
Mount Everest damals und heute: Das Dach der Welt
Everest-Besteiger Peter Habeler Auf allen Vieren zum Gipfel
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Es ist der 8. Mai 1978, gegen 13 Uhr: Zwei Männer, eingemummt in dicke Daunenanzüge, kriechen auf allen Vieren die letzten Meter zum Gipfel des Mount Everest. Sie leben - wider Erwarten. Die zwei sind Reinhold Messner und Peter Habeler. Als erste Menschen haben sie es ohne zusätzlichen Sauerstoff auf den höchsten Berg der Erde geschafft.
Ärzte hatten ihnen davon abgeraten, sie würden auf jeden Fall bleibende Schäden durch den Sauerstoffmangel bekommen: Es hieß, ihre Gehirn- und Gewebezellen würden durch den geringen Partialdruck in großen Höhen absterben. Eine Besteigung des Mount Everest ohne Sauerstoffflaschen sei für den menschlichen Körper unmöglich. Doch Neugier und Ehrgeiz trieben die beiden Bergsteiger. Ihr Gipfelerfolg ging in die Geschichtsbücher ein.
40 Jahre ist das nun her, damals waren sie die einzige Expedition am Berg. Mittlerweile erklimmen jährlich Hunderte den Everest. Peter Habeler erinnert sich an den Moment, als er am höchsten Punkt der Erde stand und erzählt, wie sich der Bergsport seitdem verändert hat.

Peter Habeler, 75, wurde im Zillertal in Österreich geboren. Durch die erstmalige Besteigung des Mount Everest ohne zusätzlichen Sauerstoff zusammen mit Bergsteigerlegende Reinhold Messner wurde er berühmt. Er bestieg insgesamt vier Achttausender und kletterte einige der schwersten Routen der Welt. Kurz vor seinem 75. Geburtstag durchstieg er 2017 die Eiger Nordwand in den Alpen.
SPIEGEL ONLINE: Herr Habeler, Sie müssen jedes Jahr erneut von Ihrer Besteigung des Mount Everest ohne zusätzlichen Sauerstoff erzählen. Geht Ihnen das nicht auf die Nerven?
Peter Habeler: Als wir das 1978 geschafft hatten, rechneten wir nie damit, dass es so einen lange anhaltenden Hype geben würde. Das ist aber nichts Negatives - oft erleichtert es mir den Zugang zu Menschen. Wenn es mir über das Thema Everest gelingt, andere fürs Bergsteigen motivieren zu können, macht mir das Spaß.
SPIEGEL ONLINE: Sie dachten wirklich nicht, dass es einen Hype geben würde, wenn Sie als erste Menschen ohne Sauerstoffflaschen den höchsten Berg der Welt erklimmen?
Habeler: Wir sind ja keine Helden. Reinhold und ich sind beide in den Alpen aufgewachsen und haben davor schon viele Touren zusammen gemacht. Wir waren gut vorbereitet, wir waren schnell, und wir hatten viel Glück. Außerdem hatte ich den besten Seilpartner, den es damals gab, und wir wollten gemeinsam herausfinden, ob das möglich ist. Ohne Reinhold hätte ich den Everest wahrscheinlich nicht geschafft.
Im Video: Tod im Himalaya - Das Mount Everest Problem
SPIEGEL ONLINE: Jetzt reden Sie in den höchsten Tönen von Reinhold Messner. Doch nach der Besteigung hatten Sie beide nicht viel Kontakt.
Habeler: Da möchte ich gar nicht drauf eingehen. Die Konflikte, die uns da angedichtet wurden, sind lächerlich. Auch in einer Ehe gibt es mal Streit, das ist nicht gleich ein Skandal. Ich bleibe dabei: Reinhold war der beste Partner, den ich mir vorstellen konnte.

Reinhold Messner (links) und Peter Habeler im Jahr 1975
Foto: Klaus_Heirler/ picture-alliance / dpaSPIEGEL ONLINE: Weil er so gut war?
Habeler: In einer Seilschaft sind nicht immer beide gleich stark. Manchmal war Messner der Stärkere, manchmal ich. Es ist ein Geben und Nehmen. Wenn Reinhold vorausgegangen ist, wusste ich, dass er keinen Fehler macht. Das hat mich beruhigt. Und wenn ich vorausgegangen bin, wusste Reinhold, dass ich keinen Fehler mache.
SPIEGEL ONLINE: Im vergangenen Jahr haben Sie mit dem 27-jährigen Profikletterer David Lama die Eiger Nordwand durchstiegen - mit 74 Jahren. Wie war das?
Habeler: David gehört zu den Besten der Welt. Mit ihm war es ähnlich wie mit Reinhold: Ich wusste, der fliegt nicht runter. Deshalb hatte ich auch keine Angst. Ich brauchte jemanden, der an den schwierigen Stellen der Eiger Nordwand vorausgeht und mich sichert, denn ich habe natürlich nicht mehr diese jugendliche Leichtigkeit und die technischen Fähigkeiten.

Mount Everest damals und heute: Das Dach der Welt
SPIEGEL ONLINE: Mit Mitte 70 noch solche Touren zu machen - da muss man körperlich noch sehr fit sein.
Habeler: Ich bin einer der wenigen der damaligen Everest-Gruppe meiner Generation, der noch aktiv klettert. Reinhold macht ja auch nicht mehr viel, weil ihm Zehen amputiert wurden. Aber ich habe Glück: Meine Knie sind noch in Ordnung, und ich habe noch das gleiche Gewicht wie mit 17 Jahren. Ich trainiere viel und habe immer ein neues Ziel vor Augen. Dann fällt einem alles leichter.
Das Ziel ist der Gipfel
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25.03.2023 18.43 Uhr
Keine Gewähr
SPIEGEL ONLINE: Sie haben ein Buch geschrieben mit dem Titel "Der Gipfel ist das Ziel". Hat Sie dieser Gedanke 1978 auch auf den letzten Metern zum Gipfel des Everest begleitet?
Habeler: Natürlich ist der Gipfel das Ziel. Je näher man ihm kommt, desto mehr will man es schaffen.
SPIEGEL ONLINE: Und wenn man es dann geschafft hat?
Habeler: Ist das ein unbeschreibliches Gefühl. Anstrengung gepaart mit Glück. Es geht nur noch um Emotionen. Auf 8850 Metern übernimmt das Unterbewusstsein. Aber das Glück hat nicht lange gehalten. Ich konnte nur noch daran denken, dass wir ja auch den ganzen Weg wieder runter müssen, und wollte so schnell wie möglich absteigen.

Der höchste Berg der Welt ist für viele ein ersehntes Ziel
Foto: PRAKASH MATHEMA/ AFPSPIEGEL ONLINE: Sie hatten da gerade einen neugeborenen Sohn und waren frisch verheiratet. Hatten Sie Angst, nicht mehr lebend zur Familie zurückzukommen?
Habeler: Gedanken an zu Hause kommen nur, wenn man passiv ist - genauso wie Angst. Wenn ich im Zelt sitze und draußen stürmt und tobt es, dann denke ich, dass ich unbedingt wieder nach Hause kommen will. Im Moment des Kletterns ist aber jeder Gedanke auf den nächsten Schritt konzentriert: Hoffentlich bricht der Schnee nicht weg, hoffentlich hält das Wetter. Da habe ich gar keine Kapazitäten, an zu Hause zu denken.
SPIEGEL ONLINE: Heutzutage gibt es fast immer die Möglichkeit, daheim anzurufen. Sogar im Everest-Basislager auf 5350 Metern.
Habeler: Das ist aberwitzig. Inzwischen ist vieles kommerzialisiert. Derzeit sind etwa 1300 Menschen im Basislager. Wenn es ein Wetterfenster gibt, brechen alle gleichzeitig auf. Jeder, der fit ist und 40.000 bis 100.000 Euro für die Expedition hinlegt, kann es auf den Everest schaffen - mit Sauerstoffflaschen und Fixseilen natürlich. Wir waren damals die einzige Expedition und konnten uns drei Monate lang an den Berg heranarbeiten.

Lange Schlangen am Everest: Hunderte versuchen es jährlich
Foto: Ralf DujmovitsSPIEGEL ONLINE: So lange?
Habeler: Um uns zu akklimatisieren. Sonst wäre der Aufstieg ohne zusätzlichen Sauerstoff gar nicht möglich gewesen. Es gibt nicht mehr viele Bergsteiger, die sich vernünftig akklimatisieren. Heute wollen Leute in drei Wochen auf einen Achttausender. Das ist Wahnsinn.
SPIEGEL ONLINE: Hat sich das Bergsteigen also verändert?
Habeler: Bei uns gab es noch weiße Flecken auf der Landkarte, da waren noch Erstbesteigungen möglich. Heute gibt es das kaum noch, da ist es schwieriger, Aufmerksamkeit zu erlangen. Nun versuchen professionelle Kletterer, über andere Extreme aufzufallen, klettern besonders schnell oder ungesichert. Das ist ein anderes Risikobewusstsein. Und viele wollen auch einfach mal am höchsten Punkt der Erde stehen. Wo das hinführt, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur: Die Berge vertragen nicht so viele Menschen.
Video: Reinhold Messner - Ein Leben zwischen Höhen und Tiefen
Am Dienstag um 20.15 Uhr überträgt der Sender "Servus.TV" die Dokumentation "Bergwelten - Mount Everest - Der letzte Schritt". Der Film dokumentiert die Besteigung von 1978 unter anderem mit Originalfilmaufnahmen von damals. Reinhold Messner führte Regie und wird von seinem Sohn Simon gespielt. Habeler wird von dessen Freund Philipp Brugger gespielt.