

Es ist mitten in der Nacht - und trotzdem ist auf den Straßen in Tlaquepaque, einem Vorort von Guadalajara, buchstäblich die Hölle los. Geschminkte Kinder hüpfen mit Totenköpfen aus Marzipan und Zuckerguss vor uns herum. Und gerade ist der Catrina-Umzug an uns vorbeigezogen, für den sich Frauen und Mädchen als Skelette verkleidet haben.
Jetzt, in der Nacht, treffen sich die Familien auf Friedhöfen, um ihren Verstorbenen Geschenke zu bringen, gemeinsam mit ihnen zu essen und Musik zu hören. Schließlich besagen die Legenden, dass die Toten alles genießen können, was sie zu Lebzeiten gerne mochten.
Diesen Ansatz finde ich sehr tröstlich und schön. Ich kann mir gut vorstellen, mit meinen Eltern am Grab meines Großvaters zu sitzen, dort sein Lieblingsgericht, Handkäs mit Musik, zu essen und einen Äppelwoi auf ihn zu trinken. So etwas in die Tat umzusetzen, mutet mir allerdings unvorstellbar an. Warum eigentlich?
In Mexiko werden zum Día de los Muertos, dem Tag der Toten, in den Wohnungen und auf der Straße Ofrendas aufgebaut: bunte Altäre mit Porträts von Verstorbenen. Sie sind geschmückt mit gelben Ringelblumen und bestückt mit allem, was die Toten im Jenseits vermissen könnten. Auch eine Flasche vom Agavenschnaps Mezcal steht meist dort, außerdem allerlei Süßes und das Totenbrot Pan de Muertos.
Die Auseinandersetzung mit dem Tod findet in Mittelamerika auf der Straße statt und ist damit so offensiv, dass sie mich erst mal befremdet. Zu realistisch sind die Bilder der Verstorbenen, zu sehr erinnern sie mich an Dinge, die ich eigentlich lieber verdränge.
In unserer Gesellschaft passt die Trauer nicht in den Alltag, in dem wir funktionieren müssen. Der mexikanische Tag der Toten holt das Sterben ins Leben. Würde so ein offener Umgang mit der eigenen Vergänglichkeit auch in Deutschland funktionieren?
Anders als bei uns gedenkt man der Toten in Tlaquepaque nicht in aller Stille, sondern feiert sie lautstark - und gleichzeitig das Leben. An beinahe jeder Ecke steht eine Mariachi-Band und spielt diese wunderbare Musik, die gleichzeitig traurig und fröhlich ist. Zu den Klängen tanzen die Mexikaner bis tief in die Nacht.
Es ist ein melancholisches, gleichzeitig auch ein lebensbejahendes Fest - was man sich kaum vorstellen kann, wenn man das Treiben nicht selbst gesehen hat. Vielleicht passt dieses Widersprüchliche in Wahrheit viel besser zum Tod eines geliebten Menschen. Schließlich kann die Erinnerung an schöne Erlebnisse mit ihnen ja auch dazu beitragen, das persönliche Leid der Trauer zu lindern.
Und ist es nicht auch sinnvoller, dem Tod mit Kraft und auf Augenhöhe zu begegnen, da er doch eh unausweichlich ist?
Der Tod gehört zum Leben dazu wie die Geburt. Diesen Satz habe ich oft gehört. Meistens auf Beerdigungen. In Deutschland kam er mir meist vor wie eine leere Phrase, in Mexiko verstehe ich ihn plötzlich. Menschen aus Fleisch und Blut kostümieren sich wie Skelette, Kinder spielen mit Totenköpfen - eine ganze Gesellschaft umarmt so den Tod. So wird er leichter zu ertragen. Jedenfalls kommt mir das so vor, während ich dem Treiben um mich herum zusehe.
Der Día de los Muertos bietet die Möglichkeit, sich gemeinsam mit Familie und Freunden an die Verstorbenen zu erinnern. Und zwar so, wie sie im Leben waren, mit all ihren Fehlern, ihren Vorlieben, ihrem Lieblingsessen. Und vielleicht auch mit ihrem Lieblingsschnaps.
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Día de los Muertos in Mexiko-Stadt: Die Toten werden an mehreren Tagen vor Allerseelen fröhlich gefeiert.
Die Feierlichkeiten haben Ende Oktober begonnen. Hier haben sich Teilnehmer einer Parade in Mexiko-Stadt unter dem Motto "Spectre", dem aktuellen James-Bond-Film, verkleidet.
"La Catrina" ist der Hauptcharakter des Tags der Toten - sie ist eine weibliche Skelettskulptur. Viele Frauen machen daher auf Knochengerüst.
Das Lachen des Todes: Während des Festes wird den Verstorbenen gedacht - allerdings nicht leise und gedämpft, sondern laut und lustig.
Zum Catrina-Fest in Mexiko-Stadt kamen über 300 verkleidete Frauen zusammen.
Catrina und der Tod: Der Tag der Toten ist Unesco-geschützt und ein "Meisterwerk des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit".
Parade in Mexiko-Stadt: Nach dem Glauben der Mexikaner kommen die Toten einmal im Jahr zu Besuch aus dem Jenseits.
Wilde Masken: Das Wiedersehen mit den verstorbenen Verwandten wird mit viel Musik, viel Essen und Tanz gefeiert.
Feierlichkeiten in Mérida: Der Día de los Muertos wurde einst von spanischen Missionaren mit den christlichen Festen Allerheiligen und Allerseelen zusammengelegt.
Die Jungfrau Maria und ein Altar in Nahuizalco: Das einst altmexikanische und die christlichen Feste werden seitdem zusammen gefeiert.
Geiger in Ciudad Juárez: Allerorten ertönt die mexikanische Mariachi-Musik.
Friedhof von Metepec: Nachts besuchen Familien die Gräber ihrer Vorfahren und feiern sie.
Altäre für die Vorfahren: Nicht nur auf den Friedhöfen, auch auf den Straßen wird in Mexiko der Toten gedacht.
Friedhof von Metepec: "Ist es nicht auch sinnvoller, dem Tod mit Kraft und auf Augenhöhe zu begegnen, da er doch eh unausweichlich ist?", fragt sich die Autorin Eva Horn.
"Ich kann mir gut vorstellen, mit meinen Eltern am Grab meines Großvaters zu sitzen, dort sein Lieblingsgericht, Handkäs mit Musik, zu essen und einen Äppelwoi auf ihn zu trinken", schreibt Evan Horn. Das umzusetzen scheint ihr aber unvorstellbar.
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