
"Planet Wüste": Fluchtpunkt Südpol
Fotoreise zum Südpol Abenteuer auf Eis
Nach fünf Tagen Warten im Union Glacier Camp ist es soweit: Das Wetter stimmt, wir können weiter zum Südpol fliegen. Zusammen mit einer kleinen Gruppe von Profi- und Hobbyastronomen möchte ich zum südlichsten Punkt der Erde. Es gibt kaum ein Reiseziel, das meine Phantasie mehr beschäftigt hat.
Ich bin darauf vorbereitet, dass der Südpol landschaftlich eigentlich reizlos ist. Ich weiss auch, dass die Jahresmitteltemperatur bei minus 50 Grad Celsius liegt und ich ohne anständige Ausrüstung schnell in Gefahr gerate. Da unsere Fünfer-Gruppe eine Nacht am Pol verbringen möchte, hatten sich die Verantwortlichen der amerikanischen Logistikfirma Ale besonders genau die Ausrüstung angesehen, die uns am Südpol vor Erfrierungen bewahren soll.
Das Unternehmen betreibt auf dem 79. Breitengrad im antarktischen Sommer das Union Glacier Camp, das alle paar Tage von einer russischen Iljuschin IL 76 angeflogen wird. Von dort werden die Passagiere, meist Bergsteiger und Skiläufer, mit Propellermaschinen weiter zum Mount Vinson oder Richtung Südpol geflogen. Ich wäre gerne mit Skiern zusammen mit dem österreichischen Polarführer Christoph Höbenreich auf dem letzten Breitengrad zum Südpol gegangen, musste aber wegen einer noch nicht ausgeheilten Knöchelverletzung im letzten Moment vom Ski auf das Flugzeug umsteigen.
Wir klettern in die auf Kufen stehende Propellermaschine, eine sogenannte Basler BT 67. Das Modell schrieb als Rosinenbomber während der Berliner Luftbrücke Geschichte. Da wir nur fünf Passagiere in der geräumigen Maschine sind, kann ich meine Kameraausrüstung auf den freien Sitzen ausbreiten. Der kanadische Pilot zieht die Maschine nach dem Start im Union Glacier Camp sanft in eine Linkskurve und nimmt Kurs Süd ein.
Wärmflasche für einen besseren Ausblick
In den ersten Minuten überfliegen wir noch die Ellsworth Mountains, doch schon bald beginnt das Polarplateau, das weite Teile der Antarktis einnimmt. So wird jenes riesige Gebiet im Zentrum der Antarktis bezeichnet, das einen Durchmesser von gut 1000 Kilometer hat und knapp 3000 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Aus der Luft wirkt die Unendlichkeit dieser Eiswüste faszinierend, die für Forscher und Entdecker immer schon ein Hindernis auf dem Weg zum Südpol darstellte.
Während ich mir aus der Thermoskanne einen heißen Kaffee nachgieße, muss ich an Roald Amundsen und Robert Falcon Scott denken, die vor über 100 Jahren unter größten Strapazen versuchten, über das Polarplateau mit Hunden beziehungsweise Ponys zum Südpol zu gelangen. Letztlich war es Amundsens Entscheidung für Schlittenhunde, die ihm und seinen Männern den Triumph sicherte, am 14. Dezember 1911 als erste Menschen am Südpol zu stehen.
Ich weiß natürlich, dass der Südpol heute voll erschlossen ist und dort nicht nur die amerikanische Amundsen-Scott-Station steht, sondern diverse andere internationale Forschungseinrichtungen. Trotzdem ist es ein besonderes Gefühl, an diesen Ort zu fliegen.
Immer wieder presse ich einen heiße Wärmflasche, die mir der Pilot gegeben hat, gegen die vereiste Scheibe der DC 3, um nach unten blicken zu können. Ab und zu überfliegen wir Gletscherspalten, ansonsten nichts als weiße Unendlichkeit. Die Größe des Polarplateaus wird alleine schon dadurch deutlich, dass wir fast vier Stunden fliegen. Erst dann macht uns der kanadische Pilot mit einem Handzeichen klar, dass die Landung bevorsteht.
Einmal tief durchatmen!
Sanft setzt die zweimotorige Maschine im Eis auf. Der Pilot öffnet die Tür, sofort strömt eisige Kälte in die Kabine: minus 28 Grad, ein "warmer", windstiller Sommertag. Es sind nur wenige hundert Meter zum Pol und zur amerikanischen Forschungsstation. Dort erwarten uns Wissenschaftler für eine ausführliche Führung.
Während die anderen vier vor der Kälte in das riesige Gebäude flüchten, nehme ich mir die Zeit, sowohl den Ceremonial Pole wie auch den eigentlichen geographischen Südpol zu besuchen. Am Ceremonial Pole wird eine Metallkugel von den Flaggen jener Staaten umringt, die den Antarktis-Vertrag unterschrieben haben. Am geographischen Südpol steckt eine schlichte Eisenstange, die jedes Jahr neu eingemessen wird. Aufgrund einer langsamen Verlagerung der Erdachse im Erdkörper wandert der Südpol jährlich um einige Meter.
Als ich meine in dicken Handschuhen steckenden Hände auf die Metallkugel lege, atme ich tief durch. Der Südpol stellt für mich den Schlusspunkt meines weltweiten Fotoprojektes "Planet Wüste" dar, das ich vor Jahren am Nordpol begann und das mich seither mehrfach um die Erde geführt hat. Gleichzeitig ist für mich der Südpol neben dem Nordpol der kartographisch interessanteste Punkt meiner Reisen um den Globus.
Hier laufen alle Längengrade zusammen, es gibt nur noch die Richtung Norden, die Einteilung der Erde in Zeitzonen ist aufgehoben. Als ich eine halbe Stunde nach den anderen die Amundsen-Scott-Station durch eine Kälteschleuse betrete, mache ich trotzdem einen Zeitsprung um 14 Stunden nach vorne. Da die Station vom neuseeländischen Christchurch versorgt wird, leben die Wissenschaftler dort auch nach neuseeländischer Zeit, wir dagegen hatten in den letzten Tagen chilenische Zeit.
Party bei minus 38 Grad
Der Manager der Station und eine Wissenschaftlerin nehmen sich Zeit, um uns herumzuführen. Es fehlt an nichts, vom Waschsalon bis zum Gewächshaus mit frischen Gemüse und einer gut sortierten Bar ist alles vorhanden. In einem Bastelraum hängen die Werke von Hobbykünstlern. Mit bunten Farben versuchten sie gegen den Blues der Polarnacht anzumalen. In der Bibliothek wird mir ein Plüschsessel zum Verhängnis. Ich setze mich hinein und schlafe augenblicklich ein.
Nach zwei Stunden verlassen wir die Station und stellen unsere Uhren wieder 14 Stunden zurück, Zeit zum Abendessen im Camp von Ale. Es liegt nur einen Kilometer vom Südpol entfernt und besteht aus ein paar kleinen Tunnelzelten, einem Materialzelt und einem Küchenzelt. Dort empfängt uns Roderigo, der nach Ende des Polarsommers wieder in sein kleines Restaurant in Chile zurückkehren wird. Während der Sommermonate versorgt er die am Südpol eintreffenden Reisenden.
Aus dem Abendessen wird schnell eine kleine Party, doch ich verlasse immer wieder das überheizte Zelt, um das Licht der Mitternachtssonne zu geniessen. Dann schlüpfe ich bei minus 38 Grad Außentemperatur in meinen dicken Daunenschlafsack und schlafe viele Stunden in der dünnen, eiskalten Luft. Am nächsten Morgen gehe ich ohne Kameras nochmals alleine zum Südpol.
Bilder aus allen Teilen der Erde gehen mir durch den Kopf. So viele besondere Orte habe ich in den vergangenen drei Jahren gesehen und fotografiert. Jetzt genieße ich den Südpol einmal nur für mich, ohne den üblichen Reflex, nach der besten Perspektive und dem besten Licht zu suchen. Von diesem Moment gibt es kein Foto.
Zwei Stunden später klettere ich ins Flugzeug und beginne meinen langen Flug zurück. Fünf Tage und Nächte später holt mich meine Freundin an einem kleinen Landbahnhof am Bodensee ab. Ich bin wieder daheim.