
Sierra Leone: Reiseland für Entdecker
Sierra Leone für Entdecker "Touristen wollen Tänze sehen"
Freetown - "Touristen wollen Tänze sehen", erklärt die Frau vom Fremdenverkehrsbüro dem Dorfältesten. 10 bis 15 Dollar könnte das pro Besucher der Gemeinde einbringen. Sengbeh Sannoh lächelt. Natürlich, Besucher seien immer willkommen, sagt er. Er scheint nicht zu verstehen, was diese Frau aus der Stadt eigentlich von ihm will. "Mögen wir uns bei bester Gesundheit wiedersehen. Dann werde ich für euch tanzen", sagt er zum Abschied und humpelt davon.
Bisher sind noch nie Touristen nach Jene gekommen, in das kleine Dorf am Fluss Moa mitten in Sierra Leone. Doch das soll sich ändern. Gegenüber, auf Tiwai Island, leben seltene Zwergflusspferde, Rote Stummelaffen hangeln sich durch die Tropenbäume.
Geht es nach dem Tourismusministerium, wird die zwölf Quadratkilometer große Insel in den kommenden Jahren ein Zentrum für nachhaltigen Tourismus. Um herauszufinden, wie man mit den acht Dörfern an den Grenzen des Reservats zusammenarbeiten könnte, spricht die Regierung mit Männern wie Sengbeh Sannoh.
Auf Tiwai selbst gibt es allerdings noch kaum Infrastruktur. Besucher schlafen in feuchten Zelten unter offenen Wellblechhütten. Nachts pladdert Gewitterregen auf das Dach, dafür fließt tagsüber kein Wasser aus den Duschköpfen. Die Solaranlage funktioniert nicht, abends verschluckt Finsternis die Insel. Das Pilotprojekt Tiwai zeigt: Die Erwartungen an den Tourismus sind in Sierra Leone ebenso groß wie die Hindernisse.
Die meisten Europäer verbinden mit dem westafrikanischen Staat ohnehin noch kein Reiseland, sondern den Film "Blood Diamond" mit Leonardo DiCaprio, der vom grausamen Bürgerkrieg erzählt. Die Revolutionary United Front (RUF) kämpfte gegen die wechselnden Regierungen des Landes, unterstützt vom liberianischen Warlord Charles Taylor, der es auf Diamanten abgesehen hatte.
Sierra Leone erschien damals als afrikanisches Schreckgespenst schlechthin: Kindersoldaten, Blutdiamanten, Massaker, Anarchie und Gewalt. Ein Image, das nur schwer zu verändern ist, obwohl das Land seit mehr als zehn Jahren befriedet ist. Dabei gilt es als Musterbeispiel für Konfliktbewältigung und Aussöhnung. Viele Menschen sind zwar traumatisiert, aber nicht untereinander verfeindet.
Leere Postkartenkulisse
Sierra Leone lebt auch heute vor allem von den Rohstoffen, die es exportiert. Doch davon hat die arme Bevölkerung kaum etwas. Eine Alternative zum Bergbau könnte der Tourismus sein, den viele als große Chance sehen, fast schon als Heilsbringer. Die Frage ist nur: Profitieren davon wieder nur ausländische Investoren? Oder kommt das Geld der Urlauber auch der Bevölkerung zugute? Sierra Leone steht am Scheideweg.
Eines lässt sich schon heute sagen: Der Kampf um die Touristen wird nicht auf Tiwai entschieden, sondern an den Stränden des Landes. Auf der Freetown Peninsula reiht sich Bucht an Bucht. Der weiße Sand ist so fein, dass er unter den Füßen quietscht. Die Palmen wachsen schief, das Meerwasser ist warm und klar. Im Hinterland erheben sich bewaldete Hänge. Sierra Leone wird manchmal "Karibik Afrikas" genannt. Schon vor dem Krieg waren es die Badestrände, die Touristen aus dem Westen in die ehemalige britische Kolonie lockten.
Wer die Halbinsel entlangfährt, kann an den wenigen Hotels und Resorts ablesen, in welche Richtung sich der Tourismus entwickeln könnte. Am Tokeh Beach, der noch ein kleines bisschen perfekter wirkt als die anderen Strände, haben libanesische Geschäftsleute einen Bungalowkomplex hochgezogen. Für etwa 25 Millionen Dollar, erzählt man sich. Unmittelbar vor dem Tor zur Ferienanlage stehen Wellblechhütten.
Aber da sind auch die kleinen Ökolodges, die sich einer nachhaltigen Entwicklung verschrieben haben. Die Herberge am John Obey Beach ist an ein Dorf angeschlossen, elf der Bewohner arbeiten fest in dem Backpacker-Camp mit. Sie lernen Englisch, wie man Müll trennt und mit einem bestimmten Budget haushaltet. Ein Schild klärt auf über den CO2-Fußabdruck jedes Mitarbeiters - die Ambitionen sind groß.
In der Lodge am River No. 2 bekommen die Mitarbeiter der Community kein festes Gehalt, sondern einen Anreiz: 30 Prozent der Einnahmen fließen in einen Fonds für die Dorfentwicklung, 30 Prozent sind für Fixkosten, und 40 Prozent teilen sich die Mitarbeiter. "Am Ende der Woche geht jeder mit etwas Geld in der Tasche nach Hause", sagt Touristenführer Daniel Macauley zufrieden. Doch am Strand sitzt niemand, von den hölzernen Sitzmöbeln platzt Farbe ab.
Nur mit Beteiligung der Menschen
So wartet man überall auf der Peninsula darauf, dass Urlauber die leere Postkartenkulisse mit Leben füllen. Aber das Land hat vor allem zwei Probleme: schlechte Infrastruktur und zu hohe Preise. Die Straße aus Freetown zu den Bilderbuchstränden ist so zerfurcht, dass der Geländewagen tief in Pfützen eintaucht. Und weil Hilfsorganisationen und Unternehmen fast jeden Hotelpreis zahlen, kostet eine hölzerne Hütte ohne Strom bis zu 45 Euro pro Nacht.
Joseph Pierce schaut dennoch optimistisch in die Zukunft. "Ich glaube, ich kann in Sierra Leone zu etwas Bedeutendem beitragen", sagt der 31-jährige Brite. Er führt ein Resort am Tokeh Beach, zusammen mit einem Libanesen, dessen Familie das Areal vor dem Krieg gehörte.
Zwischen den Palmen stehen noch die Ruinen aus der Zeit, als etwa der spätere französische Präsident Jacques Chirac hierher kam. 600 Betten hatte die Anlage und einen Hubschrauberlandeplatz. Die verfallenen Häuser sehen aus wie ein Piratenversteck. Die neuen Bungalows sind bald fertig, dann könnten mehr Gäste kommen.
Pierce beteiligt die Dorfbewohner aus der Umgebung an seinem Projekt. "Als ich kam, hatten viele eine Mauer um sich herum aufgebaut. Ich habe alles eingerissen", sagt er. Die Mitarbeiter des Resorts müssten selbst ein Interesse daran haben, etwas aufzubauen. Anders sei das nicht zu schaffen: "Dieses Land frisst dich auf und spuckt dich wieder aus, wenn du nicht wirklich mit den Leuten zusammenarbeitest."
Es sei die Mentalität der Sierra Leoner, die ihre Zukunft bestimme, sagt Pierce. Das macht Hoffnung: Vor allem in den Dörfern sind die Menschen freundlich und aufgeschlossen, ohne damit gleich ein Geschäft anregen zu wollen. Gewalt gibt es so gut wie keine. "In London habe ich mehr Angst", sagt der junge Brite und schaut aufs Meer.
Die Sonne versinkt im Ozean, Kellner servieren fangfrische Krebse. Manch einem käme hier das Wort "Paradies" über die Lippen. Pierce ist nicht euphorisch. "Am meisten fürchte ich Stillstand."
Information zu Sierra Leone
Mehrere Airlines fliegen die Hauptstadt Freetown von Sierra Leone mit einem Zwischenstopp von Deutschland aus an. Deutsche Urlauber brauchen für die Einreise ein Visum, das vor der Reise bei der Botschaft von Sierra Leone in Berlin beantragt werden muss. Die beste Reisezeit ist die Trockenzeit von Oktober bis März, das Klima in Westafrika ist tropisch feucht. US-Dollar und Euro werden ohne Probleme getauscht, Kreditkarten dagegen fast nirgendwo akzeptiert.