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Papua-Neuguinea: Schminken für den Kriegstanz

Foto: Norbert Eisele-Hein / SRT

Festival in Papua-Neuguinea Der Urzeit-Rave

Kriegstänze mit Bambusspeeren und knallbunten Kostümen: Die Feier zum Unabhängigkeitstag in Papua-Neuguinea ist wie eine Mischung aus Karneval, Olympia-Eröffnung und Love Parade. Ein Fest ist das auch für Ethnologen und Fotografen.

Der Krieger mit der Holzmaske pirscht sich nach vorne, sein Körper ist mit Lehm und Farbe bemalt. Plötzlich schnellt der armdicke, messerscharf angespitzte Bambusspeer nach vorne. Die Touristen am Rande der Tribüne halten den Atem an.

Mit diesem Angriff hätte der Guropoka-Krieger einen Gegner schwer verwunden können, ginge der Schlag nicht ins Leere. Hinter ihm folgen seine Clansleute in ähnlichen Outfits. Um die Hüfte tragen alle nur einen Bastring mit auffallend stilisiertem Phallus. Auf die brutale Scheinattacke folgt ein anzüglicher Hüftstoß, dann brüllt der ganze Clan die Worte "Muka Muka".

So viel steht fest, bei dieser Darbietung geht es um zwei elementare Dinge: Kampf und Sex. Ben, der Häuptling der Gruppe aus dem nahen Asaro-Tal, präzisiert den Inhalt. "Unser Tanz beginnt mit einem 'Raid', einem Kriegszug gegen verfeindete Gruppen. Und wer diesen überlebt, ist sich der hingebungsvollen Liebe seiner Frau gewiss." Die Guropokas sind nur eine von etwa 120 Ethnien, Stämmen und Clans, die alljährlich bei der "Goroka-Show", dem größten "Sing Sing" Papua-Neuguineas teilnehmen.

Australische Offiziere, die den Inselstaat im Zweiten Weltkrieg vor der Eroberung durch Japan bewahrten, riefen die Clans erstmals 1957 zum "Sing Sing", zu einer festlichen Übereinkunft. Hintergrund war wohl auch, die extrem isoliert lebenden und untereinander meist feindlich gesinnten Gruppierungen zu befrieden.

Paradies für Linguisten und Ethnologen

Guinea ist nach Grönland die zweitgrößte Insel der Welt. Der Seefahrer Louis-Antoine de Bougainville hatte 1768 die Küsten bereist. Die Briten auf den westlich vorgelagerten Inseln handelten bereits um 1790 mit Hölzern und Seegurken. Die Deutschen hissten 1884 die Reichsfahne in Finschhafen und gründeten Deutsch-Neuguinea. Das Hochland jedoch galt bis in die Dreißigerjahre als Terra incognita. Unzugänglicher Urwald und das Fehlen jeglicher Infrastruktur bewahrte die Menschen lange vor dem Erstkontakt.

Selbst die ersten Missionare drangen erst nach dem Zweiten Weltkrieg in das wild zerklüftete Gebirge vor. Ihnen folgten die Ethnologen. Ein unverstellter Blick in die Vergangenheit, ein unfassbarer kultureller Reichtum und über 800 Sprachen - so unterschiedlich wie Französisch und Chinesisch - bieten heute noch Stoff für viele Doktorarbeiten.

Auf der zwei Tage dauernden Show in Goroka sprechen alle Tok Pisin - eine Art verlautschriftliches Pidgin-Englisch. Immer um den Unabhängigkeitstag am 16. September platzt die 25.000-Seelen-Kleinstadt aus allen Nähten. Tausende Darsteller kommen auf den Ladeflächen klappriger Pick-ups und rostiger Laster hierher.

Hinter einer windschiefen Scheune bereiten sich die Marowa-Welda akribisch auf ihren Auftritt vor. Die in die Jahre gekommene Damentruppe trägt lange Bänder aus Hunderten weißen und pinkfarbenen Muscheln, die Miniröcke aus frischen Palmenblättern halten. Das Gesicht grundieren sie in weiten Partien weiß. Pflanzenstengel ersetzen Pinsel, mit ihnen wird das Deckweiß hellblau punktiert. Letzte freie Flächen werden mit Purpurpuder aus der Dose zugetupft.

Exzess mit 2000 Teilnehmern

Die Damen schminken sich gegenseitig und behelfen sich mit Spiegelscherben oder abgebrochenen Autospiegeln. Urwaldgräser, Pfauenfedern und ganze Schwingen von Greifvögeln bilden einen voluminösen Kopfschmuck. Literweise Salatöl verleiht dem Pflanzenrock und der restlichen Haut zusätzlichen Glanz.

Feierlich tanzt die Gruppe in das umzäunte Rugby-Stadion. Es ist ein unglaublicher Reigen - opulent, barock, exzessiv. Über 2000 Darsteller, Krieger, Sänger und Musikanten sorgen für eine unvergessliche Kakophonie.

Die Omas von Marowa-Welda trommeln sich in Ekstase, ihre nackten Brüste wippen im Takt. Sie kauen beständig Betelnuss und lachen breit mit davon blutrot verfärbten Zähnen. Mit ihren neongelben Trillerpfeifen erinnern sie an Ecstasy-Konsumenten auf einem Rave. Die Pracht der Kostüme kann es mit dem Karneval in Rio aufnehmen. Ein wenig ähnelt das Treiben aber auch einer völlig abgedrehten Eröffnung der Olympischen Spiele.

Dabei spiegeln die Darbietungen den Alltag noch nicht ganz vergangener Zeiten. Die Sandaun Warriors mit ihren Penisköchern aus Kalebassen-Kürbissen sind ein begehrtes Fotomotiv. "Wir sind fast alle Studenten", erklärt ihr Sprecher John. "Nein, in der Uni und in der Freizeit laufen wir natürlich nicht mehr so rum, das machen nur noch die Alten", erklärt er lachend, während er eine SMS in sein Smartphone tippt.

"Die Alten", damit meint er Mitstreiter wie die Orumba aus dem Unggai-Distrikt. Sie sind bis an die Zähne bewaffnet. Die Spitzen ihrer Speere und Pfeile sind grausame Kunstwerke, mit vielen Reihen kompliziert eingearbeiteter Widerhaken aus Pflanzendornen. So ein Pfeil kann, einmal im Körper steckend, nur noch komplett durchgeschoben werden. "Bei einem richtigen Kriegszug wäre er ohnehin zusätzlich vergiftet", erklärt ihr mindestens 60 Jahre alter, aber immer noch beeindruckend muskulöser Sprecher mit vernarbtem Oberkörper und einem knöchernen Nasenring.

Das Festival deutet es an: Viele der gut sieben Millionen Einwohner des Inselstaates leben wie in einer anderen Zeit. Schwarze Magie, Hexenglauben und Selbstjustiz, 'Raids' und 'Counterraids' sind immer noch möglich. Gestern noch Krieger mit Speer, heute als Angestellter mit iPhone in der Tasche hinter der Supermarktkasse? Der Übergang wird noch eine Weile holprig bleiben.

Vielleicht schafft es ein sanft entwickelter Tourismus, hier Brücken zu schlagen. Tauch- und Luxusresorts an den Küsten sind beliebt, ebenso wie Trekkingtouren, die garantiert ohne alpinen Rummel auskommen. Die Guropoka vermieten sogar schon einfache Hütten. Dort schlafen Touristen in Bettwäsche mit Herzchen-Design und essen Schweinebraten aus dem traditionellen Erdofen.

Viele planen ihre Reise um das Spektakel eines "Sing Sings". Die Damen von Marowa-Welda werden also wohl auch in den nächsten Jahren keine Schwierigkeiten haben, ein Publikum für ihren Rave zu finden.

Norbert Eisele-Hein/srt/sto
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