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Roadtrip durch China: Mit dem blauen Pfeil nach Westen

Foto: Andreas Lorenz

Roadtrip in China Per iPad zu den Yi

Auf eigene Faust mit dem Mietwagen durch Chinas Provinzen - so ein Roadtrip ist Touristen erst seit kurzem erlaubt. Andreas Lorenz hat auf dem Weg nach Kunming wilde Flüsse, alte Dörfer, Weltraumbahnhöfe und Partymeilen passiert. Am Anfang stand eine seltsame Prüfung.

"Fahren Sie nicht bei Rot, und beachten Sie die Geschwindigkeitsregeln." Mit diesen Worten überreicht uns der schwarz uniformierte Polizist unsere Führerscheine, Kategorie C1 für Pkw, "provisorisch" und gültig für vier Wochen.

Wir befinden uns in einem Zimmer der Verkehrsverwaltung der Provinz Sichuan, rund 30 Minuten Autofahrt außerhalb der Hauptstadt Chengdu. In der riesigen, ganz in grauem Stein gefliesten Haupthalle zeigt ein Video den Wartenden reale Unfallszenen, aufgenommen von Überwachungskameras auf den Straßen der Provinz. Das Motto heute: "Bauhelme schützen nicht vor Verletzungen."

Die Zahl der Beispiele, bei denen Autos in Motorrad- und Radfahrer hineinkrachen, die sich statt eines richtigen Kopfschutzes nur einen Bauhelm aufgesetzt hatten, scheint schier endlos. Die Kamera zeigt unerbittlich Schwerverletzte und Tote.

Solche Warnungen sollen abschrecken und belehren: Es kracht zwar weniger in China als in der Vergangenheit, zwischen 2007 und 2011 sank die Zahl der Unfälle von 327.000 auf 210.000 und es starben 2011 insgesamt rund 62.000 Menschen, fast 20.000 weniger als 2007. Nimmt man allerdings die Zahl der Autos in China, ist die Zahl der Opfer enorm.

Wir, vier Journalisten aus Deutschland auf Urlaub in China, wollen uns nicht abschrecken lassen. Wir alle haben allerdings vorher in China gelebt, kennen Sprache, Schriftzeichen und Fahrverhalten. Unser Plan: ein Auto ohne Fahrer mieten und von Zentralchina in den Süden reisen. Das ist seit Anfang des Jahre auch für ausländische Besucher ohne Wohnsitz in China erlaubt. Dafür wird der heimische Führerschein kurzfristig umgeschrieben.

Vor dem Autourlaub im Reich der Mitte steht ein Gesundheitstest im Volkskrankenhaus der Provinz. "Krempeln Sie mal die Hosenbeine hoch", fordert der Arzt im vierten Stock. "Dann tippen Sie mit dem Vorderfuß auf dem Boden." Danach müssen wir beweisen, dass wir Kopf und Handgelenk drehen können. Noch eine Probe, ob wir farbenblind sind und ein Foto für den Computer, aufgenommen von einer Schwester im rosa Kittel. Für das Foto müssen wir, warum auch immer, alle zehn Finger in die Kamera halten.

Immer dem blauen Pfeil nach

Dann sind wir fit für Chinas Straßen. In 13 Tagen wollen wir rund 2800 Kilometer von der Provinzhauptstadt Chengdu aus an die burmesische Grenze fahren, dann weiter nach Kunming, die Hauptstadt der südlichen Provinz Yunnan. Organisator ist das Hamburger Reisebüro China Tours, das viele Formalitäten erledigt und das Auto bucht: einen silbernen Geländewagen, Marke Mitsubishi Pajero, rund 50.000 Kilometer wurde er bereits gefahren.

Damit wir uns nicht verirren, gibt uns China Tours ein iPad mit, auf dem uns ein blauer Pfeil anzeigt, ob wir uns auf unserer Route befinden - und durch den die Behörden wohl auch immer feststellen können, ob wir auf Abwege geraten.

Schon nach wenigen Minuten auf der Straße wird klar: Verkehrsregeln werden allenfalls als Richtwerte verstanden. Mancher Fahrer scheint nicht die geringste Idee vom Risiko zu haben, wenn er auf einer ungesicherten Serpentinenstraße an unübersichtlicher Stelle mit hohem Tempo überholt: Funktionärslimousinen schießen an uns vorbei, als ob es kein Morgen gäbe. Aber auch Mopedfahrer - mit ihrer Familie auf dem Sozius, das Handy am Ohr - neigen dazu, Lastwagen und Autos zu ignorieren und ohne Vorwarnung quer über die Straße zu kurven.

Wir nehmen nicht die moderne Autobahn nach Süden, sondern wollen die Gegend lieber auf Nebenstraßen erkunden. Und so geraten wir auf enge ungepflasterte Pisten hoch über dem Abgrund, wir passieren Baustellen, auf denen Lkw, Dreiräder, Autos und abenteuerliche Lastengefährte mühsam aneinander vorbei rangieren.

Das lohnt sich: Der Weg führt uns durch eine atemberaubende Szenerie, durch enge Schluchten an wilden Flüssen vorbei, über den Yangtse, den Mekong und den Salween-Fluss, durch gelb blühende Reisfelder und alte Dörfer. Bauern ethnischer Minderheiten wie der Yi oder Bai in ihren Trachten schneiden mit Sicheln die Reishalme. Andere pflügen den Boden mit Wasserbüffel und Holzpflug, als ob Maschinen noch nicht erfunden wären.

Der Weg führt aber auch durch das moderne China: durch Städte, die vor wenigen Jahren noch trübe Provinzlöcher waren, jetzt aber mit hellen neuen Wohnvierteln, schicken Boutiquen und Elektronikgeschäften wie verwandelt erscheinen.

Rothenburg ob der Tauber auf Chinesisch

Baoshan etwa ist solch ein herausgeputzter Ort in der Provinz Yunnan, der allerdings seinen alten Charme nicht verloren hat: Früh morgens treffen sich die Anwohner auf dem Sportplatz zur Gymnastik, die Damen wiegen sich im Fächertanz, die roten Fächer klacken. Nebenan übt in einem Hausdurchgang ein Straßenhändler mit seiner Geige die "Ode an die Freude."

Erster Stop ist Pingli drei Stunden hinter Chengdu, ein altes Dorf an einem Fluss. Wir sind nicht allein - Hunderte chinesische Touristen entdecken Pingli gerade mit uns. In einer Gasse steht ein altes Theater, das einst Rote Garden in der Kulturrevolution der sechziger und siebziger Jahre fast völlig zerstörten und nun wieder aufgebaut wurde. Eine junge Verkäuferin verkauft uns gebratene Wachteleier am Spieß, drei Yuan (rund 30 Cents) pro Stück.

Nach der Kreisstadt Ya'an ist nach knapp 400 Kilometern Xichang unser Ziel. Rund 50 Kilometer davon entfernt: einer der drei Weltraumbahnhöfe Chinas. Hier starteten bereits 1984 die ersten chinesischen Raketen vom Typ "Langer Marsch" in den Kosmos, heute können manche als Touristenattraktion besichtigt werden. Wir passieren eine Straßenkontrolle, auf der Betonpiste haben Bauern Reiskörner zum Trocknen ausgelegt, die sie abends in Säcke füllen. In der Ferne taucht eine der Abschussrampen auf.

Doch die nächste Schranke öffnet sich für uns nicht, zwei Militärpolizisten in weißen Stahlhelmen bewachen die Zufahrtsstraße. "Ausländern dürfen wir keine Eintrittskarten verkaufen", sagt die Verkäuferin. "Das ist zwar blöd, aber so ist es nun mal."

Weiter Richtung Lugu-See: Hier leben die Mosu, ein Völkchen, in dem die Frauen traditionell das Sagen haben und das Zentrum der Familien sind. Praktisch bedeutete dies: Die Frauen heirateten nicht, die Väter ihrer Kinder durften bei ihnen nicht über Nacht bleiben. Um den Nachwuchs kümmerte sich der Bruder.

Der See in knapp 2300 Meter Höhe ist idyllisch und glasklar, ein Mönch hockt vor einem neuerrichteten Tempel und betet. 235 Kilometer weiter südlich wartet die Altstadt von Lijiang auf uns, eine der größten Touristenattraktionen Chinas, quasi ein chinesisches Rothenburg ob der Tauber.

Doch der Ort enttäuscht. Nach einem Erdbeben in den neunziger Jahren ist heute nicht mehr zu erkennen, welches Haus und welches Tor wirklich alt, welches teilweise restauriert und welches im alten Stil völlig neu aufgebaut ist.

Route von Chengdu nach Kunming: 13 Tage am Steuer eines Mietwagens

Route von Chengdu nach Kunming: 13 Tage am Steuer eines Mietwagens

Foto: Google; SPIEGEL ONLINE

Eine beeindruckende Reise - mit drei Einschränkungen

Abends drängen sich Tausende Touristen durch die Gassen mit ihren unzähligen Souvenirshops, die Schmuck, Tücher und Tee feilbieten. In den Nachtklubs mischen sich Volksmusik, Schlager und Techno zu einer schwer erträglichen Kakophonie. Das Jungvolk tanzt schon bald beseelt und sturztrunken auf den Tischen.

Die Politik ist auch hier nicht fern: Vor einem Restaurant hängt nach den jüngsten anti-japanischen Demonstrationen im Konflikt um die Diaoyu-Inseln ein rotes Transparent, auf dem mit gelben Schriftzeichen steht: "Schweine und Hunde und Japaner keinen Eintritt." Da wollen wir dann auch nicht einkehren.

Authentischer als Lijiang ist das Dorf Baisha rund acht Kilometer weit entfernt. Hier, am Rande des Himalaja, sind die Naxi zu Hause, deren Frauen sich in blaue Gewänder hüllen und oft eine simple Arbeitermütze tragen.

Obwohl auch hier allenthalben Touristenläden Ethno-Kitsch anbieten, sind noch Reste der alten Kultur zu sehen, zum Beispiel von Bauern bewohnte Häuser. An der Dorfstraße lebt ein berühmter und mit seinen 90 Jahren quicklebendiger Mediziner: Dr. Ho hat es mit seinen Kräutermischungen zu Weltruhm gebracht.

Zaubertrank gegen die Pfunde

Bevor er behandelt, zwingt er seine Patienten, Zeitungsartikel über ihn aus aller Welt anzuschauen. Dabei wird er nicht müde, auf Englisch sein Gesundheitscredo zu verkünden: "Nicht rauchen, nicht trinken, nicht zu viel essen, nicht immer den Mund aufreißen und optimistisch sein." Einer von uns bittet ihn um ein Mittel gegen Prostatabeschwerden und Fettleibigkeit.

Ho fühlt den Puls und kommt souverän zu der Diagnose: "Prostatabeschwerden und Fettleibigkeit." Für 600 Yuan (umgerechnet rund 73 Euro) füllt er eine ordentliche Portion Kräutertee ab, schreibt auf einen Fetzen Papier lateinisch "Zoll", knallt einen roten Stempel darunter und befindet, nun dürfe es kein Problem mehr sein, seinen Zaubertrank in Deutschland einzuführen.

Einen halben Tag Fahrt entfernt liegt an einem See die Stadt Dali, das Zentrum der Bai-Minderheit und ehemals Hauptstadt ihres Königreiches. Ihren Charme macht eine ebenfalls gut bewahrte Altstadt mit vier Stadttoren und einer alten protestantischen Kirche im Zentrum aus. Abends tanzen die Bewohner vor dem alten Kino, auf einer Leinwand unter freiem Himmel läuft ein Propagandaschinken über den chinesisch-japanischen Krieg.

Eine beeindruckende Reise - mit drei Einschränkungen

Auf der alten Burma-Straße, die der amerikanische General Joseph Stilwell 1937 für den Nachschub im Kampf gegen japanische Truppen durch den Dschungel nach Kunming schlagen ließ, geht es am nächsten Tag weiter nach Ruili, der südlichsten Station der Tour an der burmesischen Grenze: Umschlagplatz für Drogen und illegal geschlagene Tropenhölzer aus Burma.

Einst ein verlorenes Kaff im Dschungel, hat sich der Ort zum properen Städtchen entwickelt, der vor allem vom Handel mit dem Nachbarland lebt. Die Burmesen bringen Jade, den sie auf einem großen Markt mitten in Ruili verkaufen. Von den chinesischen Händlern erstehen sie alles, was sie für ihren Alltag brauchen, vom Wasserhahn bis zum Schulheft.

Ein Möbelhändler hat vor seiner Tür einen gewaltigen, übermannsgroßen Löwen aus Tropenholz aufgestellt. "Aus einem Stück geschnitzt", sagt die Verkäuferin. Die Frage, wie das Monstrum über die Grenze gekommen ist, überhört sie - eigentlich ist der Export wertvoller Tropenhölzer aus Burma verboten.

Letzte Etappe: Von Ruili geht es 462 Kilometer zurück über eine kühne Autobahn nach Kunming. Zum Schluss verfransen wir uns trotz des blauen Pfeils heftig im Gewirr der Autobahnen und Viadukte. Nach langer Irrfahrt durch den Feierabendverkehr Kunmings landen wir im Hotel, glücklich und ohne Kratzer und Beule. Ein junger Mann nimmt den Wagen entgegen. Die nächste Tour führt zum Flughafen - mit Fahrer.

Es ist eine faszinierende Reise. Aber ist sie zu empfehlen? Die Antwort ist "Ja" - mit drei Einschränkungen:

  • Wer keine Fahrerfahrung auf unbefestigten und teilweise rutschigen Serpentinen besitzt und nicht gelassen genug ist, mit unorthodoxen Verhaltensweisen der anderen Verkehrsteilnehmer zurecht zu kommen, sollte es lassen.
  • Nicht alle Richtungsschilder sind in englischer Sprache. Das iPad mit dem blauen Pfeil ist nicht immer ganz zuverlässig. Englisch sprechen in dieser Region nur wenige Chinesen, es kann zu herben Verständigungsschwierigkeiten kommen.
  • Die Tour ist teuer: Pro Person kostete die 13-tägige Reise rund 2600 Euro. Darin sind Flughafen-Transfers, ordentliche Hotels und die Flüge Peking-Chengdu und Kunming-Peking eingeschlossen, nicht aber die Flüge aus Deutschland nach Peking und zurück. Hinzukommen kamen bei uns rund 360 Euro Benzinkosten, Mautgebühren und Zufahrtsgebühren zum Lugu-See.

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