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Südafrika: Auf den Spuren der Big Five

Foto: Christoph Pfaff

Ranger-Training in Südafrika Löwe auf dem Lehrplan

Was unterscheidet die Spuren von Geparden und Löwen? Wie schützt man sich vor aggressiven Nilpferden? Bei einem Ranger-Training im südafrikanischen Busch lernen angehende Tierspäher alles über die Bewohner der Savanne - und erleben praxisorientierten Bio-Unterricht für Frühaufsteher.
Von Christoph Karrasch

Ein olivgrüner Klappstuhl steht unter einem kargen Buschbaum am Rand des sandigen Camppfades. "Willkommen in unserem Internetcafé", sagt Will Lawson. Seine Ranger-Schüler schauen verdutzt. Wir verstehen nicht ganz, was unser Guide meint. "Auf diesem Stuhl gibt es manchmal so etwas Ähnliches wie brauchbaren Handyempfang", erklärt Will.

Wer während seines Aufenthalts in diesem Camp im Niemandsland des südafrikanischen Busches nicht auf die moderne Kommunikation verzichten könne, habe hier die besten Chancen auf Kontakt mit der Außenwelt. "Trotzdem kann ich euch nur empfehlen, eure Handys auszuschalten. Erstens werdet ihr sie hier nicht brauchen, und zweitens ist unser Camp kein Ort für E-Mails und SMS. Wir wollen gemeinsam in die Natur eintauchen und von ihr lernen. Back to life!" Klare Worte.

Unternehmen wie EcoTraining  helfen beim Eintauchen, indem sie Touristen in einfachen Buschcamps zu Rangern ausbilden. "Angefangen haben wir nach dem Ende der Apartheid als Ausbilder für Touristenführer", sagt Koordinator Corne Schalkwyk. Bald erkannte man, dass dieses Training auch für Urlauber interessant ist, auch wenn das erlernte Wissen später nur selten zum Einsatz kommt. Es gehe nicht nur darum, etwas über Südafrika zu lernen, sondern vor allem von Südafrika zu lernen. Schwerpunkte der Kurse, die für Zeiträume zwischen vier Tagen und einem Jahr angeboten werden, sind Pflanzen- und Vogelkunde, Spurenlesen und das Verhalten der Big Five in ihrer wilden Umgebung.

Eines der Camps liegt im Karongwe Nature Reserve in der nordöstlichen Provinz Limpopo, das mit einer Fläche von rund 9000 Hektar fast so groß wie Sylt ist. Es befindet sich zwischen den Nordausläufern der Drakensberge und dem Südwestzugang zum Krüger-Nationalpark. Eine gut gewählte Koordinate zwischen den gewaltigen Naturschönheiten des Landes.

Unterricht bei 36 Grad

"Es gibt nie die Garantie, dass wir die fünf großen Tiere zu Gesicht bekommen", sagt der 28-jährige Guide Will, als wir auf den grünen Gartenstühlen im schattigen Freiluftklassenraum unter einem reetgedeckten Dach Platz nehmen. Das Thermometer zeigt 36 Grad, nur manchmal weht eine leichte Brise durch das Holzgebälk. Einen Ventilator suchen wir vergeblich. "Geduld ist die wichtigste Eigenschaft eines Rangers", doziert Will. "Hier draußen existiert keine Zeitrechnung. Es gibt nur den Auf- und Untergang der Sonne. Was dazwischen passiert, haben wir nicht in der Hand. Das entscheidet die Natur allein."

Der smarte, kräftig gebaute Brite weiß, wovon er spricht. Vor nunmehr sieben Jahren hat er sich für das Leben mit der Natur entschieden. Eigentlich kam er als neugieriger Tourist nach Südafrika, um an einem Kurs in Naturkunde teilzunehmen - doch der Busch sollte ihn nicht wieder loslassen.

Will blieb und lebt seitdem als Wildlife-Experte in den einfachen Verhältnissen, die ihm das Camp zur Verfügung stellt: Strom gibt es nur einmal am Tag, wenn der Generator angeschaltet wird. Das Essen muss oft vor frechen Affen und anderen Tieren beschützt werden, da das Camp keinerlei Zäune besitzt. Und die tarnfarbenen Zelte, in denen die Kursteilnehmer unterkommen, bieten nicht mehr Komfort als zwei Einzelbetten und ein Regal. Immerhin: Es gibt einen gemütlichen Platz fürs Lagerfeuer, eine Tischtennisplatte, Vollpension und einen - wenn auch unmenschlich frühen - Weckdienst.

Nicht sprechen, nicht ausscheren

Am nächsten Morgen dringt eine bestimmt klingende Stimme durch die dünne Zeltwand: "Guten Morgen, ihr habt fünf Minuten zum Aufstehen - wir treffen uns an der Feuerstelle!" Ein verbotener Blick aufs Handy verrät, dass es gerade 5 Uhr morgens ist.

Mit einem schweren Gewehr in der Hand wartet Ranger Will in der Mitte des Camps, wo verbrannte Äste an die Gemütlichkeit des Vorabends erinnern. Er beginnt, die für uns bisher schwer erkennbaren Vorteile des frühen Aufstehens aufzuzählen: die Lichtverhältnisse, die stärkere Aktivität der Tiere, die angenehmere Temperatur. "Es gibt bei unserer Wanderung allerdings einige Dinge zu beachten", erklärt der Guide - nicht sprechen, immer in einer Reihe bleiben und die Handzeichen des Rangers beachten. Schließlich könne sich hinter jedem Strauch ein schreckhaftes und dadurch unberechenbares Tier verbergen. "Und wir wollen alle vermeiden, dass ich zur Verteidigung die Waffe benutzen muss."

Als wir wie eine Entenfamilie loswandern, stellen wir fest, dass es im Nature Reserve kaum freie Savannenflächen mit weiter Sicht gibt. Der Großteil ist von dichten Pflanzen bewachsen - nur schmale Pfade ziehen sich durch die Botanik, was die Erkundung umso spannender macht, weil man wirklich nicht weiß, was sich hinter der nächsten Kurve verbirgt. Heute erwarten uns neugierige Blicke aus Giraffenaugen und einige scheue Zebras, die schnell das Weite suchen.

Will führt uns durch undurchsichtiges Gewächs zu einem großen Wassertümpel, aus dem einige graue Felsen ragen. Plötzlich bewegen sich die Felsen: Der grünen Suppe entsteigen sechs mächtige Nilpferde. "Nähert euch langsam dem dicken Baum da vorne", flüstert Will. "Wenn ihr dicht an dem Stamm bleibt, können die Nilpferde euch nicht von dem Baum unterscheiden und es droht keine Gefahr."

Natursonnenschutz und Kletten

Während wir versuchen, die Kameras so lautlos wie möglich zu bedienen, weiht uns unser Guide am Beispiel dieser Tiere in die Geheimnisse der Bio-Mimikry ein. Dahinter verbirgt sich wörtlich die "Imitation des Lebens", die sich der Mensch durch Beobachtungen der Natur zu eigen gemacht hat. So ist die Entwicklung von Sonnencreme und Insektenspray ursprünglich keine menschliche Erfindung, sondern stammt von den Nilpferden, die sich durch ein körpereigenes, rötliches Sekret vor den Gefahren von UV-Strahlung und Moskitos schützen können. Als eine der Schülerinnen sich beim Versteckspiel vor den Hippos in einem Strauch mit Klettpflanzen verfängt, sagt er: "Seht ihr, in einer solchen Situation ist die Idee für Klettverschluss entstanden."

Pünktlich zur großen Mittagshitze sind wir zurück im Camp und verbringen die Freizeit auf einem der überdachten Aussichtsdecks. Unter uns in der Küche ist Lineth, die gute Seele des Camps, schon mit den Vorbereitungen fürs Mittagessen beschäftigt. An diesem Tag gibt es Couscous-Salat, Hähnchenstreifen und salzige Cracker mit Avocadocreme. Während die Metallschüsseln klappern und der Gasherd fauchende Töne von sich gibt, ergeben sich unsere müden Körper einem schweißgetränkten Mittagsschlaf.

An Hitzefrei ist am Nachmittag nicht zu denken. Nach dem zweiten Theorieteil des Tages, für den Will die Fußabdrücke der hiesigen Tiere an die Tafel des Klassenraums gezeichnet hat, geht es erneut auf Erkundungstour durch den Busch. Spurenlesen steht auf dem Plan. "Diesmal müsst ihr vor allem darauf achten, wohin ihr tretet", sagt der Guide. "Wir wollen mit unseren Schuhen keine Spuren verwischen, die uns den Aufenthaltsort bestimmter Tiere verraten könnten." Keine leichte Angelegenheit, schon bald tritt einer aus der Gruppe in etwas Spurähnliches und flucht laut. "Kein Problem", beruhigt Will. "Das waren nur die Spuren eines Impalas. Wir sind auf der Suche nach etwas viel Größerem." Wie beruhigend.

Besuch bei der Löwenfamilie

Es dauert gar nicht lange, bis wir fündig werden. An einer Stelle des Camp-Pfades erkennen wir frische, klauenartige Abdrücke, die sich in den Sand gegraben haben. "Here we go", freut sich der Ranger. "Wer kann mir sagen, um welches Tier es sich handelt?" Jetzt zeigt sich, wer im Unterricht aufgepasst hat. Irgendeine große Katze wird es wohl sein - ein Gruppenstreber weiß es am besten: "Ein Gepard." Richtige Antwort, 100 Punkte. Wir folgen den Spuren, doch das Tier hat sich längst wieder im dichten Gestrüpp versteckt.

Dafür werden wir am späten Nachmittag mit dem wohl imposantesten Anblick der südafrikanischen Natur belohnt. Was für unsere ungeschulten Augen zunächst wie ein brauner Strauch aussieht, ist nach dem Blick in den Feldstecher als wuchernde Mähne zu erkennen. Tatsächlich: Im kühlen Schatten ruht eine ganze Löwenfamilie - das männliche Oberhaupt samt einiger Weibchen. "Normalerweise werden Löwen erst abends aktiv, wenn die Hitze des Tages vorüber ist", sagt Will.

Als langsam die Dämmerung einsetzt, ist es Zeit für die letzte Ranger-Lektion des Tages. Will klettert auf einen riesigen, graubraunen Felsen, der die grünen Weiten des Busches überragt. "Zu jedem Sonnenuntergang gehört ein echter Sundowner", verkündet er. "Kommt rauf!"

Oben wartet bereits eine prall gefüllte Kühlbox, kurz darauf zischen die ersten Bierdosen. Wir legen uns auf die warmen Steine, während die Sonne als roter Scheinwerfer hinter der scharfen Silhouette der Drakensberge verschwindet. Am Firmament blitzt es im Sekundentakt, die Auswirkungen eines weit entfernten, lautlosen Gewitters erlauben letzte Aussichten auf das grüne Wunderland. Über uns werden nacheinander die Sterne angeknipst, bis wir schließlich unter der schwarzen, millionenfach gesprenkelten Kuppel der südlichen Hemisphäre liegen. Spätestens jetzt wird deutlich, dass dieser Ort Raum für vieles bietet: Adrenalin und Ruhe, Staunen und Demut, die Natur und das Leben. Nur zwei Dinge haben hier nichts verloren: Alltagsgedanken und Handys.

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