
Tauchen in Oman: Ein maritimes Wunschkonzert
Tauchen in Oman Fischsuppe mit Waleinlage
Jetzt will er wohl spielen. Seine Version von "Hase und Igel": Wo der eine hinkommt, ist der andere schon wieder weg. Der Hase, das ist in diesem Fall ein Schlauchboot mit fünf aufgeregten Schnorchlern an Bord; der Igel, das ist ein ausgewachsener Buckelwal, rund 15 Meter lang und über 25 Tonnen schwer. Alle sieben bis zehn Minuten taucht er in der al-Sawda-Bucht auf, lässt das Schlauchboot dicht an sich herankommen und verschwindet, sobald sich die Schnorchler vorsichtig zu ihm ins Wasser gleiten lassen - nur, um dasselbe Spiel 200 Meter entfernt zu wiederholen.
Nach einer guten Stunde beginnt die Sonne auf den fünf Gesichtern zu brennen, der Magen knurrt und die ersten wollen die erfolglose Jagd auf den Wal schon gegen das Mittagessen eintauschen, welches an Bord des Tauchkreuzfahrtschiffs auf sie wartet. "Der will halt nicht", meint einer aus der Gruppe, "und ich hab verdammt noch mal Hunger!" Dann bläst der Wal wieder, so, als wollte er die von der Sonne Verbrannten davon überzeugen, dass jetzt er wichtig sei, nicht ein Buffet aus Nudeln, Salat und arabischem Fleischeintopf. Wieder rein ins Wasser, wieder in Richtung des mächtigen Buckels flösseln.
Die Blicke der Schnorchler durchstreifen das grünlich schimmernde Wasser nach dem Schatten des Wals und enden erneut im Nichts. Eine Minute vergeht, eine zweite, dann kommt er endlich - und er kommt ganz gewaltig, dieser Berg aus Fleisch, Fett und Muskeln. Es gibt nicht viel auf der Welt, was sich mit einer Begegnung mit einem Buckelwal vergleichen lässt, der wie ein U-Bahn-Zug auf einen zuschießt - und noch weniger, was mehr Respekt einflößt.
Fünf Meter vor der Gruppe hat der Wal dann ein Erbarmen und dreht ab. Er legt sich auf die Seite, zieht langsam vorbei und hebt dabei vorsichtig seine große Brustflosse über die Köpfe der Schnorchler hinweg, um sie dahinter wieder sanft ins Wasser gleiten zu lassen: Die Zärtlichkeit eines Giganten, dem scheinbar bewusst ist, wie verletzlich und hilflos diese vor ihm wuselnden Gestalten doch sind.
Danach ist es, als hätte es die anfängliche Scheu nie gegeben. Eine knappe Stunde umkreist der Buckelwal die vor Freude schreienden Schnorchler, lässt sich berühren, bewundern und Hunderte Male auf die Speicherchips der Kameras bannen. Aus zwei Meter Entfernung ist die Atemluft des Wals, der Blas, ein muffig riechender Donnerschlag, der allein durch seine Lautstärke zur Vorsicht mahnt, vor allem vor der Schwanzflosse: Die Fluke, ein Antrieb, der 25.000 Kilo Lebendgewicht meterweit aus dem Wasser katapultieren kann, ist auch zärtlich geschlagen noch etwas, vor dem sich 80 Kilogramm Mensch in Acht nehmen sollte.
Nahrung im Überfluss
Der spielfreudige Wal gehört einer Population an, die einzigartig unter den Buckelwalen ist. "Nirgendwo sonst", sagt Barney Seier, "gibt es meines Wissens nach eine andere Gruppe von Buckelwalen, die das ganze Jahr über standorttreu sind." Seier ist Meeresbiologe und arbeitet an Bord der "Saman Explorer ", dem einzigen Tauchkreuzfahrtschiff, das in diesem Teil des Arabischen Meeres operieren darf.
"Auf unseren Touren beobachten wir regelmäßig Wale und geben jede Sichtung an Robert Baldwin weiter, der im Auftrag der omanischen Regierung die Säugetiere erforscht", erklärt Seier. Baldwin glaube sogar, dass es sich bei der Population vor den Hallaniyat-Inseln um eine eigenständige Art handelt, die seit Jahrtausenden keinen Kontakt mehr mit anderen Buckelwalen hat; eine These, die sich bislang jedoch nicht belegen ließ.
Warum die Buckelwale hier nicht wie ihre anderen Artgenossen auf Wanderschaft gehen, liegt für den Meeresbiologen Seier jedoch auf der Hand. Die omanischen Gewässer zählen zu den fischreichsten der Welt, hier gibt es für die Großsäuger Nahrung im Überfluss. Dazu kommen die subtropischen Meerestemperaturen, die das ganze Jahr über zwischen 21 und 28 Grad Celsius pendeln - die ansonsten übliche Wanderschaft zwischen arktischen Gewässern zur Nahrungsaufnahme und warmen Gewässern als Kinderstube für den Nachwuchs ist hier einfach nicht nötig.
Was für Wale jedoch der Himmel ist, ist für Fotografen die Hölle: Ein Gewässer voller Fischschwärme, die man nie in ihrer Gesamtheit fotografiert bekommt - der Bildausschnitt wird auf natürliche Weise von den Sichtweiten begrenzt. Mit Glück sind es gut 15 Meter, meistens nur um die zwölf und in den extrem planktonreichen Zonen, in denen Mantas und andere große Filtrierer toben, müssen fünf bis sieben genügen: Das ist dann grünlich schimmerndes Ostseetauchen unter arabischer Sonne.
Die Biomasse aus Einzellern und Larven, so schätzt Seier, ist in diesem Teil des Arabischen Meeres zehnmal höher als im Roten Meer - und auf dieser Grundlage wird die komplette Nahrungskette aufgebaut.
Mantas als Schwarmfische
Neun Stunden dauert die Fahrt mit der "Saman Explorer" vom Hafen in Mirbat zu den Hallaniyat-Inseln, wo die Taucher erleben können, wie sich eine große Biomasse auf das Fischleben auswirkt: Riesige Schwärme von Süsslippen, Makrelen, Wimpelfischen und Füsilieren ziehen über Felsformationen hinweg, auf denen bis zu zwei Meter lange Zackenbarsche ruhen. Daneben stehen Hunderte von Barrakudas zu einem Ball gedrängt beisammen, während Schildkröten, Stachelrochen und Mobulas vorübergleiten.
Aus jeder zweiten Spalte blickt eine Muräne heraus, Mantas gehören an manchen Stellen fast zu den Schwarmfischen - oftmals kommt man sich während eines Tauchgangs vor wie in einem riesigen, maritimen Wunschkonzert.
Hier gibt es keine Korallenbleiche, keinen Massentourismus, keine Fischarmut. "Noch ist Oman ein fast weißer Fleck auf der Taucherlandkarte", sagt Barney Seier - und es klingt fast, als hoffe er, dass dies auch noch lange so bleibt. Erst im Oktober 2011 fand die erste kommerzielle Ausfahrt zu der Inselgruppe statt, noch ist fast jeder Tauchgang dort ein Entdeckungstauchgang. Nicht nur für die Taucher, sondern auch für die Fische, die sich den blubbernden Wesen in ihren Neoprenanzügen fast ohne Scheu nähern.
Unter Wasser, zwischen dem eigentümlichen Bewuchs aus Kelp und Hartkorallen, lohnt es sich trotz des Fischreichtums, ab und zu die Augen zu schließen und sich nur auf das Hören zu konzentrieren. Manches Mal kann man sie dann singen hören, die Wale. Bis zu 190 Dezibel kann ihr Gesang erreichen; er umfasst laut einer Untersuchung der University of Queensland bis zu 622 Töne. Und einer davon, da sind sich die Fünf aus dem Schlauchboot ganz sicher, ist nur für Hase und Igel bestimmt.