
Kreuzfahrt um die Antarktis Eis voraus!

Teepott in der Shackleton-Hütte: Überlebenswichtig für Briten
Foto: Michael Martin
Adelie-Pinguine in der Mauser: Das Rossmeer ist voller Leben
Foto: Michael Martin
Plötzlich teilen sich die Wolken über der Ross-Insel, und der Mount Erebus wird sichtbar. Die gleißende Sonne Antarktikas lässt den Stratovulkan weiß aufleuchten.
Ich richte immer wieder mein Teleobjektiv auf den schneebedeckten Gipfelkrater, aus dessen Fumarolen unablässig weißer Rauch aufsteigt. Der 3794 Meter hohe Vulkan ist nicht nur der aktivste der Antarktis, sondern auch der südlichste der Erde - am 77. südlichen Breitengrad, gerade mal 1500 Kilometer vom Südpol entfernt.
Mein schweres Stativ steht auf dem Deck der "Ortelius", eines eistauglichen Expeditionsschiffs, mit dem meine Frau Elly und ich zusammen mit 75 Passagieren aus 15 Ländern zwei Wochen zuvor Neuseeland verlassen haben, um Antarktika zu erkunden.
Ich gehe auf die Brücke des in Russland gebauten und von einer niederländischen Reederei betriebenen Schiffs, um mit dem finnischen Kapitän und dem neuseeländischen Expeditionsleiter Don zu sprechen. Mein Traum wäre, mit einem der auf dem Hinterdeck der "Ortelius" vertäuten Helikopter zum Krater des Erebus hochzufliegen. Von Marcello, dem Chef der chilenischen Helikoptercrew, habe ich schon ein grundsätzliches Okay für den Gipfelflug.
Die beiden mit den extremen Verhältnissen im Rossmeer vertrauten Männer auf der Brücke richten ihren Blick zur Rauchfahne des Erebus, die von einem Höhensturm niedergedrückt wird, und schütteln gleichzeitig den Kopf. Zu gefährlich sei ein Gipfelflug, der auch bei Windstille schon waghalsig genug wäre.
Zum Tee bei Shackleton
Trotzdem fliegen wir an diesem Abend noch - wenn auch nur wenige Meilen hinüber zur Ross-Insel. Am Fuß des Erebus steht die historische Hütte der Nimrod-Expedition, die Ernest Shackleton von 1907 bis 1909 geführt hatte und in deren Verlauf der Vulkan zum ersten Mal bestiegen wurde.
Die Hütte ist vom New Zealand Heritage Trust renoviert und konserviert worden und gibt einen Einblick in die Expeditionsbedingungen Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Schlafsäcke waren aus Rentierfell genäht, das bald hart gefroren und steif wurde. Geradezu makaber ist ein kleines Holzgestell, das in den Schlafsack geschoben wurde, um nach einer Zehenamputation die Füße eines Expeditionsteilnehmers vor schmerzhafter Berührung mit dem eisigen Schlafsack zu schützen.
Teepott in der Shackleton-Hütte: Überlebenswichtig für Briten
Foto: Michael MartinWir bestaunen Heinz-Ketchup-Flaschen, englischen Tee und Kakaopulver, was Shackleton und seinen Männern die monatelange Polarnacht erträglicher machen sollte. Abends fliegen wir zur "Ortelius" zurück, die zwei Seemeilen vor Ross Island vor Anker liegt und bald darauf Kurs Nord aufnimmt.
Beim Verlassen des McMurdo-Sunds bietet sich uns ein grandioses Naturschauspiel. Im Licht der Mitternachtssonne leuchten der Mount Erebus und der benachbarte Mount Terror, in der Ferne zeichnet sich am Horizont der Vulkankegel des Mount Discovery ab.
Elly und ich sind in dieser klaren Nacht die Einzigen auf Deck. Wir können unseren Blick von dem aktiven Erebus kaum lösen, dessen Rauchfahne nun senkrecht in den Himmel aufsteigt. Wir werden wiederkommen, um eines Tages seinen Krater aus nächster Nähe zu fotografieren.
Refugium für Pinguine und Wale
Nach kurzem Schlaf sind wir frühmorgens bereits draußen. In der Ferne zieht die bis zu 100 Meter hohe und 500 Kilometer lange Kante des Ross-Schelfeises vorbei. Das größte Schelfeis der Erde besteht aus nichts als Eis, das vom gefrorenen Panzer Antarktikas stammt und auf dem Rossmeer aufschwimmt. Derartige Schelfeisgebiete säumen ein Drittel der 40.000 Kilometer langen Küste Antarktikas, das Ross-Schelfeis ist allein so groß wie Frankreich und nimmt den gesamten südliche Teil des Rossmeers ein.
Ansonsten ist das Rossmeer im antarktischen Sommer weitgehend eisfrei, was auf mehrere Polynjas zurückzuführen ist. Solche großen offenen Wasserflächen entstehen hier, weil Konvektionsströmungen nährstoffreiches, wärmeres Tiefenwasser nach oben fördern.
So ist das Rossmeer, ganz anders als der Eispanzer Antarktikas, voller Leben. Pflanzliches und tierisches Plankton stehen am Beginn einer Nahrungskette, deren weitere Glieder Pinguine, Robben sowie zwölf Walarten sind. Ein Drittel der weltweiten Adelie- und Kaiserpinguin-Populationen lebt im südlichsten Ozean der Erde.
Adelie-Pinguine in der Mauser: Das Rossmeer ist voller Leben
Foto: Michael MartinDie Sorge um dieses Refugium am Ende der Welt ist groß, denn die reichen Fischbestände haben längst die Begierden der internationalen Fangflotten geweckt. Insbesondere der Antarktische Seehecht wird gnadenlos dezimiert und auf den Weltmärkten irreführend als "Chilenischer Seebarsch" vermarktet.
Tragischerweise gilt der Antarktisvertrag nur für die Land- und Schelfeisgebiete, aber nicht für den Südlichen Ozean und damit für das Rossmeer. Für dessen Schutz zuständig wäre die internationale Kommission CCAMLR, deren Anläufe, das Rossmeer zu schützen, am Widerstand Russlands und Chinas scheiterten.
Erster Mensch am Südpol
Am nächsten Tag erreicht die "Ortelius" die Bucht der Wale. Das Navigationsgerät auf der Brücke zeigt 78° 33', den südlichsten Punkt auf dem Erdball, den ein Schiff erreichen kann.
Trotz hoher Wellen und Sturm lässt Don die Schlauchboote zu Wasser bringen. Unter abenteuerlichen Umständen pflügen wir die fünf Seemeilen zur Eiskante des Ross-Eisschelfs durch vier Meter hohe Wellen. Don steuert das winzige Schlauchboot für meine Aufnahmen direkt unter die mächtige Eiskante, die nicht nur optisch, sondern auch thermisch eisige Kälte ausstrahlt.
In dieser Gegend war es Roald Amundsen gelungen, eine Stelle der Eiskante zu finden, die niedrig genug war, um auf das Schelfeis zu gelangen. Dort oben hatte Amundsen seine Hütte Framheim errichtet, die von Januar 1911 bis Januar 1912 als Basislager für seinen Marsch zum Südpol diente. So hatte sich er sich den entscheidenden Vorteil gegenüber Robert Falcon Scott verschafft, der von der Ross-Insel zum Südpol aufbrach und deswegen 110 Kilometer mehr Wegstrecke hatte.
Amundsens Hütte ist längst vom Eis zermalmt worden. Was aber ewig bleiben wird, ist der Ruhm, der erste Mensch am Südpol gewesen zu sein.
In einer weiteren Folge wird Michael Martin von seiner nächsten Reiseetappe um die Antarktis erzählen. Hier können Sie die erste Folge nachlesen.
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Eis voraus! Die "Ortelius" nimmt Kurs auf die Ross-Insel im McMurdo-Sund des Rossmeers.
Die Ross-Insel wird dominiert vom Mount Erebus, dem aktivsten Vulkan Antarktikas und zugleich südlichsten der Erde.
Aufgrund seiner extrem südlichen Lage ist das Rossmeer auch im Sommer mit Treibeis bedeckt, seine Küsten sind oftmals vereist.
Hütte der Nimrod-Expedition: Die "Ortelius"-Passagiere fliegen mit dem bordeigenen Helikopter zur Ross-Insel.. Am Fuße des Vulkans steht die Unterkunft von Ernest Shackleton und seinen Leuten. Sie diente von 1905 bis 1907 als Basislager für einen Marsch zum Südpol, die Erkundung des magnetischen Südpols und die Besteigung des Mout Erebus.
Der Hauptraum der Hütte bot Platz für die neun- bis zwölfköpfige Landungsmannschaft. Wichtigster Einrichtungsgegenstand war der "Mrs. Sams Stove", ein gusseiserner Ofen, ...
... auf dem sicher unzählige Male das Teewasser für die britischen Gentlemen kochte.
Die Hütte diente einst verschiedenen Expeditionen als Unterschlupf und ist voller Vorräte aus vergangenen Zeiten, angefangen von Colman's Corn Flour bis zu den damals offensichtlich schon beliebten Produkten des Ketchup-Königs Heinz.
Um die Hütte herum lebt eine der südlichsten Pinguin-Kolonien der Erde.
Die Adelie-Pinguine befinden sich gerade in der Mauser und kommen ohne Hütte und Vorräte mit den harschen Bedingungen im Rossmeer zurecht.
Der Mount Erebus ist eine Kombination aus Schild- und Stratovulkan und gehört zu den aktivsten Vulkanen Antarktikas. Von Fumarolen im Bereich des 3700 Meter hohen Gipfelkraters steigt Rauch im Licht der Mitternachtssonne auf, im Krater befindet sich ein 35 Meter großer permanenter Lavasee.
Der Mount Discovery ist ein erloschener Vulkan und gehört zu der Kette von Vulkanen die sich vom Kap Adare entlang der Küste des Rossmeers bis ins Marie Byrd Land zieht.
Das Deck der "Ortelius" ist auch bei Sonnenschein aufgrund von Kälte und Wind kein Platz für Liegestühle und Badekleidung.
Die Kälte ist durch die Nähe des Ross-Schelfeises bedingt, dessen 500 Kilometer lange Eiskante das Kreuzfahrtschiff für zwei Tage folgt.
Das Fotografieren vom Zodiac ist für Michael Martin aufgrund der Wellen, des straken Windes und der Gischt alles andere als einfach. Katabatische Winde, die vom Polarplateau zur Küste wehen, wühlen das Rossmeer auf.
Das Ross-Eisschelf ist so groß wie Frankreich und damit das größte der Erde.
Die Eiskante des Ross-Schelfeises überragt das Rossmeer meist um rund 40 Meter, unter Wasser hat das Eis eine Mächtigkeit von 300 Meter.
Beim Verlassen des Rossmeers gelingt Michael Martin um 4 Uhr morgens diese Aufnahme des untergehenden Vollmondes.
Zwischen Neuseeland und Antarktika durchpflügt die "Ortelius" das Südpolarmeer, das unter Seeleuten als das raueste Meer der Erde gilt.
Anders als das Packeis bestehen Eisberge aus Süßwassereis, da sie von den Gletschern Antarktikas abgebrochen sind. Aufgrund der unterschiedlichen Dichteverhältnisse ragt nur ein Siebtel eines Eisbergs aus dem Wasser.
Elly Martin ist froh, am Kap Adare wieder Land unter den Füßen zu haben. Mit Filmkamera und Fotoapparat zieht sie mit Michael Martin los, um Pinguine zu fotografieren.
Im Januar war das Kap noch von Adelie-Pinguinen bevölkert, die nach der Aufzucht ihrer Jungen das Kap aber bereits verlassen haben.
Ein paar Hundert Jungtiere sind am Kap geblieben, um den Abschluss ihrer Mauser abzuwarten. Sie überleben den antarktischen Winter nur, wenn sie rechtzeitig ihr Federkleid entwickelt haben.
Die Hütte von Carsten Borchgrevink, der im Jahre 1899 als erster Mensch mit einer kleine Gruppe von Männern in der Antarktis überwinterte, ist heute noch am Kap Adare zu finden.
Eine Weddelrobbe sonnt sich im Licht der Morgensonne in der Terra Nova Bay. Sie gelten als willkommene Beute der Orcas und Seeleoparden.
Obwohl das Rossmeer das südlichste Meer der Erde ist, sind große Teile im antarktischen Sommer eisfrei. Der Südteil bleibt aber dauerhaft unter dem Ross Eisschelf verborgen.
Zodiac-Schlauchboote sind gut geeignet, um an eisfreien Küsten anzulanden oder im Treibeis nach Robben, Walen und Pinguinen zu suchen.
Elly und Michael Martin bereiten auf dem Schiffsdeck ihre Kameras für einen Helikopterflug in die Trockentäler vor.
Im letzten Sonnenlicht werden sie von einem Helikopter abgeholt, um zu einem Fotoflug über das Taylor Valley zu starten.
Dieser führt zunächst an der Kante des David-Gletschers entlang, der aus einem Seitental ins Taylor Valley herab reicht.
Der Commonwealth Gletscher ist der küstennächste Gletscher, der ins Taylor Valley mündet. Im Hintergrund ist das Polarplateau zu sehen, von dem das Taylor Valley zur Küste verläuft.
Die Trockenheit ist auf katabatische Winde zurückzuführen, außerdem liegen die Dry Valleys im Regenschatten hoher Gebirgszüge.
Das Taylor Valley beherbergt mehrere Seen wie den Lake Fryxell, deren Eis bis zu zwei Millionen Jahre alt ist.
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