Segeln durch die Seychellen Im Abertausend-Sterne-Hotel

Inseln, auf denen Postkarten nicht lügen müssen; Palmen, die schon für so manche Fototapete Modell standen; Strände, vor denen nur die Haiflosse noch fehlt: Die Seychellen sprechen alle Sinne an. Ein Multimedia-Special.
Von Stefan Heijnk

Skipper Lars lehnt sich aus der Backbordtür der Schiffsbrücke, schreit übers Deck: "Okay, auf geht's!" Adi, Rudolphe und Marcus reißen gleichzeitig an den Leinen und das Hauptsegel löst sich mit einem Ruck vom Rundholz über dem Sonnendeck. Keine zwei Minuten später steht das Tuch am Hauptmast. Das Schiff neigt sich gegen den Horizont, Gischt spritzt an den Bugspriet, und für einen Moment zeigt sich ein kleiner Regenbogen. Das Schiff ist erwacht. Die Segel-Kreuzfahrt beginnt.

Mit acht Crewmitgliedern und 16 Passagieren macht sich der Zwei-Mast-Schoner auf den Weg von Praslin nach La Digue. In den nächsten sieben Tagen wird uns die "Sea Pearl" quer durch die Inselwelt der Inneren Seychellen befördern, die zwischen Madagaskar und Indien im Indischen Ozean funkeln. Im Umkreis von 1100 Kilometern ist nichts als blaue, schaumgekrönte Weite, nur durchbrochen von den schönsten Buchten der Welt.

Die Insel La Digue, die erste Station, entpuppt sich als Ort, an dem Foto-Postkarten nicht lügen müssen: Das Wasser glitzert türkisblau im Sonnenschein; der Sand strahlt gleißend weiß; die von Mutter Natur an die Gestade gemurmelten Granitbrocken schimmern unwirklich in Hellbeige, Ockerrot oder Grauschwarz; die Palmen haben im Sonnenuntergang sicher schon für manche Fototapete Modell gestanden, und das Strandgesträuch ist so grün, wie selbst ein seychellischer Baumfrosch nicht grüner sein kann. Als der englische Offizier Charles Gordon 1881 den Gedanken fasste, die Seychellen seien der biblische Garten Eden, muss er wohl irgendwo hier herumgelaufen sein.

Zurück auf dem Schiff empfängt uns die "Sea Pearl" mit duftendem Zitronenkuchen und frischem Kaffee. Die meisten Passagiere zieht es gleich aufs Sonnendeck, das kleine Paradies der "Sea Pearl": Das sonnengetränkte Teakholz wärmt mir den Rücken, der Wind brummt auf einigen Metallösen leise Wiegenlieder, die Sonne blinzelt ab und an durch die gesetzten Segel, und mit dem leichten Rollen auf sanft gekräuselter See massiert mir das Schiff behutsam den Nacken und die Schultern. Groß- und Kleinhirn schalten auf Dös-Sinn, und kurz vor dem Einschlummern kreisen mir so weltbewegende Dinge durch den Kopf wie "Die Wasserflasche muss bei der Neigung bestimmt bald umkippen".

Kreolische Köstlichkeiten aus winzigkleiner Kombüse

Inzwischen bereitet Joakeem das Abendessen vor. Joakeem ist Smutje der "Sea Pearl" und wohl einer der besten Köche des Landes. Immerhin hat er die Seychellen im letzten Jahr auf einer Promotiontour durch Deutschland vertreten. Was er und sein Co-Koch Jimmy in der klitzekleinen Kombüse auf die Teller zaubern, lässt im Salon allabendlich die Gästegaumen jauchzen - vom pfeffergewürzten Entrecote bis zum Geflügelcurry, vom marinierten Snapper bis zum gebratenen Papageifisch.

Während des Dinners hat sich die "Sea Pearl" bereits in ihr Nachtkleid gehüllt. Die Segel sind längst eingeholt, und wir liegen vor Praslin. Auf dem Achterdeck wird nach dem Essen bei Bier und Wein munter geklönt, geprostet und gelacht. Nach und nach locken dann aber doch die Kojen. In meiner Kabine will die Klimaanlage nicht so, wie sie eigentlich sollte. Es ist stickig. Noch dazu kämpft Lothar nebenan hörbar mit seiner Seekrankheit - also entscheide ich mich, es den Crewmitgliedern gleich zu tun und an Deck zu schlafen.

Das weite Glitzerband der Milchstraße

Decksmann Marcus hat es sich dort im Bugsprietnetz gemütlich gemacht. Co-Smutje Jimmy pennt über der Brücke. Und ich lege mich auf das Dach des Salons. Als gegen Mitternacht die Deckbeleuchtung abgeschaltet wird, erstrahlt über den Masten das weite Glitzerband der Milchstraße mit ihren Abertausenden Funkelsternen. Das Kreuz des Südens flüstert: "Wir sind südlich des Äquators." Und hinter den Bergen Praslins macht sich der Mond langsam für seine nächtliche Wanderung bereit, schneidet die Insel als Schattenriss aus dem Horizont. Eine sanfte Brise streichelt über das schläfrig schaukelnde Schiff. Das alles ist zu schön, um jetzt einzuschlafen. Erst als es bereits dämmert, mache ich noch für zwei Stunden die Augen zu.

Am nächsten Tag kommt ein erfrischender Ausflug ins blaue Nass genau zur rechten Zeit. Am frühen Mittag bringt uns die "Sea Pearl" unter fast vollen Segeln nach St. Pierre, das naturgewordene Inselklischee: Ein vielleicht 50 Meter breiter Felsbogen aus wellenumtosten Granitblöcken ragt aus dem Wasser, obendrauf ein paar Palmen, umgarnt von etwas Bodengrün. Eigentlich fehlt nur noch die Haiflosse, die das Inselchen umkreist. Den Hai bekommen wir zwar über Wasser nicht zu Gesicht, unter Wasser sind es dafür aber gleich vier Exemplare, Gattung "Weißspitzen-Riffhai". Wo viel Licht ist, ist aber nicht zwingend gute Sicht: Die beträgt unter Wasser nur zehn Meter. Und auch die im Reiseführer versprochenen Hammerhaie und Barrakudas treiben sich heute wohl woanders herum.

Hai live vor St. Pierre

Auf Curieuse, Cousin und vor Booby Island gibt's in den folgenden Tagen dafür Kontakt mit ganz anderen Tieren. Beim Tauchgang vor Booby Island treffen wir an der Wasseroberfläche eine Gruppe Delfine und schweben unter Wasser in unvorstellbaren Schwärmen blauer Füsiliere, gelb-gestreifter Süßlippen und Bengalen-Schnapper.

Curieuse, noch bis 1962 als Quarantänestation für Lepra-Kranke genutzt, ist bekannt für seine kleine Kolonie Aldabra-Riesenlandschildkröten. Um die Mittagszeit kuscheln sie sich gern im kühlen Schatten. Nur ein jüngerer Panzerklops hat das noch nicht ganz kapiert. Statt sich auszuruhen, schrubbt er seine Zentner lieber auf dem Bauchpanzer durch die Hitze. Als ich mich nähere, faucht er mir ziemlich missgelaunt aus vollem Hals ins Gesicht. Ich hätte es wissen müssen: Das riecht nicht wirklich gut. Zeit für ein Bad im Meer.

Am letzten Tag bietet uns die "Sea Pearl" noch einmal etwas ganz Besonderes. Die Anse Lazio, die Lazio-Bucht, steht auf dem Programm, offiziell die schönste Bucht der Seychellen. Kokospalmen und Takamaka-Bäume recken sich hier zum Himmelblau empor oder wachsen waagerecht den mächtigen Wellen entgegen; vom kristallklaren Wasser umspülte Granitblöcke malen ihr Ockerrot in den perlweißen Korallensand. Kein Stein, kein Muschelrest, kein Korallenast kneift in die Fußsohlen. Wenn es auf Erden ein Abbild des Paradieses gibt, dann ist es diese Bucht an der Nordküste Praslins.

Zurück an Bord wird der Anker gelichtet und die "Sea Pearl" sticht wieder in See. Kurs: Anse Possession, die Endstation. Kurz bevor wir die Bucht erreichen, werden die Segel eingeholt. Nigel löst die Leine für das Stagsegel von seinem Belegnagel und fiert es langsam ab. Keine Gischt spritzt jetzt mehr an den Bug. Und auch den Regenbogen am Bugspriet gibt's erst wieder auf der nächsten Cruise.

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