
Reise auf Containerschiff: Drei Wochen Meer sehen
Containerschiff Karaoke-Party im Südpazifik
Am Tor des Fergusson-Containerterminals in Auckland, Neuseeland, bringen Laster tonnenweise Ladung in den roten Schiffsrumpf der "Bahia Castillo". Auf einer gelben Markierung an Land wartet eine besondere Fracht auf Abholung: Passagiere. Zwar könnten sie den kurzen Weg zum Schiff laufen, doch das ist zu gefährlich. Denn haushohe Gefährte düsen umher, überdimensionierte Gabelstapler rangieren die stählernen Einheitsgefäße über den Anleger. Dazwischen flitzen Kleinbusse mit Arbeitern und Gerät.
Frachtterminals sind hektische Hochsicherheitszonen, geschützt wie Burgen und betriebsam wie Ameisenhaufen. Ein bisschen wie Flughäfen. Mit dem Unterschied, dass auf einem Schiff die Hektik endet, sobald die Reise beginnt.
Das gemächliche Tempo an Bord ist der Hauptgrund, einen Frachter dem Flieger vorzuziehen. "Anfangs waren es abenteuerlustige Rentner und verrückte Backpacker", sagt der polnische Kapitän Marek Adamowicz beim Abendessen über einen Löffel Kuttelsuppe hinweg. "Heute haben wir alle möglichen Passagiere." Nur Kleinkinder und Gebrechliche dürfen nicht mit. Ohne Arzt an Bord ist der Kapitän für das Wohl aller verantwortlich.
Wer auf einem Frachter mitreist, den erwarten statt enger Sitzreihen im Flieger komfortable Kabinen. Statt Ablenkung und Trubel auf Kreuzfahrtschiffen gibt es Besinnung und Ruhe - und ein neues Gefühl für Distanzen. Neuseeland und Kolumbien trennen gut 12.000 Kilometer. Was per Flugzeug in einem Tag überbrückt ist, dauert per Schiff drei Wochen. Interessenten müssen die Südpazifik-Route rechtzeitig buchen, sie gehört zu den beliebtesten auf der Welt.
"Seemann, das ist kein Beruf, das ist eine Lebensart"
Vielleicht liegt es daran, dass hier weder Land in Sicht noch Funknetz in Reichweite kommt. Dass es wochenlang nur Wasser zu sehen gibt. Und Himmel. Zwei Blautöne, zwei Unendlichkeiten, die hinter der rostroten Stahlwand beginnen und sich an einem weit entfernten Horizont treffen. In Küstennähe kreisen Möwen um das Schiff, die Attraktionen unterwegs sind der Ozean und das Seemannsleben.
Letzteres ist an Freitagen besonders spannend. Dann läuten die 24 Männer auch hier das Wochenende ein. Gordon Winchester, der britische Chefingenieur, selten ohne Hawaii-Hemd anzutreffen, legt Musik auf. Der Kapitän, ein Hüne, der auch in Badeshorts und Schlappen Autorität ausstrahlt, bringt eine Flasche Wodka mit. Pavel Przybylski, der Erste Offizier, schließt sich nach seinem Dienst an. "Ist der Chef schon weg?", fragt er und zündet sich verstohlen eine Zigarette in der Offiziersmesse an.
"Wir sind hier vier Monate lang zusammengepfercht, haben nur uns und unsere Arbeit", erklärt Pavel. Die Seeleute freuen sich über Passagiere, denen sie ihre Lebensgeschichten erzählen können. Pavel spricht von seiner Frau, die gerade allein den Hausbau beaufsichtigt. Er macht sich Sorgen, doch Gordon winkt ab. "Wer einen Seemann heiratet, muss allein Entscheidungen treffen können. Sie packt das schon." Immer an Land sein, das kann sich keiner seiner Kollegen vorstellen. "Seemann, das ist kein Beruf, das ist eine Lebensart", sagt Pavel.
Maschine mit 35.000 PS
Eine Woche nach Abfahrt dürfen die Passagiere in den Maschinenraum. Als sie sagen, sie würden sich den Motor wie im Film "Das Boot" vorstellen, bricht er in schallendes Gelächter aus: "Das Ding ist kleiner als unser Anlasser!" Nun stemmt er seine Hände in die Hüften und brüllt Fakten in den donnernden Lärm. Das 35.000 PS starke Ungetüm sorgt für offene Münder. Gordon nickt zufrieden, während er mit dem Ärmel seines Overalls einen Fleck von der Wand wischt. "Anders als 'Das Boot', oder?"
Der Raum ist nicht düster wie in der Romanverfilmung, sondern von grellem Scheinwerferlicht erhellt. Statt nach Diesel und Männerschweiß riecht es nach Stahl und Wandfarbe. Nur der Lärm ist ähnlich. Im Kontrollraum nebenan herrscht Ruhe, sobald die Tür ins Schloss fällt. Neben einer Wand aus blinkenden Lichtern hängen Poster von Frachtschiffen - nicht von Frauen, wie man vielleicht erwarten würde.
"Mein Reich", sagt Gordon und breitet seine Arme aus. "Bei einem Piratenüberfall verriegele ich einfach die Tür und fahre, wohin ich will." Er grinst spitzbübisch, dann entlässt er die Passagiere - mit dem Auftrag, ein Protokoll der Führung anzufertigen. Auf Nachfrage, ob er das ernst meine, lacht Gordon und bietet als Alternative an, man könne auch gegen ihn bei der Karaoke antreten.
Barbecue auf dem Achterdeck
Die Gelegenheit dazu bietet sich bald. Zum Grillfest versammelt sich, wer dienstfrei hat, auf dem Achterdeck. Über den Köpfen bilden die Container das Dach, unter den Füßen lässt die Maschine das Deck zittern, während am Horizont die Sonne glutrot im Südpazifik versinkt. Auf dem Rost duften Steaks und Würstchen, Bier- und Wodkaflaschen schwimmen im Eiswasser in großen Bottichen. Sie leeren sich im selben Maß, wie die Stimmung steigt.
Dann wird die Karaoke-Anlage in Betrieb genommen. Jeder darf singen, auch die Passagiere. Als Gordon die Bestmarke knackt, nickt der Kapitän anerkennend, während bei der Crew die Diskussion entbrennt. Die Philippiner, die einen Großteil der Mannschaft ausmachen, scheinen vom Ehrgeiz gepackt - und verteidigen ihre Ehre mit Songs von den Beatles und Billy Joel.
Die Gesangswettbewerbe gehören genau so zum Alltag an Bord wie die Zeitumstellungen. Und das Starren aufs Meer. Nach einer Woche auf dem Schiff werden im Wasser Einzelheiten sichtbar, wo vorher nur Blau war. Unterschiede in den Wellen fallen auf, mal durch Wind, mal durch Fische verursacht.
Dann: Land, ho! In der Bucht von Panama-Stadt dümpeln Dutzende Frachtkähne und warten auf die Passage durch den Kanal. In der Nacht ist es soweit. Nur ein halber Meter liegt auf beiden Seiten zwischen Rumpf und Schleusenwand. "Kein Problem, das passt", versichert Pavel. Während der Lotse Kommandos in sein Funkgerät spricht, steuert Pavel das Schiff, groß wie zwei Fußballfelder, mit einem kleinen Joystick.
Auf einmal winkt der Kapitän versonnen ins Nichts. Als er merkt, dass er beobachtet wird, lächelt er und seufzt: "Dort ist eine Webcam. Meine Frau müsste jetzt zu Hause vor dem Computer sitzen."
Am nächsten Morgen ist der Atlantik in Sicht. Die Passage dauerte statt 15 nur acht Stunden. "So schnell ging es noch nie", sagt der Kapitän. Doch die gewonnene Zeit wird bald wieder verloren sein. Ziel der Reise ist Cartagena in Kolumbien, ein Hafen, der für lange Wartezeiten berüchtigt ist. "Ich lag da schon mal acht Tage vor Anker", knurrt der Kapitän. Dann lächelt er wieder und fragt die Passagiere: "Ihr habt es doch nicht eilig, oder?"
