Segeltörn mit Kindern Familie Mansholt sucht das Glück
Auf dem grauen T-Shirt steht "Rebel", der Oberarm ist tätowiert, ein hauchdünner Flaum sprießt auf dem blassen Kinn. Daniel Mansholt ist knapp 16 Jahre alt, hat das Zeugnis voller Fünfen und ständig Zoff mit dem Vater. Er ist alles andere als begeistert davon, dass er jetzt mit seinen Eltern und den jüngeren Geschwistern in den Urlaub fahren soll. "Uncool", lautet sein Standardkommentar. Und dann auch noch eine Weltumseglung - "muss ich nicht haben". Gut drei Jahre später: Der junge Mann im grauen Rollkragenpulli hat gerade vor rund 200 Leuten mit seinem Vater Bernd einen Vortrag gehalten. Mit flottem Strich signiert er das Buch über die Weltumseglung mit seinen Eltern und den beiden Geschwistern Mike und Maria, die beim Start fünf und vier Jahre alt waren. Er spricht von seinem bevorstehenden Wehrdienst, und darüber, dass er Bauingenieur werden möchte. Sein Vater, den er "Pa" nennt, ist inzwischen sein bester Vertrauter. "Wenn es Konflikte gab, haben wir drüber geredet. Schließlich konnten wir ja nicht weg - und wir haben uns gebraucht."
Vom Schulverweigerer von einst ist nicht viel übrig geblieben. "Ich habe viele Leute kennen gelernt, die nicht aus ihrem Land herauskamen, weil sie keine Bildung haben. Wer weiß, was gewesen wäre, wenn ich hiergeblieben wäre."
Für diesen Sinneswandel hat Daniel rund 29.483 Seemeilen (etwa 50.000 Kilometer) hinter sich gelassen, 22 Länder bereist, unzählige Fische gefangen, stürmische Meere bezwungen und den Vater bei einer Tropeninfektion gesundgepflegt. Das schweißt zusammen.
Hilfe, es wackelt!
Dabei waren die Mansholts alles andere als erfahrene Segler. Bernd und Susanne betrieben eine Goldschmiede, als sie beschlossen, sich für zwei Jahre den lang gehegten Traum zu erfüllen - mit den Kindern. Dabei hatten sie zunächst nicht mal einen Segelschein und natürlich noch kein Boot. Die "Nis Randers" war das erste und einzige Schiff, das sich die Familie für den Törn anschaute, und es war ihr Begleiter für die nächsten zwei Jahre. "Wir haben mächtig Zweifel gehabt, und dann fing das Ding auch noch an zu wackeln", sagt Bernd heute über die Naivität, mit der die Familie zum ersten Mal in See stach - zunächst testweise auf der Ostsee.
Das zehn Meter lange Stahlschiff hatte die Familie vom Verkauf ihrer Goldschmiede erworben, die Ausstattung verdankte sie dem Erlös ihrer sonstigen Habseligkeiten. Alles, was nicht mit aufs Schiff kam, wurde weggeschmissen oder versilbert. "Wir hatten innerhalb kürzester Zeit 600 Bewertungen bei eBay", sagt Bernd Mansholt. "Unsere Goldschmiedesachen haben wir mitgenommen, weil wir dachten, dass wir vielleicht irgendwo bleiben, wo es uns gefällt", sagt Bernd. Als Flucht aus dem Alltag betrachtete die Familie ihr Projekt nicht. Dafür hat er ihnen eigentlich zu gut gefallen. "Es war ein kontrollierter Ausstieg auf Zeit. Wir wollten ein großes Abenteuer erleben und bekamen schließlich mehr als 750, jeden Tag mindestens eins."
Start für das große Abenteuer war am 4. Juli 2004 im Oldenburger Stadthafen. "Da sind viele Tränen geflossen", sagt Bernd. Daniel hatte schon nach den ersten Seemeilen die Nase voll und ging von Bord. Wenige Tage später war er jedoch wieder da - mit Seesack und Gitarre in der Hand. "Der Reiz, alle Längengrade der Welt mitzuüberqueren, war zu stark", sagt Daniel heute.
Zwar haben sich Bernd und Susanne mit Segelschein, Medizin-Schnellkurs und Funkausbildung vorbereitet, doch schon auf den ersten Seemeilen ihrer Welterkundung machte die Familie schmerzhafte Erfahrungen mit den Naturgewalten und ihrer fehlenden Praxis. Die "Nis Randers" rammte beinahe eine Yacht und riss deren Bugbeleuchtung ab. Auf dem Weg von Helgoland nach Norderney musste die Familie wieder umkehren, weil die Wellen ins Cockpit stiegen.
Schachspiel auf dem Kocher
Von den rund 200 Schiffen, die im November 2004 gemeinsam von Gran Canaria zur Atlantiküberquerung ablegten, war die "Nis Randers" eines der kleinsten. Während der rund dreiwöchigen Überfahrt über den Atlantik verteilte sich das Teilnehmerfeld der ARC (Atlantic Rally for Cruisers) auf dem riesigen Ozean, schon nach wenigen Tagen war kein einziges Schiff mehr in Sichtweite. Der Kampf gegen die Langeweile beherrschte den Tag. Bernd und Susanne spielten Schach, damit die Figuren nicht umkippten, legen sie das Brett auf den kardanisch aufgehängten Kocher.
Auch die Kinder beschäftigten sich - miteinander. "Früher hatten sie sich sehr oft in die Haare gekriegt. Hier haben sie gelernt, miteinander zu spielen", sagt Bernd. Auch wenn tagelang niemand zu sehen war, gab es viele spannende Ereignisse: fliegende Fische, die gegen die Sprayhood donnerten und benommen aufs Deck fielen, Schmetterlinge, die die Familie sogar 3000 Kilometer vom Festland entfernt beobachtete.
Animationsprogramm Meer
Bei den Erzählungen der Mansholts wird deutlich, was das Segeln von anderen Reisen unterscheidet. Das Meer ist das Abenteuer. Winde, Wetterkapriolen und Wellen sind die Animateure, Sternschnuppen, Leuchtalgen und Sonnenuntergänge ersetzen das Showprogramm. Schöne Buchten gab es etliche - "die Ankerplätze kamen uns manchmal zu kitschig vor, um sie zu fotografieren", sagt Daniel Mansholt.
Die Zutaten für das Kapitänsdinner holte die Familie per Schleppangel oder Fischreuse aus dem Wasser - auch hier wuchsen die Mansholts mit ihren Aufgaben. Biss ein Fisch an, dessen Sorte trotz Nachschlagewerk unbekannt blieb, erhielt er einfach Namen wie "Lunch für fünf Personen am Dienstag". Die wenigen Stunden an Land wurden damit verbracht, einzukaufen, das Boot in Ordnung zu bringen, oder den dringend benötigten Schlaf nachzuholen. Und natürlich musste die Webseite mit Neuigkeiten versorgt werden.
Um die Wunder der Unterwasserwelt zu erkunden, hat die Familie das Apnoetauchen für sich entdeckt. Auf ihren Erkundungsausflügen machte die Familie Bekanntschaft mit leuchtenden Mönchsfischen, Haien, Barrakudas und Papageienfischen, die weit hörbar an Korallen knabberten.
Drama im Pazifik
Auf dem Weg von Panama zu den Galapagosinseln kam es ganz dick: Der Wetterempfänger spuckte Starkwindwarnungen aus, die Seewasserpumpe, die den Motor kühlt, schlug Leck, die Dieselpumpe versagte ebenfalls. Mit einer handbetriebenen Lenzpumpe pumpten die Segler stundenlang das Wasser heraus, das in den Motorraum sprudelte. Das Schiff wurde von der Strömung getrieben und war bei hohem Seegang kaum manövrierbar. "Jetzt fehlte nur noch ein Piratenüberfall", sagt Bernd. Tatsächlich waren Seeräuber gar nicht weit weg - noch am gleichen Abend wurde ein Schiff in der Nähe gekapert, wie sich später herausstellte.
Die "Nis Randers" machte Tage später wieder in Panama fest. Und hier endete für Susanne und die kleinen Kinder die Tour. "Es war für uns keine Frage mehr, dass wir die hilflosesten Besatzungsmitglieder nicht in Gefahr bringen wollten." Außerdem verging die Zeit schneller als gedacht, Mike musste zur Schule. In zwei Monaten war ein Wiedersehen in Tahiti geplant - es wurden acht Monate daraus.
Im Rausch der Betelnuss
Einige hundert Tage und Nächte waren Vater und Sohn auf sich allein gestellt, um das Boot durch den Pazifik, den Indischen Ozeans und durch den Suezkanal ins Mittelmeer zu bringen. Die Nahrungsaufnahme und die maximale Tagesstrecke rückten in den Vordergrund, in Schichten wurde geschlafen und gesegelt. An Land standen vor allem Besorgungen an.
In Port Moresby in Papua-Neuguinea kamen die beiden in Kontakt mit der Betelnuss, die überall zum Kauf angeboten wurde und deren ausgespuckte Reste den Boden verzierten. "Alles war voll mit dem rotem Zeug. Wir dachten, das wäre Blut", sagt Daniel. Das rote Fruchtfleisch der Nuss entfaltete in Bernds Mund eine besondere Wirkung: "Auf der Zunge bildete sich ein feuerroter Pelz, die Augen verloren ihren Halt - ich konnte nicht mal mehr gerade laufen."
Die Stunden zu zweit haben die Männer nachhaltig beeinflusst. Um Langeweile und aufkommende Sehnsucht nach dem Rest der Familie zu verdrängen, verschlangen die beiden Bücher, von der Bibel bis zum "Kommunistischen Manifest". Sie lasen und diskutierten darüber. "Wir gingen respektvoll und tolerant miteinander um, und dadurch, dass kein Zeitdruck auf uns lastete, konnten wir uns mit einer Antwort auf eine manchmal provokante Frage leicht auf die nächsten Stunden vertagen. Streit und unterschiedliche Auffassungen gab es zu keiner Zeit, im Gegenteil, der Vater lernte vom Sohn und der Sohn vom Vater", ziehen Bernd und Daniel in ihrem Buch ein Resümee.
Schönste Insel der Welt gefunden
Erst im Mittelmeer wurde aus der Weltumsegelung wieder ein komplettes Familienprojekt. Dort stieg der Rest der Familie wieder zu - die letzte Etappe absolvierten die fünf in den Sommerferien 2006, durch die französischen Kanäle bis zum Rhein zurück in den Oldenburger Hafen. Viel weniger spektakulär als die Abfahrt war der Empfang für die Mansholts. Und in Windeseile begann die Familie damit, das Kapitel Weltumseglung schnell zum Ende zu führen. "Schon am nächsten Tag haben wir begonnen, die 'Nis Randers' auseinanderzunehmen", erzählt Bernd. "Wir wollten sie möglichst schnell wieder verkaufen." Schon wenige Monate eröffnete die Goldschmiede wieder. Der Alltag kehrte zurück, die Eindrücke aus der Reise sind aber noch längst nicht alle verarbeitet.
Maria beklagt sich jeden Abend, dass sie das Schaukeln der Koje vermisst. Mike, ein eher stiller Junge, ist ein bisschen traurig, dass er nicht die ganze Reise mitgemacht hat. Bei der Frage, ob er denn auch mal Angst hatte während der Stürme und der unruhigen Tage auf hoher See, blicken die grünen Augen beleidigt unter den roten Augenbrauen hervor: "Nie."
Bernd und Susanne sind immer noch dabei, sich wieder einzuleben und sind glücklich, wieder in der Heimat zu sein. "Wir sind gestartet, um die schönste Insel der Welt zu finden - nun wissen wir, dass diese Insel dort ist, wo unsere Freunde sind und wo unsere Familie ist", sagen sie überzeugt. Heute sind es die Ziele vor der Haustür, in denen Bernd Mansholt die Schönheiten der Natur und das Abenteuer findet: "Zwei Tage mit dem Kajak auf der Hunte, eine Fahrt mit dem Auto ins Tecklenburger Land - so kann die schönste Insel der Welt eben auch aussehen."