Außerdem spreche kaum jemand Englisch, und es gebe keine großen Hotels mit Pool. Er zuckt mit den Schultern und verabschiedet sich per Handschlag.

Ein Gästehaus gibt es aber immerhin in Same: Versteckt hinter Maschendrahtzaun und Gebüsch, ist es von der Straße aus nicht als Unterkunft zu erkennen. Ein junges Pärchen sieht uns ratlos auf dem Dorfplatz und führt uns zu der Unterkunft, die weder Schild noch Namen hat. Inhaber Marco begrüßt uns aus der Garage heraus, wo er sich gerade zwischen allerlei Baumaterial auf einer Bambusliege ausgestreckt hat. Er entschuldigt sich dafür, dass er für seine Gäste kaum auffindbar ist, obwohl sein Haus direkt an der Hauptstraße steht.

Ein Werbeschild hat er sich schon ausgedacht - das will er im Zentrum von Same anbringen, damit die Touristen ihn in Zukunft besser finden. Sobald er genügend Geld gespart habe, sagt Marco. "Darauf werde ich ein Bild des Tatamailau drucken", sagt er, "und Tourangebote!" Denn dass der Berg hinter seinem Haus Touristen anlocken wird, dessen ist sich zumindest Marco sicher.

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