
Bullitrip durch Europa "Je weniger du hast, desto glücklicher bist du"


Morgens aufwachen, Türen auf und vom Bett aus die Berge sehen. Vielleicht noch ein Kaffee dazu. Sonst: völlige Ruhe.
So stellt man es sich vor, das Leben im Campervan.
"Das Beste ist die absolute Freiheit", sagt Bertrand Lanneau. Der heute 28-Jährige kann das beurteilen. Sechs Monate lang reiste er mit seiner Freundin Elsa Frindik-Pierret im Bulli durch ganz Europa. "Du kannst immer überall hin, mit wem du willst, wann du willst", sagt er. "Beim Vanlife geht es um das simple Leben."
Vanlife. Es ist schier ein magisches Wort. Und ein Hashtag auf Instagram, unter dem mehr als drei Millionen Bilder zu finden sind, die Sehnsuchtsgedanken auslösen: ein Campervan, direkt an einem einsamen Sandstrand geparkt, daneben ein Lagerfeuer, vielleicht eine Hängematte, auf jeden Fall eine Gitarre, nackte Füße und bunte Strickmützen.
Es klingt nach Kitsch und Klischee. Doch ein monatelanger Roadtrip in einem Kleinbus ist für viele das Nonplusultra. Auch Lanneau und Frindik-Pierret aus Frankreich träumten lange davon, mit einem Bulli herumzufahren und einfach abbiegen zu können, wann immer der Weg rechts oder links der Hauptstraße schöner erschien.
Sie lieben es, mit dem Bulli unterwegs zu sein? Schicken Sie uns Ihre besten Vanlife-Fotos an spon.reise.lesermails@spiegel.de und erzählen Sie uns: Wo ist die Aufnahme entstanden? Was ist Ihr bester Tipp, damit eine Bullitour unvergesslich wird?
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Vor zwei Jahren war es soweit: Die französische Autovermietungsfirma We Van suchte nach Menschen, die nicht nur bereit waren, mit einem ihrer Busse durch Europa zu fahren und über die Reise zu berichten - sondern auch den entsprechenden Lifestyle verkörpern. Lanneau und Frindik-Pierret bewarben sich und wurden ausgewählt. Im Mai 2016 fuhren die studierte Kulturmanagerin und der Hobbyfotograf, der sein Studium im Bereich Sportmarketing abgeschlossen hat, mit einem brandneuen VW T6 los.
Elsa Frindik-Pierret, 29, und Bertrand Lanneau, 28, haben sich während ihres Studiums im französischen Aix-en-Provence kennengelernt und sind seitdem ein Paar. Gemeinsam bereisten sie in ihrem Van 24 Länder in Europa. Nun sind sie zurück in Frankreich und erwarten ein Kind.
In Nantes in Frankreich starteten sie, fuhren durch Großbritannien, Skandinavien, Osteuropa bis nach Griechenland, über Italien, Spanien und Portugal und schließlich wieder zurück nach Frankreich. 35.000 Kilometer lang lebten die beiden auf rund sieben Quadratmetern.
Fünf T-Shirts, fünf Hosen, ein bisschen Unterwäsche
"Auf so beengtem Platz wird es schnell chaotisch, das kann nerven", sagt Lanneau. Also besser nicht so viele Dinge mitnehmen. "Wir hatten jeweils fünf Kleidungsstücke dabei: fünf T-Shirts, fünf Hosen und ein bisschen Unterwäsche", sagt er. "Je weniger du hast, desto glücklicher bist du."
In ihrem Buch "Drive your adventure" geben die beiden weitere Tipps für das Leben im Van. Ordnung, wird da betont, sei das Wichtigste: "Alles dort verstauen, wo es hingehört." Und tägliches Geschirrspülen, das sei ein Muss. Doch in den "goldenen Vanlife-Regeln" heißt es auch: "ganz nach seinem eigenen Rhythmus leben", "sich wagemutig abseits ausgetretener Pfade bewegen" und "glücklich sein".
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21.04.2021 06.39 Uhr
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Im Camper braucht alles mehr Zeit, stellte das Paar auf der Reise fest. Die Handgriffe des Alltags seien auf sechs Quadratmetern nicht so schnell erledigt, sagt die 29-jährige Frindik-Pierret. "Morgens muss man zuallererst die Rückbank hochklappen, um sich im Bus frei bewegen zu können." Dann Vorhänge auf, Isolatoren abnehmen, Aufstelldach hoch, Frühstückstisch aufstellen - "der Sprung aus dem Bett, der zu Hause zehn Sekunden dauert, braucht im Van gute zehn Minuten."
Auch am Abend dauert alles länger. Ein geeigneter Schlafplatz muss gefunden werden, aufräumen, essen, spülen, Bett herunterklappen, Fenster verdunkeln.
Die Roadtrip-Kultur in Europa ist anders
"Die Roadtripkultur ist in Europa anders als zum Beispiel in Australien", sagt Lanneau. In den meisten europäischen Ländern ist es streng verboten, sich mit dem Van einfach in die Wildnis zu stellen. Einzige Ausnahme: Skandinavien. "Die skandinavischen Länder sind perfekt fürs Vanlife", sagt Lanneau. "Die Natur ist wild und wunderschön, und man darf fast überall stehen." Auch in Portugal würden Campervans weitestgehend toleriert.
"In Europa ist es einfach nicht so gängig, dass Leute ihr gesamtes Hab und Gut verkaufen und mit dem Van durchs Land reisen." Da sei es auch nicht so einfach, überall an Trinkwasser oder öffentliche Toiletten zu kommen. "Aber man merkt, dass sich etwas verändert", sagt Lanneau. "Die Roadtripkultur ist im Kommen."
Doch so romantisch-schön ein Roadtrip auch sein kann - wenn man sechs Monate zu zweit in einem Auto verbringt, bleiben Konflikte kaum aus. Auch darüber schreibt das Paar in seinem Buch. "Es ist nicht einfach, rund um die Uhr und Tag für Tag mit seinem Partner auf so beengtem Raum zusammenzuleben", sagt Frindik-Pierret. Wichtig sei, offen zu kommunizieren. "Wir haben hauptsächlich wegen Kleinigkeiten gestritten. Was wir tun wollen oder nicht, wo wir parken oder wo wir die Nacht verbringen." Oft seien sie einfach müde und gereizt gewesen.
Als Lanneau und Frindik-Pierret nach sechs Monaten wieder in Frankreich ankamen, wurden sie mit dem Schlimmsten am Vanlife konfrontiert: zurück ins "reale Leben" zu kommen. "Wir waren auf einmal erstaunt, wie viel Platz wir zu Hause haben", sagt Lanneau. "Jetzt versuchen wir immer noch, nur mit den wichtigsten Dingen auszukommen und den Rest wegzugeben."
Bald bekommen die beiden ihren ersten Nachwuchs. "Wir können es kaum erwarten, unser Kind mit auf Reisen zu nehmen", sagt Frindik-Pierret. "Wir haben während des Roadtrips so viele Familien getroffen." Dann brauche man aber natürlich ein größeres Auto - und muss vor allem noch besser organisiert sein.
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Elsa Frindik-Pierret (oben) und Bertrand Lanneau sind ein Paar aus Frankreich. Sechs Monate lang haben sie Europa mit dem Bulli bereist.
Durch 24 Länder sind sie gefahren, 35.000 Kilometer auf engstem Raum. Ihre Reise dokumentierten sie in dem Buch "Drive your adventure".
Es sind Ausblicke wie diese, die das Camperherz höher schlagen lassen: Den Van einfach irgendwo abstellen und morgens die Natur vor dem Schlafzimmer haben.
In ihrem Buch geben sie viele Tipps für das Leben im Van. Jeden Tag geht es etwa darum, einen Stellplatz für die Nacht zu finden. Manchmal sind das luxuriöse Campingplätze, manchmal aber auch abgelegene Wege.
Eine der berühmtesten Wanderungen in Norwegen führte das Paar auf den Preikestolen. 600 Meter ragt das Felsplateau über den Lysefjord. Die Aussicht ist wie erwartet: atemberaubend.
Und auch diese Aussicht kann man kaum anders bezeichnen. Um 23 Uhr spiegelt sich die über den Bergen stehende Mitternachtssonne im Fjord.
Bis ganz in den Norden Norwegens sind die beiden mit ihrem Bulli gefahren: Auf den Lofoten verweilten sie an einem der schönsten Strände: Dem Strand von Kvalvika.
Im Norden Skandinaviens lässt das Paar die Fjorde hinter sich, die Landschaft geht in die flache Taiga über: In Finnland campen sie zwischen lichten Tannen.
Das Land durchquert geht es weiter ins Baltikum. In Lettland fallen den beiden jede Menge verlassener Gebäude auf, die an die schwere Vergangenheit des Landes erinnern.
Für das Buch "Drive your adventure" tourten die zwei Franzosen nicht nur sechs Monate durch Europa - sondern mussten ihre Erlebnisse auch festhalten, in Fotos und auf dem Papier.
Beim Blick auf die Transfogarascher Hochstraße in Rumänien kann einem fast übel werden: In engen Kurven windet sie sich hinab.
"Das Reisen im Van macht einen zum Nudisten", schreiben die beiden in ihrem Buch ein wenig selbstironisch - doch mit den Blicken von anderen würden sie entspannter umgehen als zuvor.
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