
Festival au Desert: Mali im Musikrausch
Tuareg-Festival in Mali Blaue Ritter der Weltmusik
Wenn man Timbuktu in Richtung Nordwesten verlässt, passiert man am Stadtrand, kurz bevor die Wüste beginnt, eine riesige Betonsäule. Steil ragen ihre Arme in den Himmel, in den Sockel sind verrostete, ausgebrannte Gerippe von Maschinengewehren eingegossen. Flamme de la Paix heißt dieses Denkmal, das daran erinnern soll, dass die Tuareg im März 1996 an dieser Stelle vor den Augen von Präsident Alpha Oumar Konaré und der versammelten Stammesführer 3000 Gewehre verbrannten, um den fragilen Frieden zu besiegeln, den sie mit dem Staat Mali geschlossen hatten.
"Die malische Armee hat ihre Waffen damals nicht mit ins Feuer geworfen", murmelte der Tuareg, der mich zum Festival au désert in die Oase Essakane mitnahm, zwischen den Zähnen. Der Friedensschluss hinterließ einen bitteren Nachgeschmack. Etwa eine Million Tuareg verteilen sich über ein riesiges Gebiet, fünfmal so groß wie Deutschland, das sich über Marokko, Mauretanien, Algerien, Libyen, Mali, Burkina Faso und Niger erstreckt. Als verbindendes Element dient den heterogenen Gruppen einzig ihre gemeinsame Sprache Tamashek, und so nennen sie sich Kel Tamashek, "Sprecher des Tamashek", oder Imazighen, "freie Menschen".
Als in den Dürrekatastrophen der siebziger und achtziger Jahre der größte Teil ihrer Viehherden verdurstete, verschwand zusammen mit ihren Kamelen und Ziegen die Lebensgrundlage der nomadischen Bevölkerung, die in Touristenprospekten als "blaue Ritter der Wüste" verklärt werden. Sie selbst bezeichnen sich weder als "blaue Ritter" noch als Tuareg - das Wort ist ein arabisches Schimpfwort und bedeutet soviel wie "von Gott Verdammte". Die Araber, mit denen sie über Jahrhunderte hinweg immer wieder Kriege führten, haben sie zwar islamisiert, aber nie unterworfen.
Tuareg mit E-Gitarren
Die Sharia - das Wort bezeichnet ursprünglich einen Pfad durch die Wüste - brauchten sie nicht, denn die Sterne wiesen ihnen den Weg.
Als die Tuareg von der fortschreitenden Versteppung der Sahel-Zone immer weiter nach Süden gedrängt wurden, trafen sie auf die Herden der Peul oder anderer Gruppen, die ihre angestammten Wasserrechte verteidigten.
Im Laufe der Auseinandersetzungen wechselten Zehntausende von jungen Tuareg über die Grenze nach Algerien und Libyen. "Ishumaren" wurden sie genannt, nach dem französischen "chômeur", die Arbeitslosen. Fern von ihren Familien vertrieben sie sich die Zeit mit Gesängen, die von den legendären Kriegern der Vergangenheit erzählten. Taghreft Tinariwen - die erste Tuaregband, die zu elektrischen Gitarren griff - führte ein neues Thema in den alten poetischen Kodex ein. "Taghreft" bezeichnet eine Baumannschaft, "Tinariwen" bedeutet Wüste oder "leerer Ort". Die Wüste drohte sich nun auch im Inneren auszubreiten und die Menschen auszuhöhlen, ihre Songs waren von Hoffnung, Schmerz und Sehnsucht nach einem eigenen Land erfüllt.
Sie seien in einem libyschen Trainingslager entstanden, erzählte Tinariwen beim ersten Festival au désert, das 2001 in der Nähe von Kidal stattfand, westlichen Journalisten. Das Versprechen Ghaddafis, sie bei ihrem Kampf für ein autonomes Land der Tuareg zu unterstützen, erwies sich als trügerisch. Einige von ihnen gehörten zu der Gruppe, die im Juni 1990 einen Militärposten an der Grenze zu Niger überfiel und damit den zweiten Aufstand der Tuareg auslöste. Dass sie mit der Kalaschnikow in der einen und der E-Gitarre in der anderen Hand kämpften, wurde bald zur Legende, doch für Tinariwen stand nicht der Krieg, den sie mit traumatischen Erinnerungen verbanden, im Mittelpunkt, sondern die Reflexion über ihr Leben, das zwischen archaischem Erbe und desolater Moderne pendelte.
Traditionelle Nomadentreffen, auf denen getanzt und gesungen wurde, "Temakannit" genannt, hatten in der Sahara stattgefunden, solange die Bewohner zurück denken konnten, aber die Idee, diese Zusammenkünfte auch für Nicht-Tuaregs zu öffnen und Musikerinnen und Musiker aus dem merklich unterschiedlichen Süden des Landes dazu einzuladen, war neu. Die Inspiration, dass sich das zu einem regelrechten Weltmusikfestival auswachsen könnte, stammte von der französischen Musikerkommune Lo'Jo, die Tinariwen 1999 in der Hauptstadt Bamako trafen. Sie taten sich mit der Tuareg-Organisation Efes zusammen, die auf die bedrohte Lebenssituation ihres Volkes aufmerksam machen wollte.
Ein Sandhügel als Bühne
Beim ersten Festival au désert waren gerade einmal dreißig Westler anwesend, aber die waren begeistert von den wilden Männern mit Turban und E-Gitarre, die den Sandhügel erklommen, der als improvisiertes Podium diente. Doch in den Norden Malis, wo sich immer noch bewaffnete Rebellen aufhielten, traute sich selbst das Militär kaum, und so wurde das nächste Festival auf die weißen Dünen von Essakane verlegt, wo man eher westliche Weltmusiktouristen anlocken konnte. Schnell machte die Kunde von den "Rolling Stones der Sahara" in Musikerkreisen die Runde.
2003 gesellte sich Robert Plant, der Sänger der Rocklegende Led Zeppelin, zu Tinariwen auf die Bühne. "Als ob man einem Tropfen lauscht, der in einen tiefen Brunnen fällt", umschrieb er das Gefühl, das ihre Musik in ihm auslöste. Die CD mit dem Mitschnitt des Festivals gelangte in die World-Music-Charts und katapultierte Tinariwen zu internationalem Ruhm.
Im Januar 2004 verschaffte "das entlegenste Festival der Welt" bereits einigen hundert westlichen Besuchern Einblicke in die Härte des Nomadenlebens: Keine Duschen, Wasser war knapp, die Toilettenhäuschen, die eine ausländische Hilfsorganisation errichtet hatte, waren innerhalb weniger Stunden unbrauchbar. Aus ihren Schlafsäcken mussten die Besucher erst einmal die Skorpione her- ausschütteln, vor allem machte ihnen der feine Staub zu schaffen, der durch die kleinsten Ritzen drang. Schnell stellte sich heraus, dass der Tagoulmoust, der Gesichtsschleier der Tuareg, kein dekoratives Schmuckstück ist, sondern zur Überlebensausrüstung gehört.
Die Tuareg-Bands dominieren das Festival, der pan-malische Geist der Versöhnung der nördlichen und südlichen Landesteile fand auf einem Nebenschauplatz statt. Die Koraklänge der Griots von Mali bekamen die Weltmusiktouristen erst beim Festival au Niger zu hören, das in den folgenden Jahren nach dem Vorbild von Essakane in Ségou entstand. Aber auch das Festival au désert, dessen 2011er-Ausgabe am Donnerstag beginnt und drei Tage andauert, verzeichnet steigende Besucherzahlen, und es hat viel bewegt.
Zusammenarbeit mit Grönemeyer und Santana
Das blinde Ehepaar Amadou & Mariam, das sich in der Blindenschule von Bamako kennen lernte und 2004 international noch wenig bekannt war, holte Herbert Grönemeyer drei Jahre später nach Berlin, um gemeinsam mit ihnen die Fußballweltmeisterschaft zu eröffnen. Die Musikgruppe Etran Finatawa, die "Sterne der Tradition" der Wodaabe-Nomaden aus Niger, die zwischen die Fronten der Tuareg und der Regierungssoldaten von Mali und Niger geraten waren, versöhnten sich in Essakane mit ihren ehemaligen Gegnern. "Desert Crossroads" heißt ihre 2005 erschienen CD. Die Gruppe tourt mittlerweile durch Europa, genau wie Tinariwen, die bisher 80.000 CDs verkauft haben.
Den Tribut, den sie für ihre internationale Vermarktung zahlen müssen, kann man im Internet nachlesen. "Die romantischen Rocker aus der Wüste betören immer wieder, auch wenn sie diesmal etwas sehr produziert daher kommen", wurde ihre letzte CD kritisiert, aber Carlos Santana holte sie 2007 zum Jazz-Festival von Montreux und versicherte ihnen, sie säßen an der Quelle, aus der Muddy Waters, Jeff Beck und Buddy Guy getrunken hätten.
Ähnliches sagte der 2005 verstorbene Ali Farka Touré, der zusammen mit dem amerikanischen Gitarristen Ry Cooder für "Talking Timbuktu" einen Grammy bekam. Vielleicht war es nur Höflichkeit, die ihn dazu brachte, die Frage nach der Herkunft des Blues, die ihm auf der Pressekonferenz von Essakane 2004 gestellt wurde, noch einmal zu beantworten. Der Blues? Was sollte das sein? Er hielt es für einen schlechten Witz, dass er gefragt wurde, ob er sein Gitarrenspiel bei John Lee Hooker gelernt habe.
Gewiss, er hatte ihn 1968 zum ersten Mal gehört und war tief beeindruckt - aber nicht, weil er seinen Meister gefunden hatte, sondern weil ihm schien, dass der amerikanische Bluessänger etwas spielte, was eigentlich aus Afrika stammte, vom Ufer des Niger. "Ihr kennt die Zweige, wir in Mali haben die Wurzeln und den Stamm. Ich weiß selber, was ich spiele, niemand braucht mir das zu erzählen", sagte Ali Farka den weißen Journalisten. Ali Farka transportierte mit seiner Musik keine Klageschreie über die Sklavenarbeit auf den Baumwollplantagen, kein Stöhnen über Whiskey and Women - er war kein Underdog, sondern ein Grundbesitzer, der auf sein Land stolz war.
Nicht jeder in Europa scheint das begriffen zu haben. Die eigentliche Weltmusik werde von Madonna und den Beatles gemacht, erläuterte der neue Musikchef Detlef Diederichsen sein Programm, als im Herbst 2007 das frisch renovierte Berliner Haus der Kulturen der Welt wiedereröffnet wurde - Stammesgesänge aus Mali und peruanische Zupfinstrumente erklängen doch nur an der Peripherie. Die Botschafterin von Mali lachte nur, als sie den Artikel in der lokalen Stadtzeitung las: "Vielleicht sollte man diesen Mann einmal nach Mali einladen, damit er die Wiege kennen lernt, in der die Urgroßeltern der Weltmusik gelegen haben!"
Nachdruck aus "Mekkas der Moderne - Pilgerstätten der Wissensgesellschaft".