
"Life of Pi"-Schauplatz in Indien: Plantagenbesuch mit Tiger
"Life of Pi" in Indien Auf Touristen warten und Tee pflücken
Im winzigen Reisebüro von Stanley Wilson in Fort Cochin herrscht Gedränge. Seit der Film "Life of Pi" im Kino läuft, sind seine Touren nach Munnar besonders gefragt. Nun wurde das Filmmärchen nach Yann Martels Bestseller "Schiffbruch mit Tiger" auch noch mit vier Oscars ausgezeichnet. Die spannende Überlebensgeschichte zeigt mit grandiosen Bildern, wie der indische Junge Pi zusammen mit einem Tiger als einzigem Reisebegleiter monatelang in einem Rettungsboot über den Ozean treibt.
Bevor seine Familie das Schiff besteigt, um nach Kanada auszuwandern, wächst Pi als Sohn eines Zoowärters im südindischen Pondicherry auf. Im Mai fährt er einmal mit seinen Eltern in den kleinen Ort Munnar in den Bergen von Kerala. "Die Kühle dort oben war wie Pfefferminze", heißt es in dem Bestseller.
In Munnar kommt der 14-jährige Pi das erste Mal in Kontakt mit dem Christentum und hört von Jesus Christus. Dass die Menschen sündigen und Gottes Sohn dafür büßt, ist für den Hindu eine verrückte Geschichte. Ein Hindugott würde das schließlich nie tun. Es ist zwar nur diese kurze Szene des Kinofilms, die in Munnar spielt, doch die indischen Tourismusbehörden haben das gleich genützt und eine weltweite Land-of-Pi-Kampagne gestartet - mit Postern und T-Shirts und neuen Touren.
Bereits die Briten erkannten das angenehme Klima von Munnar und machten den 1500 Meter hoch gelegenen Ort zu ihrer Hill Station - einem kühlen Rückzugsort für die heißen Sommermonate. Vom kolonialen Flair ist in Munnar heute nichts mehr zu sehen. Die zwischen den Berghängen eingezwängte Stadt zieht sich an der Straße entlang, hat einen geschäftigen Markt und ist vor allem auf den indischen Tourismus ausgerichtet.
Besuch beim größten Teeproduzenten der Region
Wie überall in Kerala existieren die Religionen hier friedlich nebeneinander. Es gibt Hindu-Tempel und Moscheen, und hoch über dem Markt thront eine Kirche. Der Aufschwung von Munnar begann Ende des 19. Jahrhunderts. Damals erkundeten britische Offiziere die unwegsame Berggegend und erkannten, dass sich dort gut Tee anbauen lässt. Die ersten Hektare wurden gerodet und Teebäume gepflanzt. Heute ist Munnar umgeben von Plantagen. Wie überdimensionale, saftig grüne Teppiche überziehen die sorgfältig geschnittenen Pflanzen selbst die steilsten Hügel.
Bis auf 2200 Meter Höhe wird hier Tee angebaut - weltweit soll er nirgends höher wachsen. Die Plantagenbesitzer holten sich Arbeitskräfte aus dem benachbarten Bundesstaat Tamil Nadu und bauten für sie Unterkünfte. Es gab eine Gesundheitsversorgung und Krippen für die Kinder der Pflückerinnen - damals völlig ungewöhnlich in Indien. Später übernahm der indische Mischkonzern Tata die Plantagen. Heute gehören die 24.000 Hektar Teeplantagen den rund 12.000 Mitarbeitern.
Die Kanan Devan Hills Plantations Company ist mit 21 Millionen Kilo Tee jährlich der größte Teeproduzent in Südindien. Im Teemuseum zeigt ein Film die wechselvolle Geschichte der Firma und gibt interessante Einblicke in das Leben der Kolonialzeit und die Anfänge der Teeproduktion.
Elefantenritt und Tiger-Pirsch
Der Besuch einer Teefabrik gehört zum Standardprogramm der meisten Besucher. Hauptattraktion ist jedoch die Natur. Stundenlang kann man durch die Plantagen wandern, Wasserfälle besuchen oder auf Stauseen mit dem Boot rudern und dabei das faszinierende Wolkenspiel beobachten. Morgens ist es meist klar. Dann glitzert der Tau auf den saftig grünen Teebäumen, und tief unten im Tal hängen die dicken Wolken über der schwül warmen Tiefebene.
Gegen Mittag steigen die ersten Wolken hoch, oft durch den kräftigen Wind in bizarre Fetzen zerrissen. Nachmittags ist dann gern alles in einem dichten Nebelschleier verhüllt. Beliebt ist auch ein Ausflug zum Eravikulam-Nationalpark. Vom Tal fährt ein Bus die Besucher auf einer steilen Straße durch die Teeplantagen hoch zum Park. Von dort hat man einen traumhaften Blick auf den 2695 Meter hohen Anaimudi Peak, den höchsten Berg Südindiens, und kann die seltenen und zahmen Bergziegen Nilgiri Tahr beobachten.
Abenteuerlich ist die 36 Kilometer lange Fahrt zum 1700 Meter hoch gelegenen Aussichtspunkt. Die Straße führt vorbei an Stauseen und Dämmen. Alles ist auf den indischen Tourismus ausgerichtet. Es gibt Elefanten, auf denen man reiten kann, und die zahlreichen Souvenirstände bersten vor Kitsch. Verkauft wird hausgemachte Schokolade und natürlich Tee. Oben wird die Straße zum schmalen Feldweg, der sich am Abgrund entlang schlängelt und vor allem bei dichtem Nebel eine Herausforderung für den Fahrer ist.
Wer Glück hat, der kann von dort einen atemberaubenden Blick über die steil abfallenden Teeplantagen bis über die Tiefebene des Bundesstaates Tamil Nadu genießen. Wer noch mehr Glück hat, der entdeckt auf dem Rückweg sogar das Raubtier, das in "Life of Pi" Schiffbruch erleidet. Ein Schild weist am Straßenrand auf den rund 50 Kilometer nördlich gelegenen Parambikulam-Wildpark hin, in dem neben Elefanten, Sambarhirschen und Krokodilen auch noch 15 wilde Tiger leben. Die Chancen, einen davon zu sehen, sind allerdings gering - der Park umfasst immerhin fast 650 Quadratkilometer. Für ein Treffen mit dem Tiger muss man zur Not noch mal ins Kino gehen - und sich dort in das 3-D-Erlebnis "Life of Pi" stürzen.