
Arabische Emirate: Ruinen statt Shoppingcenter
Emirat Ras al-Cheima Rettet die Ruinen
Als Arbeiter der Telefongesellschaft Etisalat im 100 Kilometer nördlich von Dubai gelegenen Emirat Ras al-Cheima auf menschliche Knochen und Schädel stießen, glaubte man zuerst an ein spektakuläres Verbrechen. Sofort schaltete sich die Polizei ein, der Pathologe Ali al-Koubani gab jedoch schnell Entwarnung: Die Knochen seien mehrere hundert Jahre alt. Einheimische trugen zur Klärung des Sachverhaltes bei. Sie wussten durch die Erzählungen ihrer Vorfahren, dass an dieser Stelle die portugiesischen Besatzer im 17. Jahrhundert ein Massaker begangen hatten. Die Funde waren Teil eines uralten Friedhofs.
Eine ähnliche Überraschung erlebten Bauarbeiter im vergangenen Oktober ein paar Kilometer entfernt. Sie waren mit dem Ausbau der Sheikh-Mohammed-bin-Zayed-Road beschäftigt, einer der zentralen Verkehrsadern zu den nördlichen Emiraten, als sie bei Sieh al-Herf auf 4000 Jahre alte Gräber und andere archäologische Artefakte stießen.
Die Bauarbeiten wurden gestoppt, Wissenschaftler machten sich für den Schutz der Grabstätten stark. "In den gesamten Emiraten sind bisher nur drei vergleichbare archäologische Stätten entdeckt worden", sagte Hamad Bin Seray, Professor für Geschichte und Archäologie an der UAE University in al-Ain. "Die Regierung sollte diese Funde mit allen Mitteln bewahren, um das Erbe des Landes und seine zivilisatorische Geschichte zu erhalten." Das sei auch für die Weiterentwicklung des regionalen Tourismus wünschenswert.
Besuch vom Scheich
Nun sollen die historischen Funde weiter untersucht werden. Billig wird das nicht: Eine geplante Brücke über die Ausgrabungsstätten hinweg würde rund zehn Millionen Euro kosten, ein veränderter Streckenverlauf sogar weit über 20 Millionen, da dann auch zahlreiche Grundstücksbesitzer entschädigt werden müssten. Zurzeit wird der Abtransport der Gräber und historischen Funde in ein Museum favorisiert.
Selbst der Herrscher, Scheich Saud bin Saqr al-Qasimi, besuchte schon die Fundstätte. Auch er betonte, wie wichtig die Bewahrung dieser historischen Schätze sei - man müsse sie mit der Modernisierung des Landes in Einklang bringen.
Dass ausgerechnet das weitgehend noch unbekannte Emirat die Speerspitze der archäologischen Forschung und Konservierung bildet, verwundert nur auf den ersten Blick. Das Engagement ist aus der Not geboren: Ras al-Cheima besitzt im Unterschied zu den alles überstrahlenden Nachbaremiraten Abu Dhabi und Dubai weder nennenswerte Bodenschätze noch andere touristische Attraktionen, keine Shopping Malls der Superlative oder himmelstürmende futuristische Architektur.
Außerdem bemerkte man, dass sich das kulturelle Erbe der Region auch touristisch gut vermarkten lässt. Das Dhayah Fort, der angebliche Palast der Königin von Saba bei Shemal und das Nationalmuseum, einst Residenz der Herrscherfamilie, sind schon lange beliebte Ausflugsziele für Besucher.
Geschichte im Disney-Stil
Viele der Emiratis interessieren sich allerdings wenig für Ruinen oder für die Lebensweise und Haushaltsgegenstände ihrer Ahnen, wie sie in zahlreichen Freilichtmuseen zur Schau gestellt werden. Mittlerweile hat jedes Emirat solch ein "Heritage Village" eröffnet, mehr oder weniger gelungene Völkerkundemuseen, die einen Einblick in das Alltagsleben und die Handwerkskunst der letzten Jahrhunderte am Golf geben - oft so seelenlos wie ein Disney-Vergnügungspark.
Alte Wehranlagen wie das Dhayah Fort oder das Awhala Fort im Nachbaremirat Fudscheira sind noch in allen Emiraten zu finden. Rund 40 Forts und 30 Wassertürme haben mehr oder weniger unbeschadet die Jahrhunderte überdauert und werden zunehmend in die touristische Vermarktung integriert. Das Fahidi Fort in Dubai - heute Sitz des Dubai Museums - gilt als das älteste Gebäude der Stadt. Und auch das al-Hisn Fort in Schardscha dient heute als Heimatkundemuseum.
Jüngst feierte die Hauptstadt Abu Dhabi den 250. Geburtstag ihres weißen Forts Qasr al-Hosn, des symbolischen Geburtsortes der Stadt, mit einem Kulturfestival. Dort wurde eine poetische Showrevue namens "Story of a fort, Legacy of a nation" aufgeführt, inszeniert vom belgischen Regisseur Franco Dragone, der auch für die Bühnenshow von Céline Dion verantwortlich zeichnete.
Besonders gesegnet mit archäologischen Stätten und alten historischen Bauten ist die zum Emirat Abu Dhabi gehörige Gartenstadt al-Ain an der Grenze zum Oman. Gleich vier alte Forts sind auf dem Stadtgebiet zu finden, von denen das al-Jahili-Fort wohl das Sehenswerteste ist. Das gesamte Ensemble an historischen Bauten und Anlagen wie dem Hili Archaeological Garden mit seinen alten Grabanlagen aus dem zweiten Jahrtausend vor Christus wurde im Jahr 2011 in die Liste der Unesco-Weltkulturerbestätten aufgenommen.
Die Sensibilität gegenüber historischen Bauten und der eigenen Geschichte ist relativ neu. Größer war bisher das Interesse an neuen Einkaufszentren, Vergnügungsparks und am Ausbau der Infrastruktur. "Wir sind in den letzten Jahren mit Riesenschritten in die Zukunft gestürmt", sagt ein Geschäftsmann aus Abu Dhabi. "Nun bin ich sehr glücklich, dass wir beginnen, unsere Herkunft und unsere Traditionen für unsere Kinder zu bewahren."
Filmdreh mit Rücksicht auf die Nachbarn
Dass interessante historische Stätten nicht unbedingt Tausende von Jahren alt sein müssen, um zu faszinieren, zeigt das Beispiel des alten verlassenen Fischerdorfes Dschaseerat al-Hamra in Ras al-Cheima. Erst vor rund 50 Jahren von den Bewohnern aufgegeben, war das Dorf aus dem 14. Jahrhundert schnell von blutrünstigen Legenden umrankt.
Ein böser Dschinn soll in den Ruinen immer noch sein Unwesen treiben. Besucher erzählten von gruseligen Schatten und Geräuschen und einem kalten Wind, der um die Häuser zog, auch wenn das Thermometer 45 Grad im Schatten anzeigte. Die Einheimischen berichteten von Plünderern, die sich eines Nachts an altem Küchenbesteck vergriffen hatten und am nächsten Morgen mit zwei Gabeln in den Augen tot im Dorf aufgefunden wurden.
Die perfekte Location für einen Horrorfilm. Das dachte sich auch der US-Regisseur Tobe Hooper, der für wenig zimperliche Werke wie das "Texas Chainsaw Massacre" verantwortlich ist. Er drehte hier den ersten arabisch-englischen Horrorfilm: "Djinn". Aus Rücksicht auf die Angst der arabischen Nachbarn wurde der Name des Films auf allen Klappen und Regiestühlen überklebt. Der echte böse Djinn hätte sich provoziert fühlen können. Nach Auskunft der Produktionsfirma sollen bis jetzt noch alle Beteiligten des Film-Shoots am Leben sein. Doch man weiß ja nie, wann einen die verdrängte Vergangenheit wieder einholt.