Taxifahrt im Solarmobil "Ich sehe rabenschwarz für den Klimaschutz"
Der Botschafter der Sonnenkraft fährt ein kleines, krötenartiges Mobil. Geschickt lenkt Louis Palmer, 36, sein zweiteiliges Solartaxi auf den Parkplatz vor den Hamburger Landungsbrücken und stemmt sich aus dem niedrigen Sitz. Die Sonne strahlt über der Elbe und dem Hafen, glitzert auf den Solarzellen des flachen Anhängers und auf der weiß-blauen, mit Sponsoren-Aufklebern verklebten Außenhaut des E-Mobils.
SPIEGEL ONLINE: Heute sind es 0 Grad Celsius in Hamburg, Sie sind im Solartaxi seitlich nur mit Plastikplanen geschützt. Sehr kalt?
Palmer: Ach, es geht, es lässt sich sogar ganz gut schließen. Ich habe Kapuze, Jacke, Mütze, Handschuhe und dicke Schuhe an.
SPIEGEL ONLINE: Keine Sitzheizung?
Palmer: Äh. ( Er grübelt) Doch! Gute Idee! Natürlich habe ich eine! Nur habe ich sie noch nicht angeschlossen. Vorhin haben wir noch versucht einen Heizlüfter in Gang zu kriegen, den wir für 20 Euro gekauft haben. Der hat aber einen französischen Stecker, das Solartaxi Schweizer Steckdosen. Außerdem frisst er mir mit seinen 1000 Watt eigentlich die Batterie leer. Die Kälte ist schlimmer als die Wüstenhitze in Saudi-Arabien.
SPIEGEL ONLINE: Gemütlich hört sich das nicht an. Warum diese Qualen? Ihre Botschaft in drei Sätzen?
Palmer:
- Wir haben die Energiekrise und als größte Herausforderung der Menschheit die globale Erwärmung.
- Gleichzeitig haben wir die Lösungen wie Sonnenenergie und Elektroautos, die aber total ignoriert werden und als Technologie im Gegensatz zu Kohle und Atomenergie stiefmütterlich behandelt werden.
- Da muss man was tun!
SPIEGEL ONLINE: In einem Satz?
Palmer: The world is full of solutions - es wimmelt in der Welt vor Lösungen. Jeder weiß, wie man die Welt besser machen kann. Aber wir haben uns entschieden, Lemminge zu sein.
Ein Radfahrer auf dem Landungsbrücken-Parkplatz kurvt um das Solartaxi herum und meckert: Der Radweg sei verstellt! Wir wollen schnell von dem hektischen Hamburger Touristen-Spot verschwinden. Ich beuge mich zu dem niedrigen E-Auto hinunter, schlängele meine Beine unter die Armatur und lasse mich in den gut gepolsterten Fahrersitz fallen.
Das soll ein Auto sein? Zugestanden, es ist ein Prototyp. Und es hat schon 50.400 Kilometer Straße in aller Welt hinter sich. Aber das Gefährt hat eher Ähnlichkeit mit einem Rennwagen im Rohbau: Ich liege eher, als dass ich sitze. Das Lenkrad ist kein Rad, sondern eine Gabel - mit drei Hupknöpfen für drei verschiedene Signale, inzwischen etwas verstopft. Über meinem Kopf Alustreben und ein angeschraubtes Radio. Auf zwei Displays lassen sich Motordaten und Batteriestatus ablesen. Die Windschutzscheibe liegt weit vor mir, auf der Frontablage wartet ein Regenschirm auf seinen Einsatz.
Palmer: Seit Frankreich hatten wir nur Regen! Heute ist der erste Sonnentag.
Aus meinem Rennfahrerinneneinsatz in einem E-Mobil wird nichts. Für Menschen unter 1,60 Meter ist der Prototyp nicht gebaut, und anders als die Lenkgabel, die einfach zwischen den Fahrersitzen hin und her zu schieben ist, lassen sich Sitz, Gas- und Bremspedale nicht verstellen. Palmer übernimmt, startet und fährt mit rund 60 km/h zügig an der Elbe entlang. Leise ist das Elektroauto nicht. Es rattert, quietscht, schubbert, liegt aber gut auf der Straße. Die Rundumsicht ist eingeschränkt - Solartaxi-Fahren hat wohl viel mit Gottvertrauen zu tun.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben immer wieder auch Gästen das Steuer überlassen. Haben Sie nie Angst um Ihr 250.000-Euro-Gefährt gehabt?
Palmer: Am Anfang nicht. Da war aber eine Journalistin in Dubai, die nicht wusste, wie man lenkt. Und als ich rübergreifen musste, um sie zu korrigieren, hat sie sich am Lenkrad verkrampft. Ich musste bei Vollgas fast das Lenkrad abbrechen, damit wir nicht gegen die Wand fuhren. Dagegen ist Elvitsa in Sofia super gefahren.
SPIEGEL ONLINE: Noch eine Kamikaze-Fahrerin?
Palmer: Elvitsa fuhr mit einem Affenzahn durch die bulgarische Hauptstadt, kurvte wie wild zwischen den Bussen durch. Ich habe gestaunt! Als sie ausgestiegen ist, freute sie sich und sagte: "Jetzt kann ich allen erzählen: Das erste Auto, das ich in meinem Leben gefahren bin, war ein Solarauto!" Ich war geschockt. Seitdem bin ich etwas vorsichtiger.
Das Solartaxi wird auf der Elbchaussee überholt und fast an Rand gedrängt, aus dem Beifahrerfenster staunen ungläubige Gesichter auf uns hinunter.
SPIEGEL ONLINE: Staatsoberhäupter, Schauspieler und Nobelpreisträger haben sich von Ihnen kutschieren lassen. Welcher Taxi-Job war am beeindruckendsten?
Palmer: Meine Taxifahrt in New York. Erst zu einem Privathaus an der East Side, dann quer durch Manhattan, bis zum Uno-Hauptquartier: Mein Gast war Ban Ki Moon, der Uno-Generalsekretär. Vor uns zwei Security-Limousinen, hinter uns ein gepanzerter Geländewagen. Und dann stellt er sich nach der Fahrt hin und verkündet: "Wir müssen kreative Lösungen finden" - und das wurde weltweit übertragen!
Am Ziel angekommen, fädele ich mich aus meiner Sitzposition. Keine einfache Sache.
SPIEGEL ONLINE: Gibt es einen Trick beim Aussteigen?
Palmer: Ja, man muss sich mit beiden Händen hochstemmen, dann die Füße raus und hoch! Aber einmal in Bali mussten drei Männer meinen indischen Passagier aus dem Taxi hieven. Besonders die Amerikaner hatten Probleme, sie waren körperlich sehr unbeweglich. Ganz im Gegensatz zu den Asiaten.
Über dem Airbus-Werk geht die Sonne unter. Ein kitschiges Abendidyll. Hamburg zeigt sich dem Weltenbummler von seiner schönen Seite. Nach eineinhalb Jahren ist Palmer fast in seiner Heimat angekommen, 34 Länder und vier Kontinente hat er passiert.
SPIEGEL ONLINE: Hat sich die Welt durch über 500 Tage Solartaxi-Fahrt verändert?
Palmer: Ich kann die Welt nicht verändern, aber ich kann die Menschen zum Nachdenken anregen. Immerhin habe ich mit all den TV- und Zeitungsberichten 550 Millionen Menschen erreicht, zumindest haben sie die Nachricht "Ein Elektroauto fährt um die Welt" gelesen.
SPIEGEL ONLINE: Und Sie, haben Sie sich verändert?
Palmer: Ich komme nicht mit Illusionen von meiner Reise zurück. Ich habe mit führenden Leuten rund um die Welt gesprochen, mit Vorständen, Friedensnobelpreisträgern, Politikern - und es gibt im Moment nichts, was mir Hoffnung macht. Es gibt zurzeit keinen Willen, den Klimaschutz voranzutreiben. Flächendeckend wird nichts getan, um wirklich den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Absolut nichts. Daher sehe ich im Moment rabenschwarz. Nur China gibt mir ein bisschen Hoffnung.
SPIEGEL ONLINE: Das Land des Smogs und der Rußwolken?
Palmer: Ja. Dort wird sehr viel investiert, damit die Preise für Solarzellen in den nächsten Jahren um 75 Prozent fallen können - und auf den Preis kommt es ja an. Auf den Hausdächern Chinas sind heute schon überall solare Thermieanlagen installiert, die kosten nur 120 Dollar, und das reicht, um ein Haus oder eine Wohnung mit Warmwasser zu versorgen. Außerdem gibt es schon 100 Millionen E-Roller. Die gehören dort zum Alltag und kosten pro Stück ab 200 Dollar.
SPIEGEL ONLINE: Keine Illusionen, kaum Hoffnung - warum dann die Aktion?
Palmer: Ich will nicht mit 80 Jahren sterben und mir vorwerfen, nichts getan zu haben. Na, und Hoffnung habe ich natürlich immer noch.
SPIEGEL ONLINE: Anfang Dezember wird das Solartaxi auf der Weltklimakonferenz im polnischen Posen als Shuttle fungieren. Wie geht's dann weiter?
Palmer: Ich werde erst mal Vorträge über unsere Welt-Tour halten. Dann habe ich natürlich viele Pläne...
Mehr will Palmer nicht verraten. Alle Hoffnung auf eine Weltrettung hat er wohl noch nicht fahren lassen - die Kraft der Sonne wird ihn und sein Solartaxi noch einige Zeit am Laufen halten.