

Virtuelles Reisen So sehen Sie was von der Welt
Wir stehen am Fjord und horchen in die Stille. Der Wind hat die Eisberge in den Fjord gedrückt, aber Jäger Tobias hat es mit seinem Boot trotzdem geschafft, zu uns durchzukommen. Wir steigen zu und fahren im Nebel durch das mystische Labyrinth aus Eis.
In Wirklichkeit sitzen wir alle zu Hause vor unseren Computern. Doch in Gedanken sind wir in Grönlands wildem Osten und folgen Ruth Zellers Erzählungen. Reale Reisen liegen derzeit in weiter Ferne, aber träumen dürfen wir noch.

Die virtuelle Reise-Realität
Der auf Trekkingtouren spezialisierte Veranstalter Hauser Exkursionen etwa schickt Outdoor-Fans in der Coronakrise auf virtuelle Reisen. Auf seiner Onlineplattform bietet er pro Woche mehrere Livevorträge an und nimmt damit derzeit wohl eine Vorreiterrolle ein. Tickets gibt es für 9,99 Euro, den Link zur 60-minütigen Veranstaltung per E-Mail, die erforderliche Software ist kostenlos. Die Erlöse kommen zu 100 Prozent den Referenten oder den von ihnen unterstützten wohltätigen Projekten zugute.
Die kleinen Abenteuer im Kopf kommen an, die meisten Vorträge sind ausgebucht. "Wir haben bisher schon etwa 1100 Gäste virtuell befördert, das sind mehr als wir im ganzen April 2019 auf echte Reise geschickt haben", sagt Hauser-Vertriebsleiter Rafael Pohle.
"Wir bleiben hier mit unseren Zelten, drei Nächte"
Jetzt fliegen wir mit dem Helikopter über den Polarstrom hinweg, lassen die Häuser von Kulusuk unter uns und erreichen in einer knappen Viertelstunde Tasiilaq - mit 2000 Einwohnern die größte Stadt Ostgrönlands. Insgesamt leben im gebirgigen Osten des Landes nur etwa 3000 Menschen, also fünf Prozent der Gesamtbevölkerung. "Diese Ecke von Grönland ist erst vor 130 Jahren von Europäern das erste Mal bereist worden", sagt Reiseleiterin Zeller.
Und wie sie so spricht, schleicht sich tatsächlich das Gefühl ein, mit Rucksack auf dem Rücken und Kamera in der Hand bei einer mehrtägigen Wanderung dabei zu sein: "Wir erkunden erst mal das Dorf." "Wir sind bei 15 bis 20 Grad im T-Shirt unterwegs." "Wir bleiben hier mit unseren Zelten, drei Nächte." "Wir spielen mit den Eisbergen am Strand."
Und dann sind da die vielen detailreichen Fotos: vom Gepäckband am Flughafen über die Mückennetze der Wanderer bis zur Aussicht auf Gletscher.
Rafael Pohle, Vertriebsleiter bei Hauser Exkursionen
Eine echte Reise ersetzen könne solch ein Vortrag natürlich nicht, sagt Pohle. Aber es gehe um mehr als reine Information. "Die Menschen wollen einfach mal abschalten und etwas anderes sehen. Auch viele Stammkunden schauen sich die Vorträge an, sie wollen ihre Erlebnisse aufleben lassen." Bei der Fragerunde am Ende kommt fast ein Gefühl von Normalität auf, wenn die Zuhörer nach den Temperaturen in der Nacht fragen, sich nach der Gefahr durch Eisbären erkundigen und wissen wollen, wie schwer das Gepäck sein darf.
Kurz nach Down Under
Auch andere Veranstalter setzen vermehrt auf virtuelle Alternativen. Travel Essence beispielsweise veranstaltet als Spezialist für maßgeschneiderte Reisen nach Australien und Neuseeland normalerweise deutschlandweit Vorträge in seinen Büros. "Das ist für uns ein wichtiges Tool, um Interessenten nicht nur Australien und Neuseeland näherzubringen, sondern auch, um unsere Art zu reisen zu zeigen", sagt Marketing- und Eventmanagerin Anina Mörgenthaler. Seit Anfang des Monats biete das Unternehmen die Veranstaltungen nun online an, bisher habe es etwa 150 Anmeldungen gegeben. Die Vorträge informieren über Sehenswürdigkeiten, mögliche Flugrouten und inhabergeführte Unterkünfte. Sie sind für jeden zugänglich und kostenlos, man muss sich nur anmelden.
Globetrotter Reisen führte bisher sechs virtuelle Reisen mit dem Opernregisseur Michael Sturm durch, weitere sind in Planung. Zuletzt ging es nach Wien und Ägypten. Im Schnitt nehmen laut Veranstalter 30 bis 45 Personen teil. Die Einladung mit Link kommt per Newsletter, für den man sich online registrieren kann. Interessierte erhalten dann automatisch zwei Tage vor dem virtuellen Trip eine E-Mail. Diese darf laut Globetrotter gern an andere Reiselustige weitergeleitet werden. "Es ist keine geschlossene Gesellschaft, sondern offen für alle."
Frankfurt, Erfurt, Stuttgart - einfach mal loslaufen
Es muss jedoch nicht immer die weite Welt sein. Auch einige deutsche Städte lassen sich derzeit vom Sofa aus erkunden. Der lokale Anbieter Frankfurter Stadtevents etwa hat unter dem Motto "Gugge und Gutes tun" virtuelle Führungen aufgezeichnet. Die etwa 25-minütigen Videos nehmen Interessierte mit auf einen Besuch in die Kleinmarkthalle, zu einem Rundgang durch die Neue Altstadt oder lassen sie mit einem Nachtwächter durch das dunkle Frankfurt spazieren. Das Angebot ist kostenlos, Spenden sind möglich.
Stuttgart bietet Videos im 360-Grad-Blickwinkel an. Stadtführer zeigen den Menschen daheim "angesagte Plätze" der Innenstadt oder die mehr als 400 Treppenanlagen, die als Stuttgarter Stäffele bekannt sind. Die bis zu 15 Minuten langen Clips sind kostenlos auf YouTube abrufbar.
Ganz ohne Kommentare kommen die Sonntagsspaziergänge in Thüringen aus. Jede Woche steht eine andere Stadt im Fokus. Auf dem Facebook-Kanal "Thüringen entdecken" können Besucher den 30-minütigen Spaziergang live verfolgen - oder einfach gleich mitlaufen. Bisher wurden unter anderem Spaziergänge durch Erfurt, Weimar und Gotha veröffentlicht. Sie sind auch weiter abrufbar.
Streaming zum Rhein und Great Barrier Reef
Auch im Überangebot der Streaminganbieter schlummern Reisereportagen, die beim Wegträumen helfen. Das Onlineportal Featvre bietet einen Überblick und eine Auswahl der besten Dokus und Reportagen aus mehr als 40 Mediatheken - empfohlen und rezensiert von der unabhängigen Redaktion. Zu den aktuellen Empfehlungen gehören zum Beispiel die "Interactive Journey" über das Great Barrier Reef mit dem britischen Tierfilmer und Naturforscher David Attenborough oder die Kinodokumentation "Rheingold - Gesichter eines Flusses".
In den nächsten Tagen stehen bei Hauser eine Alpenüberquerung und eine Reise nach Bulgarien an. Auch Patagonien liege noch "in der Schublade". Themen gibt es genug: "Wenn wir wollen, können wir das noch bis Juni machen", sagt Pohl. Doch erst mal will der Veranstalter abwarten, ob Anfang Mai weitere Lockerungen der Ausgangsbeschränkungen abzusehen sind. Einige Kunden haben jedoch schon jetzt signalisiert, auch nach der Coronakrise virtuell auf Reisen gehen zu wollen - dann als ideale Vorbereitung auf die echte Reise.