
Figurensärge in Ghana: Tot im Fisch
Sarg-Kunst in Ghana Flaschenpost ins Jenseits
Die Colaflasche liegt direkt neben dem Eingang zum Verkaufsraum. Knallrot das Etikett, weltbekannt der altmodisch geschwungene Schriftzug mit dem verschnörkelten "C". Auf der Flasche steht, sie habe Platz für 200 Milliliter und sei "for beverages only", nur für Getränke. Doch beides ist glatt gelogen, denn sie ist zwei Meter lang und bestimmt nicht für koffeinhaltige Limonade gedacht.
"Die Kundenwünsche werden immer ausgefallener", sagt Eric Adjetey Anang. Der heitere 26-Jährige mit dem fein gestutzten Kinnbart und den offenen weißen Turnschuhen ist Chefdesigner der Sargmanufaktur Kane Kwei in Teshie, einem geschäftigen Stadtteil am Ostrand von Accra. "Einmal sollte ich einen Sarg in Form eines Mantarochens machen, das war eine echte Herausforderung."
Der Brauch, Verstorbene in kunstvoll gezimmerten Autos, Tieren, Flaschen oder Früchten aus Holz beizusetzen, ist ein ghanaisches Unikum. Mitglieder der Ga-Volksgruppe glauben, dass die Form des Sarges wesentlich dazu beiträgt, dem Verblichenen im Jenseits ein angenehmes Dasein zu bescheren. Sie glauben außerdem, dass die Toten ein Mitspracherecht haben, wenn es um das Schicksal ihrer lebenden Verwandten geht. Es kann also nicht verkehrt sein, sich bei Beerdigungen ein wenig ins Zeug zu legen. Mindestens 500 US-Dollar kosten die bunt bemalten Sarg-Kunstwerke.
Raubkatzen nur für Würdenträger
Meist hat deren Form etwas mit der beruflichen Position des Toten zu tun: Der Obsthändler wird in eine Tomatenkiste oder Ananas gelegt, der Angler in einen Buntbarsch, der Getränkehändler in eine Cola- oder Bierflasche. Motive mit besonderer symbolischer Bedeutung, Raubkatzen etwa oder Zeremonialwaffen, sind Clanchefs vorbehalten.
Als einer der Erfinder der figürlichen Särge gilt Kane Kwei, Anangs Großvater. Der Tischler wollte in den fünfziger Jahren seiner Oma posthum ein ungewöhnliches Geschenk machen. "Sie hat ihr Leben lang davon geträumt, einmal in einem Flugzeug zu fliegen, aber es war ihr nicht vergönnt", erzählt Anang. "Deshalb hat er ihr einen Sarg in Form eines Flugzeugs gezimmert."
Bestattungen bei der Ga-Minderheit sind generell keine todernste Angelegenheit, doch diese wurde ein ganz besonderer Erfolg. Fortan spezialisierte sich Kwei auf Gebeinkisten in eigenwilligen Formen, so liebevoll gestaltet, dass sie fast zu schade zum Einbuddeln sind. Seine Nachfahren führten die Werkstatt fort, die Wohnhütten der Familie liegen direkt dahinter. Neben großen Stapeln von Holzbrettern trocknet im Innenhof bunte Wäsche an einer Leine.
Kein Nachfragerückgang zu befürchten
Acht Lehrlinge arbeiten für Anang. Zehn Jahre lang sind sie hier normalerweise angestellt, dann werden sie mit einem großen Schlachtfest verabschiedet und dürfen sich selbständig machen. Allein im Stadtteil Teshie gibt es inzwischen drei weitere Werkstätten, insgesamt sind es etwa zehn. Die Nachfrage ist enorm, die Zukunftsaussichten bestens. 625.000 Ga leben in Ghana. 625.000 potentielle Kunden.
Von dem einen oder anderen Touristen mit Kunstfaible ganz zu schweigen. Die nämlich kommen immer häufiger, um die Ausstellungsräume der Künstler zu bestaunen. Manche kaufen auch einen Mini-Sarg als dekoratives Schränkchen für zu Hause. Zum nächsten Shop "Hello Coffin Design" müssen sie vom Kane-Kwei-Laden nur ein paar hundert Meter die Hauptstraße entlang Richtung Innenstadt laufen. Auf dem Weg passieren sie Bierbars in Bretterbuden und Cafés mit Cola-Werbung an der Wand. Straßenstände preisen frischen Fisch an, Kleinwagen und Trucks wälzen sich in staubiger Hitze langsam gen Westen. Einige würden ganz passable Sargmotive abgeben.
Durch einen Hinterhof, vorbei an gackernden Hühnern, an tratschenden Müttern, die ihre Babys in einem blauen Plastiktrog baden, gelangt man zur Verkaufsausstellung. Auch "Hello" ist ein Traditionsunternehmen, schon seit Jahrzehnten entstehen hier Särge in Form von Kakaobohnen, Benzin-Trucks oder Hummern.
Drei bis vier Stück schaffen die vier Mitarbeiter pro Monat, ihre Werkstatt misst keine 20 Quadratmeter. Es riecht nach Sägemehl und frischer Farbe, ein junger Mitarbeiter hobelt gerade einen mannsgroßen Kugelschreiber glatt. Als Vorlage dient ihm dafür lediglich eine Postkarte mit dem fertigen Objekt.
Ausstellungen im Ausland
"Am beliebtesten sind Fische", erzählt Jonathan, der seit fünf Jahren als Lehrling angestellt ist. Vom Ausstellungsraum im ersten Stock deutet er Richtung Meer, keine hundert Meter entfernt schaukeln hinter den Wellblechhütten kleine Holzboote am Strand. In Teshie verdienen viele Menschen ihren Lebensunterhalt als Fischer.
Das spektakulärste Stück ist jedoch eine zwei Meter breite Canon-Digitalkamera aus Holz, die auf die Hauptstraße gerichtet ist. Vom Blitz bis zur Autofokus-Anzeige, vom Einstellungsrädchen bis zur Millimeter-Angabe auf dem Objektiv: Jedes noch so feine Detail wurde liebevoll mit schwarzer und silberner Farbe aufgepinselt.
Kein Wunder, dass solche Objekte längst auch in der internationalen Kunstszene für Interesse sorgen. Eric Anang zeigte seine Särge vor kurzem auf einer Kunst-Biennale in Südkorea, die vom chinesischen Künstler Ai Weiwei kuratiert wurde. In Russland stellte Anang jüngst einen Wodkaflaschen-Sarg aus. Ein Energiegetränk-Hersteller verpflichtete ihn für einen Werbeclip inklusive Softdrink-Dosensarg.
Des Künstlers eigener Sarg ist übrigens auch schon fertig. "Der steht jetzt mitten in meinem Zimmer", erzählt Anang fröhlich. Sein Vater habe geschimpft, dass er so früh schon an den Tod denke, doch er ist da ganz pragmatisch: "Es kann jederzeit so weit sein, heute, morgen - ich bin vorbereitet."
Anang wird in einem zwei Meter langen Handhobel bestattet werden.