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Tramper Juan Villarino: 14 Jahre als Anhalter unterwegs

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Tramper reist seit 14 Jahren um die Welt Großer Mann, kleine Welt

Seit 2005 bereist Juan Villarino die Welt per Anhalter. 2350 Autos haben ihn seither mitgenommen. Hier erzählt er, wie er mit fünf Dollar am Tag auskommt und warum Albanien perfekt ist.
Von Aileen Tiedemann
Zur Person
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Juan Villarino, 41, geboren in Mar del Plata in Argentinien, studierte zunächst Psychologie. Seit 1. Mai 2005 reist er immer wieder als Anhalter um die Welt und arbeitet als Blogger und Reisebuchautor - etwa "Hitchhiking on the Axis of Evil" oder "Invisible Roads". Zurzeit lebt er in San Nicolás in Argentinien und schreibt an einem neuen Buch über eine 15-monatige Reise von Kairo bis Kapstadt.Acróbata del Camino Instagram Juan Villarino 

SPIEGEL ONLINE: Sie reisen per Anhalter über alle Kontinente. Verraten Sie uns bitte zunächst Ihre besten Tricks.

Juan Villarino: Man muss die Leute mit einem Lachen anhalten und nicht mit dem Daumen. Schließlich geht es darum, innerhalb weniger Sekunden das Vertrauen eines Fremden zu gewinnen. Optisch sollte man dem Klischee eines Backpackers entsprechen, denn so können einen die Leute schneller einschätzen: bärtig, in T-Shirt und Schlabberhosen, mit einem Rucksack vor den Füßen. Außerdem sollte man immer glücklich und auf keinen Fall verzweifelt wirken. Wer in Eile ist, sollte lieber nicht per Anhalter fahren.

SPIEGEL ONLINE: Wie kam es überhaupt dazu, dass Sie hauptberuflich trampen?

Villarino: Meine Entscheidung fiel 2005 während der Finanzkrise in meinem Heimatland Argentinien. Ich studierte Psychologie, sah aber kaum eine Chance, nach meinem Studium einen Job zu bekommen. Ich war umgeben von Menschen, die ihr ganzes Leben mit Arbeit verbracht hatten und plötzlich vor dem Nichts standen. Ich wollte mir daher die Welt anschauen.

SPIEGEL ONLINE: Wohin sind Sie zunächst gereist?

Villarino: Auf meiner ersten Reise, die mich in 27 Monaten von Europa nach Thailand führte, kam ich auch nach Afghanistan, Syrien und den Irak. Daraus entstand mein Buch "Hitchhiking on the Axis of Evil": Mir ging es nach den Terroranschlägen in New York am 11. September 2001 auch darum, ein positiveres Bild der muslimischen Welt zu zeigen. Fernsehen produziert ja oft nur Vorurteile. Ich finde aber, dass man der Wahrheit erst beim Reisen näher kommt.

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SPIEGEL ONLINE: Wie schaffen Sie es, gut gelaunt zu bleiben, wenn ein Auto nach dem anderen an Ihnen vorbeifährt?

Villarino: Irgendwann hält immer einer, das hat mich die Erfahrung gelehrt. Allerdings wartet man je nach Land unterschiedlich lange.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie eine Statistik geführt?

Villarino: Ja, bei allen 2350 Autos, die mich je mitgenommen haben, habe ich mir notiert, wie lange es gedauert hat, bis eines angehalten hat. Am kürzesten war die Wartezeit in Albanien und auf den Färöern: im Schnitt nie länger als fünf Minuten. Im Irak waren es sieben Minuten und in Jordanien neun. Deutschland liegt mit einer durchschnittlichen Wartezeit von 22 Minuten im guten Mittelfeld. Am längsten hat es in Schweden und Norwegen gedauert, bis jemand gehalten hat: im Schnitt 40 Minuten.

SPIEGEL ONLINE: Wie konnten Sie sich bei den langen Wartezeiten in Skandinavien zum Trampen motivieren?

Villarino: Ich habe mir immer gesagt: Wenn einer anhält, dann, weil er es wirklich will. Und so war es dann auch. Zwei sehr nette Vogelforscher nahmen mich mit und ließen mich in dem Leuchtturm ihrer Vogelbeobachtungsstation übernachten. Zum Abschied schenkten sie mir einen Markierungsring mit einer Nummer. Seitdem bin ich offiziell ein Zugvogel.

SPIEGEL ONLINE: Kann das Ungewisse am Trampen süchtig machen?

Villarino: Auf jeden Fall. Es ist wie beim Glücksspiel, man wird ständig überrascht. In Bolivien hat mich ein bekannter Fußballcoach aufgesammelt, der schon gegen Maradona gespielt hat. Er fuhr von Dorf zu Dorf, um neue Fußballtalente zu entdecken, und ich durfte einen Tag lang sein Assistent sein. Im kurdischen Teil des Irak nahm mich ein Regierungsbeamter mit und organisierte für den Tag danach ein Treffen mit dem Präsidenten. Als ich aus dem Wagen stieg, waren Fernsehkameras auf mich gerichtet, und mein Handschlag mit dem Präsidenten wurde live im TV übertragen. Im ganzen Land auf jedem Programm das gleiche Bild: der Präsident und ich. Völlig irre!

SPIEGEL ONLINE: Ihr Reisebudget beträgt nur fünf Dollar pro Tag. Wie können Sie sich damit Übernachtungen leisten?

Villarino: Wenn ich an einem neuen Ort ankomme, lautet meine erste Frage immer: "Wo kann ich mein Zelt aufschlagen?" Das funktioniert überall. So wissen die Menschen, dass ich nach einem Ort zum Schlafen suche und mir kein Hotel leisten kann. Oft laden sie mich dann ein, bei ihnen im Haus zu schlafen oder mein Zelt im Garten aufzuschlagen.

SPIEGEL ONLINE: Wo waren die Menschen besonders gastfreundlich?

Villarino: In Syrien, wo ich 2005 war. Jedes Mal, wenn ich dort in einem Dorf ankam, stritten sich meist schon nach kurzer Zeit zwei Familien darum, mich aufzunehmen. Zum Abschied am nächsten Morgen sagten sie dann: "Du bist jetzt Teil unserer Familie, weil wir unser Essen mit dir geteilt haben." Mein Vertrauen in die Menschen in Syrien war so groß, dass ich einen Lkw-Fahrer mitten in der Wüste darum bat, mich aussteigen zu lassen, weil ich ein paar Beduinenzelte am Straßenrand gesehen hatte.

SPIEGEL ONLINE: Wieso das?

Villarino: Ich war mir einfach sicher, dass man mich dort aufnehmen würde. Gerade Beduinen stammen aus einer Kultur, bei der es seit Jahrhunderten darauf ankommt, einander zu helfen. Ich glaube, dass Menschen in Kulturen, in denen man einander braucht, glücklicher sind. In reichen Ländern kommt jeder allein klar, deshalb sind dort auch so viele Menschen depressiv. Weil der Austausch fehlt.

SPIEGEL ONLINE: Wo kamen Ihnen denn die Menschen besonders glücklich vor?

Villarino: In Tansania und Kolumbien. In Tansania wirkten die Menschen im Vergleich zu anderen afrikanischen Ländern sehr stolz auf ihr Land. In Kolumbien traf ich lauter Menschen, die trotz aller Probleme völlig im Hier und Jetzt leben.

SPIEGEL ONLINE: Und welches Land empfehlen Sie Hitchhiker-Anfängern?

Villarino: Albanien. Weil man dort so schnell mitgenommen wird und fast jede Familie ein Ausklappsofa besitzt.

SPIEGEL ONLINE: Was haben Sie in den 14 Jahren Ihrer Reisen gelernt?

Villarino: Das Trampen hilft mir dabei, Konflikte, die aus der Distanz abstrakt wirken, besser zu verstehen. Betrachtet man die Welt auf einer Mikro-Ebene, ist man dazu gezwungen, mehr Empathie für seine Mitmenschen zu entwickeln. Obwohl wir durch das Internet heute gut vernetzt sind, sind die Informationen, die wir über die Geschehnisse in der Welt bekommen, sehr selektiv. Mit meinen Büchern hingegen möchte ich die Grenzen in unseren Köpfen überwinden.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie Beispiele für solche Grenzen?

Villarino: In Ungarn warnte mich meine Fahrerin davor, nach Rumänien zu fahren. "Die Zigeuner bringen dich um!", sagte sie. Kaum war ich dort angekommen, lud eine Familie mich zu einer dreitägigen Hochzeit ein. Die Menschen in Rumänien wiederum warnten mich davor, nach Bulgarien zu fahren. Lässt man sich aber nicht beirren und überquert eine Grenze nach der anderen, spürt man, dass wir alle auf der gleichen Erde leben. Man sieht, wie sich die Landschaft und die Gesichter langsam verändern. Beim Fliegen hingegen habe ich immer das Gefühl, dass wir nicht auf dem gleichen Planeten, sondern in verschiedenen Galaxien leben.

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