
Tapati-Festival: Olympia à la Osterinsel
Tapati-Fest auf der Osterinsel Vogelmann im Schleudergang
Der Körper des Mannes im knappen Lendenschurz ist angespannt, doch das Gesicht des Kämpfers verrät keine Regung. Er blickt den Abhang hinunter. Der stürmische Nordostwind treibt dunkle Wolkenschatten über das Grasland. Vom Kraterrand des Maunga Pu'i kann er seine Augen weit über die fast baumlose Osterinsel auf den Ozean richten.
Von unten, wo Hunderte Schaulustige stehen, wirkt er wie ein kleiner Punkt auf der Kuppe des erloschenen, mit Steppengras überwucherten Vulkans. Dort haben sich Schaulustige versammelt, um die Hopu Manu anzufeuern, so nennen sie hier ihre Athleten.
Sechs Inselbewohner kämpfen um den Titel des Tangata Manu: des ungekrönten Königs des abgeschiedensten Fleckens der Welt, auf dem Menschen leben. Bis zum nächsten Stück Land, der Pitcairn-Insel in westlicher Richtung, sind es von der Osterinsel aus 2200 Kilometer, bis zur chilenischen Hauptstadt Santiago gen Osten fast fünf Flugstunden.
Sechs Männer treten beim zweiwöchigen Tapati-Festival gegeneinander an. Das ist keine Touristenshow, sondern ein Fest der Insulaner. Sie berufen sich auf den Vogelmann-Kult, die Gottheiten ihrer Ahnen, und feiern gemeinsam ihre jahrhundertealte Kultur. Nur einige wenige Touristen aus aller Welt sind extra dafür in den Pazifik gereist. An diesem Nachmittag stürzen sich die Hopu Manu mit selbstgebauten Schlitten aus den glatten Stämmen von Bananenstauden den Hang des Maunga Pu'i hinab. Nicht selten kommt es dabei zu lebensgefährlichen Stürzen.
Gefährliche Abfahrt auf dem Baumstamm
Jetzt hat der erste Athlet auf seinem Bananengefährt Platz genommen. Männer mit erdfarben bemalten Oberkörpern schieben ihn an. Die Menge im Zieleinlauf und längs der Strecke jubelt, als der Hopu Manu an Fahrt gewinnt. Er prescht in einer abenteuerlichen Geschwindigkeit den Abhang hinunter, wirbelt Staub und Steppengras in die Luft. Er federt weit unten mit hoch erhobenen Beinen über eine Bodenwelle und kommt Sekunden später zum Stehen. Am Fuß des Berges wird es laut. Die Menge jubelt und klatscht Beifall.
Schon steht oben der nächste Fahrer bereit - von der Stirn bis zur Ferse mit weißen Mustern bemalt. An seinem Kopf steckt eine lange Feder. Sanft gleitet er die ersten Meter des Berges hinab. Es scheint, als duckten sich Schlitten und Fahrer auf Grashöhe, als fügten sie sich harmonisch in die Landschaft ein. Doch diese Fahrt nimmt kein schönes Ende. Auf halber Strecke hoppelt der Schlitten über eine kleine Erhebung und wird wie von einer Sprungschanze in die Luft katapultiert. Zwei weitere Hügel folgen, jedes Mal hebt das Gefährt für einige Augenblicke ab. Die spektakuläre Flugeinlage wird vom Publikum johlend gefeiert.
Der Athlet aber verliert nun endgültig die Kontrolle, er überschlägt sich mehrfach und bleibt dann reglos im Gras liegen. Der Schlitten rutscht führerlos ins Ziel, ein Reiter zieht ihn an der Menge vorbei. Dann fährt ein Krankenwagen vor, ein Fremdkörper in diesem sonst so urtümlichen Spektakel. Eine Gruppe junger Männer trägt den Gestürzten auf einer Trage vom Hang.
Im Ziel steht der ganz vorsichtig auf, humpelt mühsam alleine weiter und wird frenetisch gefeiert. Später verbreitet sich das Gerücht, er habe sich nur das Handgelenk gebrochen. Wer den Sturz gesehen hat, kann das kaum glauben.
Sportidol im Lendenschurz
Noch ein paar Minuten herrscht Stille, dann blickt die Menge wieder hinauf zum Hang. Die Show muss weitergehen. Oben bringt sich Tu'umaheke in Position, der vielleicht berühmteste Sportler der Insel. 14 Mal hat er den traditionellen Inseltriathlon zu Beginn des Tapati-Festes gewonnen: Wettlauf im Vulkankrater mit zentnerschweren Bananenstauden auf den Schultern, ein Kanurennen auf dem Kratersee, schließlich Wettschwimmen.
Doch es ist sein erstes Haka Pae - so nennen die Inselbewohner die Fahrt mit den Bananenschlitten. Als Tu'umaheke an der Reihe ist, brandet wieder Jubel auf. Der Liebling vieler Insulaner wählt die richtige Spurrille und kommt wohlbehalten an.
"Ich habe sonst nie Angst, aber das hier ist etwas anderes", sagt Tu'umaheke im Ziel. Der durchtrainierte 37-Jährige hat buschige Augenbrauen und trägt die langen schwarzen Haare zu einem Zopf geflochten. Er arbeitet als Ranger im Nationalpark Rapa Nui, wo jedes Jahr Zehntausende Touristen die Moai-Statuen bewundern, die in Stein gehauenen Symbole der Osterinsel.
In diesem Jahr kehrt das Fest zu seinen Wurzeln zurück. Bis 2012 sammelten die Kontrahenten Punkte, um anschließend eine Dame ihrer Wahl zur Inselkönigin zu küren. Nun geht es zwischen den sechs Kontrahenten erstmals seit mehr als 150 Jahren wieder offiziell um den Titel des Tangata Manu, des obersten Vogelmannes und damit um die Ehre ihrer Clans.
Eine Jungfrau als Belohnung
Einst lieferten sich junge Krieger dafür einen Wettstreit um das erste Ei der Rußseeschwalbe, das sie von den steilen Klippen einer vorgelagerten Insel unbeschadet an Land bringen mussten. Ihr Lohn für den gefährlichen Parcours durch den für Brandung und Haie gefürchteten Küstenabschnitt war eine Jungfrau, die monatelang in einer dunklen Höhle auf die Heirat mit dem Eierdieb wartete.
Kevin Costner setzte diesem Kampf auf Leben und Tod in seinem Film Rapa Nui ein Denkmal. Die Pazifik-Bewohner sind stolz auf den Hollywoodstreifen, er läuft mehrfach wöchentlich im Inselkino.
Auch wenn Costner den Niedergang der Insel arg rafft und mehrere Jahrhunderte in wenige Jahre zusammenlegt: Ihre Traditionen finden die Menschen darin wieder. Angesichts der Globalisierung, die seit einigen Jahren auch das einstmals verschlafene Pazifik-Eiland erreicht hat, wird deren Pflege umso wichtiger. "Das Tapati-Fest trägt viel zum Erhalt der Inselkultur bei", sagt Tu'umaheke. Am letzten Wettkampftag liegt der Ausnahmesportler mit großem Abstand in Führung. "Früher sind viele gestorben, als man noch durch das Meer voller Haie schwimmen musste. Heute ist das alles viel weniger gefährlich - aber für uns Rapa Nui dennoch von großer Bedeutung."
Tatsächlich messen sich nicht nur die sechs starken Männer. Fast alle 5000 Inselbewohner sind beim Festival auf den Beinen. Der größte Kürbis und die dickste Ananas werden prämiert, Inselschönheiten buhlen mit ihren selbst geflochtenen Blumenkränzen um die Gunst einer Jury, Rapper treten bei Mondschein und Ukulelensound gegeneinander an. Tagsüber kämpfen die Hopu Manu beim Bambusfloß-Surfen im Lendenschurz, abends präsentieren die Damen der Insel auf der Strandbühne im Hauptort Hanga Roa erotische Tänze im Federkostüm.
Muskelmann Tu'umaheke hofft, dass die Insel Traditionen wie das Festival bewahren wird: "Es ist mir wichtig, unseren Jugendlichen die Kultur zu vermitteln. Dann glaube ich nicht, dass sich das verliert." Der Vater von drei Kindern tritt selbst als Botschafter seiner Heimat auf: Er reiste als Repräsentant der Insel nach Tahiti, Brasilien, Argentinien, Kalifornien und Neuseeland. Wirklich lange fortbleiben kann er aber nicht: "Wenn ich nur eine Woche weg bin, habe ich schon Heimweh. Dann ruft die Insel mich wieder."